Schlimmes Schicksal

Charlotte (7) aus Hellersdorf ist todkrank: Das ist ihr letzter Wunsch!

Die siebenjährige Berlinerin tröstet ihre weinende Mutter Franziska: „Ich bin für dich da, Mama, falls du mich brauchst“, flüstert Charlotte.

Author - Veronika Hohenstein
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Charlotte aus Hellersdorf wird sterben. Die Erkrankung schreitet weiter fort und alle Möglichkeiten der Therapie sind ausgeschöpft und konnten das Wachsen des Hirntumors nicht mehr bremsen.
Charlotte aus Hellersdorf wird sterben. Die Erkrankung schreitet weiter fort und alle Möglichkeiten der Therapie sind ausgeschöpft und konnten das Wachsen des Hirntumors nicht mehr bremsen.Veronika Hohenstein

Das Leben kann so ungerecht sein! Warum ausgerechnet die kleine Charlotte von einem aggressiven Tumor heimgesucht wird, kann niemand beantworten. Mutter Franziska, Vater Kurt und Bruder Richard müssen lernen, mit dem Gedanken zu leben, dass Charlottes Tage gezählt sind und sie wohl bald sterben wird. Eine Familie aus Berlin-Hellersdorf in einer ganz traurigen Ausnahmesituation erzählt.

Charlotte (7) ist todkrank

Es ist ein heißer Spätsommertag Mitte August. In einer kleinen Laube der Kleingartenanlage „Köhlergrund” in Altlandsberg im Märkisch-Oderland, Brandenburg, verbringt die Familie Winkler aus Hellersdorf ihre Sommerferien. Es sind entschleunigte Tage. Farbenfrohe Stifte und Spielzeug liegen herum. Hier ein Sonnenhut, da Sonnencreme. Die Geschwister Richard und Charlotte spielen mit der Hündin Emma, werfen Stöckchen und Bällchen. Die Hündin ist sehr aufmerksam und mit ihrer Fröhlichkeit scheint sie den Leidensdruck der Familie ein wenig auszugleichen. Mutter Franzicka Winkler (34) schaut auf ihre Kinder und sagt: „Wir wollen nicht, dass die Krankheit zu viel Platz einnimmt. Wir wollen die Zeit, die wir mit Charlotte noch haben, genießen.“

„Ich bin für dich da, Mama, falls du mich brauchst.“

Charlotte Winkler (7)
Die siebenjährige Berlinerin Charlotte tröstet ihre weinende Mutter Franziska Winkler: „Ich bin für dich da, Mama, falls du mich brauchst“, flüstert Charlotte.
Die siebenjährige Berlinerin Charlotte tröstet ihre weinende Mutter Franziska Winkler: „Ich bin für dich da, Mama, falls du mich brauchst“, flüstert Charlotte.Veronika Hohenstein

Franziska lernte ihren späteren Mann Kurt (35) in der Berufsschule kennen. Beide sind von Beruf Köche. Sie gründeten die Familie Winkler. Als  das zweite Kind, Tochter Charlotte, am 9. Juni 2018 zur Welt kam, war alles wunderbar und idyllisch, erinnert sich Franziska. „Charlotte war ein ruhiges und pflegeleichtes Baby. Und immer sehr neugierig!“ Charlotte hat sich zu uns an den Tisch im Schatten gesellt, lauscht dem Interview mit dem Berliner KURIER, malt und wirft ein: „Wie Oma, die ist auch neugierig.“ Franziska lächelt: „Ja, stimmt. Du bist auch sehr bestimmt … Du weißt, was du willst. Du bist sehr liebenswert und achtest auf deine Mitmenschen, tröstest und beschützt uns.“ Charlotte nickt, und geht in den Garten um zu schaukeln.

