Ein wackliger Bauzaun, Protestplakate, bröckelnder Putz – und keine Mieter. In Friedenau gammelt ein eigentlich wunderschönes Jugendstilhaus mit 16 Wohnungen seit 21 Jahren vor sich hin. Statt Menschen leben hier Fledermäuse und ein Fuchs. Überall übler Verfall. Doch eine Gruppe unbeugsamer Rentnerinnen will das nicht länger hinnehmen! Sie kämpfen für das Haus, genannt „die Flora“ – mit Protestaktionen, Ausdauer und einer Unterschriftensammlung.
Das Haus steht an der Ecke Odenwald- und Stubenrauchstraße. Noch im Jahr 2005 hatte ein Architekt dort sein Büro. Eines Tages ließ die Besitzerin die Schlösser austauschen, ohne Vorankündigung. Der Architekt kam nicht mehr hinein – seitdem ist das Gebäude ungenutzt. Aber ganz leer steht es doch nicht. Ein Fuchs hat sich im oberen Stockwerk eingerichtet.
Von außen wirkt das Haus wie aus der Zeit gefallen. An den Fenstern kleben verblichene Frauenporträts: Rosa Luxemburg, Hannah Arendt und sogar Pippi Langstrumpf. Ingrid Schipper (77) steht am Zaun vor dem Haus, wo ein Bettlaken mit der Aufschrift „Die Unbeugsamen“ im Wind flattert. „Tja, unbeugsam, das sind wir“, sagt Ingrid und meint damit die Rentnerinnen der Nachbarschaftsinitiative Friedenau, die Behörden und die Politik auf Trab halten.
Odenwaldstraße/Stubenrauchstraße – hier verwahrlost Haus Flora
Ingrid setzt sich mit unermüdlicher Ausdauer für die Renovierung des alten Gebäudes ein – seit gut zehn Jahren. „Wie kann ein derartiges Haus mit Platz für 50 Menschen leer stehen, wenn in Berlin so ein Wohnraummangel herrscht?“, fragt die einstige Lehrerin und schüttelt den Kopf. In Berlin stehen tatsächlich um die 40.000 Wohnungen dauerhaft leer. Allein in der Flora 16 davon.

Schon seit Jahren muss Ingrid den Verfall mit ansehen. Sie wohnt nur ein paar Ecken weiter. Die Idee, gegen den Verfall des Hauses zu kämpfen, kam von einer Freundin. Sie war Architektin und wusste ein wenig was über das Haus. Sie sagte: „Das wäre doch ein starkes Projekt für Rentnerinnen“, erinnert sich Ingrid. Sie schmunzelt, denn da lief die Architektin bei Ingrid natürlich offene Türen ein. Diese startete direkt einen Aufruf auf nebenan.de: „Daraus entstand eine Gruppe, dann ein Verein, der heute rund 30 Mitglieder zählt.“ Zehn bis 15 sind regelmäßig aktiv. Fast alle sind Frauen und fast alle im Ruhestand.
Rentnerinnen halten den Bezirk auf Trab
Die Damen treffen sich einmal im Monat, inzwischen waren es schon 114 Treffen. Sie sind so etwas wie moderne Besetzerinnen, die der Polizei aber clever aus dem Weg gehen und dennoch mit symbolischen Aktionen für Wirbel sorgen. „Wir haben das Haus auch schon mal in Obhut genommen, nur kurz, einfach um auf den Leerstand aufmerksam zu machen. Aber da kommt die Polizei innerhalb von 24 Stunden.“ Am 1. Mai dieses Jahres sind sie dann wieder heimlich ins Haus geschlichen, um Transparente aufzuhängen.

Den Verfall des Geisterhauses mit ansehen zu müssen, „ging mir wirklich nahe“, sagt Ingrid. Heute, nach so vielen Jahren, ist sie „abgebrühter“. Klar könne sie sich vorstellen, dort zu wohnen. Das wollten viele am Anfang. „Wäre ja schön, wenn ich zu Lebzeiten noch miterleben dürfte, dass das Haus wieder bewohnbar wird“, sagt sie und lacht. Aufgeben kommt nicht infrage. „Niemals!“, sagt sie.
Die Angst vor der Zwangsversteigerung
Die große Sorge ist, dass das Haus zwangsversteigert wird. Das wäre wahrscheinlich das Ende des kultigen Gebäudes, denn eine Renovierung würde wohl zu viel kosten: „Dann reißt es jemand ab, und das darf nicht passieren.“ Der Traum ist, dass der Verein das Haus übernimmt, herrichtet und an junge Menschen vermietet.

Die Flora gehört einer älteren Frau. Diese lässt sich nicht oft blicken. Laut Ingrid hat die Dame wohl mehrere solche Leerstandshäuser in Berlin. Der KURIER berichtete bereits über die Geisterhaus-Ruine in Wedding, wo Spatzen den Abriss verhinderten. „Ab und zu tauchen mal Handwerker vor der Flora auf“, sagt Ingrid, aber getan hat sich eigentlich nichts.
Die Flora in Friedenau in Pilotprojekt des Senats aufgenommen
Ingrid erzählt, dass sie während der Corona-Zeit mit der Initiative angefangen haben, solche Leerstandadressen zu sammeln. Da kamen am Ende rund 80 Häuser in Berlin zusammen. Darunter auch ein paar Einfamilienhäuser, aber vor allem große Altbauten.

Was kann man gegen diesen Leerstand tun? Die Initiative hat sich tief in Berliner Gesetze und politische Verfahren eingelesen. Laut Zweckentfremdungsverbotsgesetz ist Leerstand eigentlich nicht mehr erlaubt. Doch der Bezirk ist bisher gescheitert. Die Flora in Friedenau wurde Ende 2022 in ein Pilotprojekt des Senats aufgenommen. Drei Häuser in Berlin sollten auf diesem Weg saniert werden. Trotz Zusage des Senats für eine rechtliche und finanzielle Unterstützung ist nichts passiert.

Seit 2018 gibt es auch die Möglichkeit, einen Treuhänder einzusetzen, wenn Eigentümer Wohnungen leer stehen lassen und nichts unternehmen. Und für die Flora steht sogar einer bereit. Eine landeseigene Wohnungsbaugesellschaft könnte das Haus übernehmen und instand setzen. „Das ist unser Ziel. Wir hoffen, dass der Bezirk den Vertrag schließt. Es gibt immer ein großes Aber. Und wir kämpfen gegen dieses Aber.“
Unterschriften für ein Jugendstilhaus
Im September will die Initiative Tausende gesammelte Unterschriften an das Bezirksamt übergeben. Der Appell richtet sich direkt an Bezirksstadträtin Eva Majewski. In der Petition fordern sie die Bezirksstadträtin auf, den Treuhänder einzusetzen, um den jahrzehntelangen Leerstand der Flora zu beenden. Auf die Anfrage des KURIER teilte das Bezirksamt mit, dass Fragen aufgrund einer Erkrankung des zuständigen Kollegen nicht beantwortet werden könnten. Die Eigentümerin des Hauses hat auf eine schriftliche Anfrage des Berliner KURIER nicht reagiert.

Die Petition für Flora finden Sie hier.