Hospizdienst Dong Ban Ja

Sterben in Berlin: „Am Lebensende wollen alle Menschen nach Hause“

Vom Gerichtsdienst in Nepal, über Katastrophengebiete nach Berlin. Dharma Bhusal (60) ist promovierter Jurist und zog 2003 aus seiner Heimat nach Berlin. Hier leitet er heute den interkulturellen Hospizdienst Dong Ban Ja.

Author - Stefanie Hildebrandt
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Dharma Bhusal ist Buddhist. Für sein Lebensende wünscht er sich, einfach als Mensch gesehen zu werden.
Dharma Bhusal ist Buddhist. Für sein Lebensende wünscht er sich, einfach als Mensch gesehen zu werden.Anikka Bauer

„Dong Ban Ja“ ist koreanisch und bedeutet „Menschen begleiten“. Und genau das ist Dharma Bhusals Aufgabe. Der 60-Jährige koordiniert als Leiter des einzigartigen Berliner Hospizdienstes Dong Ban Ja 170 Ehrenamtliche aus den unterschiedlichsten Kulturen, die für schwer kranke und sterbende Menschen da sind.

„Anfangs begleiteten wir vor allem Menschen aus Ostasien, bald schon aus ganz Asien, seit 2018 auch aus dem arabischen Raum“, sagt Dharma Bhuasal. Seine Arbeit geht auf einen Verein zurück, den Kim In-Sun, eine Krankenschwester aus Korea, 2005 gründete. „In den 70er-Jahren kamen viele asiatische Frauen als Pflegekräfte nach Deutschland. Als sie Jahrzehnte später alt und krank wurden, ging mir ihr Schicksal besonders nahe“, erinnert sie sich.

Denn auch sie war damals aus Südkorea nach West-Berlin gekommen, hatte viele Jahre als Krankenschwester gearbeitet. „Dabei habe ich viele dieser Frauen in ihren letzten Tagen begleitet. Ich spürte ihr Verlangen nach Heimat: Oft wollten sie noch einmal in ihrer Muttersprache sprechen oder noch einmal ein vertrautes Gericht aus der Kindheit essen“, sagt Kim In-Sun.

„Am Lebensende sagen alle Menschen, sie wollen nach Hause“, weiß auch ihr Verbündeter, Dharma Bhusal. In Kims Verein Dong Heng lernt Dharma Bhusal die Arbeit mit Menschen kennen. Als Alltagsberater kümmert er sich zunächst um die Nöte derer, die noch mitten im Leben stehen. Und er erkennt, dass man auch im Sterben sehr allein sein kann, wenn man fern der eigenen Kultur lebt. Seit 2009 leitet er einen eigenen Verein, der Bedarf ist groß.

In Deutschland ist der Tod ein Mysterium

In Nepal, Dharmas Heimat, ist das Geborenwerden und Sterben normal, ein alltäglicher Vorgang. Es gibt eine Feuerbestattung mit Riten, alles findet inmitten der Lebenden, inmitten der Gemeinschaft statt. „Man hat den Menschen im Leben gesehen und man sieht auch sein Sterben“, erklärt Dharma Bhusal. Schon für Kinder sei das selbstverständlich. „Sie wachsen nicht mit dem Mysterium Tod auf.“  Bhusal empfindet es als Wohltat, in dieser Gemeinschaft zu sein: „Niemand war allein, weder im Sterben noch mit den Sorgen des Alltags.“

„Hier dagegen ist alles anonym“, sagt Dharma Bhusal. Es sei nicht gut, wenn in einer Gesellschaft der Tod und das Sterben mit Scheu und Ängsten behaftet seien. In seinem Beruf arbeitet Bhusal daran, Menschen zu verbinden, im Leben und an ihrem Lebensende. Dabei hat Dharma Bhusal selber schon viele Seiten des Lebens kennengelernt.

Einziger Überlebender im Minenfeld

14 Jahre lang arbeitete Dharma Bhusal als Anwalt in Nepal. Für die Vereinten Nationen war er anschließend im Irak angestellt. Dort lockten Terroristen ihn und seine Mitarbeiter auf einer Tour in ein Minenfeld. Alle seine Begleiter starben, er überlebte als Einziger und wurde nach Kuwait ausgeflogen. Nach langer Zeit im Koma wachte Dharma Bhusal allein, der dortigen Sprache nicht mächtig, in der Fremde auf. „Ich fühlte mich ausgeliefert, wie ein Kind ohne Worte.“ Auch dieses Erlebnis habe ihn stark geprägt, sagt Dharma Bhusal.

Das Team des interkulturellen Hospizdienstes Dong Ban Ja bei einer gemeinsamen Feier. Alle tragen die jeweilige Tracht ihres Heimatlandes.
Das Team des interkulturellen Hospizdienstes Dong Ban Ja bei einer gemeinsamen Feier. Alle tragen die jeweilige Tracht ihres Heimatlandes.Dong Ban Ja/Dharma Bhusal

„Ich denke, ich bin dafür geboren, Menschen an ihrem Lebensende zu unterstützen“, sagt Dahrma Bhusal heute. Mit seinem Verein, der unter dem Dach des Humanistischen Verbandes agiert, koordiniert Dharma Bhusal 170 Ehrenamtliche aus über 50 Nationen, die in Berlin für ihre Landsmänner und Frauen da sind. In einer sechsmonatigen Ausbildung werden sie gründlich auf ihre Einsätze vorbereitet.

Heimat hat viele verschiedene Ebenen

„Wenn jemand stirbt, erinnert er sich an seine Muttersprache. Man erinnert sich an das, was als Kind wichtig war“, sagt Dharma Bhusal. Speisen, Gesten, Lieder – Heimat hat viele verschiedene Ebenen.

„Ich erinnere mich an einen alten, sterbenden Mann aus Sri Lanka. Er war am Ende seiner Kräfte, verschlossen und wie hinter einer unsichtbaren Mauer. Selbst seine Familie erreichte ihn kaum noch, viele von ihnen sprachen kein Singhalesisch mehr. Dann kam einer unserer Ehrenamtlichen aus Sri Lanka, der seine Muttersprache sprach. Das brach das Eis: Der Mann blühte auf, erzählte Geschichten aus seiner Kindheit, Dinge, die er selbst seiner Familie nie anvertraut hatte. Er konnte alles sagen, was in ihm war – und endlich loslassen“, sagt Kim In-Sun im Gespräch mit Dharma Bhusal.

Verstanden werden am Lebensende

Was sich die meisten am Lebensende wünschen? „Dass jemand da ist, der sie versteht“, so Dharma Bhusal. Für ihn sei seine Arbeit wie ein Geschenk: „Wenn eine Anfrage für eine Begleitung kommt, muss ich nie Nein sagen. Denn ich weiß, wir haben jemanden, der die Sprache spricht, die Kultur versteht und dem Sterbenden – egal woher er oder sie kommt – ein Stück Heimat geben kann.“

Nur einem konnte Dharma Bhusal seinen letzten Dienst nicht erweisen. Ram, einem engen Freund aus Indien. Als Ram schwer erkrankte und zum Sterben in seine Heimat zurückkehren wollte, versuchte Dharma, ihm das zu ermöglichen: „Ich wollte ihm das ersparen, was ich selbst einst nach meiner schweren Verletzung im Irak erlebt hatte: hilflos zu sein, fern der Heimat, sprachlos und allein.“ Doch Ram verschwand spurlos. Monatelang suchte Dharma verzweifelt nach ihm. Bis er in einer Polizeiwache erfuhr: Ram war einsam in einem Berliner Krankenhaus gestorben.