Bei der siebenjährigen Charlotte Winkler wurde ein DIPG diagnostiziert. Das diffuse intrinsische Ponsgliom ist eine sehr seltene und aggressive Form von Hirntumor. Laut Mutter Franziska liegt die Lebenserwartung bei 12 Monaten, nur 2 Prozent Ber Betroffenen leben länger als vier Jahre. Hier spielt Charlotte mit ihrem Hund unter einem Apfelbaum in der Laube ihrer Großeltern. Sie lebt bereits drei Jahre länger als von Ärzten prognostiziert.
Bei der siebenjährigen Charlotte Winkler wurde ein DIPG diagnostiziert. Das diffuse intrinsische Ponsgliom ist eine sehr seltene und aggressive Form von Hirntumor. Laut Mutter Franziska liegt die Lebenserwartung bei 12 Monaten, nur 2 Prozent Ber Betroffenen leben länger als vier Jahre. Hier spielt Charlotte mit ihrem Hund unter einem Apfelbaum in der Laube ihrer Großeltern. Sie lebt bereits drei Jahre länger als von Ärzten prognostiziert.Veronika Hohenstein

Plötzliche Bockanfälle: „Das war nicht mehr mein Kind“

Franziska setzt fort: „Charlotte war immer ein Sonnenschein, hat viel gelacht und war schon immer ein sehr lebensfroher Mensch. Aber dann wurde sie plötzlich sehr launisch. Das war nicht mehr mein Kind“. Als Corona kam durften Charlotte und ihr älterer Bruder Richard in die Kita gehen, da Franziska und Kurt „systemrelevant“ waren. Die Eltern dachten, dass die schwierigen Umstände durch Corona auch für die Kinder belastend seien und die Bockanfälle von Charlotte vielleicht damit zusammenhingen.

Die Familie Winkler, Mama Franzi, Sohn Richard (10) und die tapfere Charlotte (7) in der Laube -  Papa Kurt ist bei der Arbeit.
Die Familie Winkler, Mama Franzi, Sohn Richard (10) und die tapfere Charlotte (7) in der Laube - Papa Kurt ist bei der Arbeit.Veronika Hohenstein

Mit zwei Jahren zeigte Charlotte die ersten Symptome

Die ersten konkreten Symptome zeigten sich bei Charlotte Anfang 2021: Sie stolperte oft und unvermittelt. Es sah so aus, als hätte Charlotte Probleme mit dem Gleichgewicht. Da Charlotte immer häufiger hinfiel und auch anfing, sich zu erbrechen, ging Franziska mit ihr zum Kinderarzt.

Der Arzt schöpfte sofort Verdacht. „Er schickte uns direkt ins Krankenhaus. Dort wurde ein Kopf-MRT gemacht. Eigentlich sollte es nur eine halbe Stunde dauern, aber die Ärzte brauchten länger. Kurt musste im Auto warten, wegen der strengen Corona-Vorschriften. Franziska verstand, dass es sich um etwas Ernstes handeln musste. Sie erinnert sich daran, wie sie ihrem besten Freund eine WhatsApp-Nachricht schrieb, dass sie sich Sorgen mache und es sich möglicherweise um einen Gehirntumor handele. „Es war ein schlimmes Gefühl.“

„Man sieht ihr die Krankheit nicht wirklich an, aber ich habe das Gefühl, dass dies ihr letzter Sommer ist“, sagt ihre Mutter Franziska.
„Man sieht ihr die Krankheit nicht wirklich an, aber ich habe das Gefühl, dass dies ihr letzter Sommer ist“, sagt ihre Mutter Franziska.Veronika Hohenstein

Die Horrornachricht: Charlotte ist todkrank!

„Die Ärzte kamen heraus mit Charlotte und sagten, ich solle meinen Mann anrufen.“ In einem Arztzimmer mit der bald dreijährigen Charlotte auf dem Schoß bekamen die jungen Eltern die Horror-Nachricht: Ein Tumor drückte auf Charlottes Nervenzentrum.

In der Charité wurde schließlich die genaue Diagnose gestellt: ein diffuses intrinsisches Ponsgliom (DIPG). Franziska erklärt: „Ein seltener, aggressiver Hirntumor, der im Hirnstamm auftritt. Zu diesem Zeitpunkt haben die Ärzte uns noch elf Monate gegeben.“

Die Familie verbrachte 14 Tage im Krankenhaus. Danach durften sie für kurze Zeit nach Hause, während alle weiteren Therapien ambulant durchgeführt wurden: eine sechswöchige Bestrahlung in Kombination mit einer begleitenden Chemotherapie. Die Bestrahlung zeigte gute Wirkung, der Tumor verkleinerte sich, sodass die Chemotherapie fortgesetzt werden konnte, begleitet von regelmäßigen MRT-Kontrollen. „Leider mussten wir kurz vor Weihnachten 2021 erfahren, dass der Tumor wieder aktiv geworden war.“ Und so folgten weitere Bestrahlungen.

Charlotte spielt mit der Labradorhündin Emma. Die Hündin scheint sehr klug zu sein und gehorcht Charlotte mit großem Eifer bei jedem noch so kleinen Wunsch.
Charlotte spielt mit der Labradorhündin Emma. Die Hündin scheint sehr klug zu sein und gehorcht Charlotte mit großem Eifer bei jedem noch so kleinen Wunsch.Veronika Hohenstein

Charlotte ist ein Wunderkind, aber jetzt sind alle Mittel ausgeschöpft.

Gibt es Hoffnung, dass der Tumor verschwinden könnte? „Ja, die Hoffnung bleibt … Aber tatsächlich überleben nur zwei Prozent der Kinder länger als vier Jahre und Charlotte gehört zu den seltenen Fällen mit wenig Symptomen. Sie ist das vierte Kind in Deutschland, das ein drittes Mal bestrahlt werden konnte. Normalerweise sind höchstens zwei Bestrahlungen möglich. Zwischen den Behandlungen muss stets ein halbes Jahr vergehen und danach gilt ein Kind in der Regel als austherapiert“, erklärt Mutter  Franziska. Aber jetzt sind alle Mittel ausgeschöpft. Bei Charlotte ging es von Anfang an um lebensverlängernde Maßnahmen. „Wir tun alles, um mehr Zeit mit ihr zu bekommen.“

Charlotte sitzt am Tisch. Sie spielt mit ihren Puppen. Am Apfelbaum in der Laube hängen rotbackige Äpfel, und zwischen den Blumen im Garten flattern Schmetterlinge. Der Sommer neigt sich dem Ende zu. „Man sieht ihr die Krankheit nicht wirklich an, aber ich habe das Gefühl, dass dies ihr letzter Sommer ist“, sagt Franziska. Charlotte hört zwar zu, scheint in ihrer fröhlichen Art aber nicht zu bemerken, dass über sie geredet wird. „Sie wird gehen“, sagt Franziska. Dann stockt sie und Tränen treten ihr in die Augen. Charlotte hebt den Blick, klettert auf den Schoß ihrer Mutter und versucht, sie zu trösten. Die Tränen rinnen über ihre Wangen. Und so sitzen sie da, im Schatten der Bäume. Charlotte flüstert: „Ich bin für dich da, Mama, falls du mich brauchst.“ Franziska streicht ihr über die blonden Locken. Dann widmet sich Charlotte wieder ihrer Zeichnung. Sie malt die ganze Familie, die Hunde und die Laube bei schönem Sommerwetter.

Die ersten konkreten Symptome des Tumors zeigten sich bei Charlotte Anfang 2021: Sie stolperte häufig und ohne ersichtlichen Grund. Es sah aus, als hätte sie Probleme mit dem Gleichgewicht. Später fing sie an, sich zu erbrechen.
Die ersten konkreten Symptome des Tumors zeigten sich bei Charlotte Anfang 2021: Sie stolperte häufig und ohne ersichtlichen Grund. Es sah aus, als hätte sie Probleme mit dem Gleichgewicht. Später fing sie an, sich zu erbrechen.Veronika Hohenstein

Bruder Richard (10) musste schnell lernen, der Große zu sein

Später sagt Franziska: „Wenn sie fragt, werden wir es ihr erklären, so wie wir es auch ihrem älteren Bruder erklärt haben, als er Fragen zu Charlottes Zukunft stellte. Er versteht es.“ Franziska setzt fort: „Vielleicht verdrängt er es ... Er musste schnell erwachsen werden, auf eigenen Beinen stehen und sich um sich selbst kümmern. Auch für ihn ist ein Stück Kindheit überschattet.“

Die Kinder holen Eis aus der Küche. Spielen mit der klugen, schwarzen Labrador-Hündin. „Ich liebe es, zur Schule zu gehen, ich mag Emma, Klara, Lisa, und Frau Geitsch“, zählt Charlotte auf. Und hast du einen Wunsch? fragen wir. Charlotte trabt ins Haus, holt ihre zwei Lieblingspuppen und einen kleinen Rosa Buggy. „Ich brauche einen Kinderwagen mit Platz für meine zwei Puppen“, erklärt sie.

Charlotte aus Hellersdorf ist todkrank. Ein Tumor drückt auf ihr Nervenzentrum im Gehirn. Sie hat einen großen Wunsch: einen Kinderwagen für ihre zwei Puppen mit zwei Sitzplätzen.
Charlotte aus Hellersdorf ist todkrank. Ein Tumor drückt auf ihr Nervenzentrum im Gehirn. Sie hat einen großen Wunsch: einen Kinderwagen für ihre zwei Puppen mit zwei Sitzplätzen.Veronika Hohenstein

„Eigentlich möchte man den ganzen Tag schreien und weinen.“

Wie geht es den Eltern? „Man funktioniert nur noch, eigentlich möchte man den ganzen Tag schreien und weinen. Aber man muss funktionieren. Wir haben eine Verantwortung gegenüber unseren Kindern. Ich glaube, Charlotte ist stärker als wir alle zusammen“, sagt Franziska. Sie erzählt weiter, dass es eine Strategie sei, die Krankheit auszublenden. „Wir ziehen die Erkrankung nicht in den Mittelpunkt. Der Alltag ist uns wichtiger.“

Die Familie geht einfach ihren alltäglichen Aufgaben nach, die Schule, der Haushalt, Essen kochen. Wenn die Kinder im Bett sind, wird vorgelesen und „wir kuscheln ganz viel“. In den Ferien gibt es kein Muss: „Wir leben in den Tag hinein. Die Kinder können den ganzen Tag naschen, bei gutem Wetter können sie im Pool baden, wir machen Ausflüge ...“ Dann blickt sie zu den Charlotte und Richard, die beiden kichern und spielen unbeschwert mit dem Hund. „Uns rennt die Zeit davon“, sagt Franziska. Wir erleben diese Zeit sehr intensiv und versuchen zu genießen. Man lernt, alles ein wenig anders zu schätzen und zu erleben. Wir haben ja keine andere Wahl.“

Hier spielt Charlotte mit ihrem Hund Emma unter einem Apfelbaum in der Laube ihrer Großeltern.
Hier spielt Charlotte mit ihrem Hund Emma unter einem Apfelbaum in der Laube ihrer Großeltern.Veronika Hohenstein

Spendenaufruf für die letzte Zeit

Um dem Vater noch möglichst viel Zeit mit seiner Tochter zu ermöglichen, hat die Familie einen Spendenaufruf gestartet. „Wir hoffen, dass er in der Endphase zu Hause sein kann, bei Charlotte, ohne finanziellen Druck“, erklärt Franziska. Die Spenden sind auch für Charlottes Beerdigung vorgesehen. Eine Zeit, an die die Familie heute kaum denken kann. Der Gedanke, dass Charlotte irgendwann nicht mehr sein wird, ist unvorstellbar. „Wenn sie Schmerzen hätte und im Krankenhausbett liegen würde, könnte man es vielleicht irgendwie verstehen, aber sie macht ja alles, was andere Kinder auch machen …“

Wenn Sie die Familie Winkler unterstützen wollen, können Sie dies hier tun.