Krasser Bestattungs-Trend! „Reerdigung“: In Berlin können Sie sich bald kompostieren lassen – DAS steckt dahinter
Die Berliner Gründer von „Meine Erde“ treffen mit ihrem Angebot einen Nerv. Umweltbewusste würden sich gern für die Bio-Beerdigung entscheiden, doch in Berlin ist das bisher noch nicht möglich.

In Fontanes Ballade vom Herrn Ribbeck im Havelland lässt der verblichene Gutsherr einen Birnbaum auf sein Grab pflanzen. In den Birnen, die Jahre später aus der Erde wachsen, steckt immer auch ein Stück seiner Güte, so wird der Wohltäter unsterblich. Der Gedanke ist so alt wie tröstlich: Nach dem Tod wollen Menschen in den natürlichen Kreislauf vom Werden und Vergehen eingehen. Etwas Bleibendes zurücklassen, neu werden. Nach dem Tod als nährende Erde neues Leben schenken, so einfach, so gut.
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Schon in der Bibel heißt es schließlich „Erde zu Erde“. Doch so einfach ist das gar nicht. Die Bestattungsform der Reerdigung, bei der ein Körper schneller wieder zu Erde wird, schickt sich gerade erst an, unsere Beerdigungskultur zu revolutionieren.
Das Neuköllner Unternehmen „Meine Erde“ will die neue, uralte Form des Umgangs mit einem Körper nach dem Tod in Deutschland möglich machen. Europaweit sind die Neuköllner die ersten. Bisher ist die Kompostierung oder die Reerdigung aber nur in Schleswig-Holstein erlaubt.
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„Papa, mach doch mal was Vernünftiges“
Den Anfang machten 2020 die Kinder von Pablo Metz. Bewegt und besorgt über die Herausforderungen des Klimawandels für ihre und zukünftige Generationen, sagten sie zu ihrem Vater: „Mach doch mal was Vernünftiges.“ Wo im Alltag ließe sich also die Produktion von Kohlendioxid noch vermeiden? „Mit diesem Auftrag sind wir auf die Suche gegangen“, erzählt Pablo Metz. Er und seine Mitgründer Benita Krahforst und Max Huesch verstehen sich als Problemlöser.
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Gleichzeitig war in der Familie der Abschied von der 96-jährigen Großmutter Thema. Die Frage stand im Raum: „Wie willst du es, wenn du gehen musst?“ Doch von den beiden bisher verfügbaren Varianten einer Bestattung passte keine so richtig gut: weder die Feuerbestattung mit Urne noch die Beerdigung im Sarg.
Ein Problem lag auf der Hand. Pablo Metz und seine Mitstreiter setzten in den folgenden Monaten alles daran, es zu lösen – und trafen dabei auf einen veränderten Zeitgeist.

Zurück zur Natürlichkeit und Urinstinkten
„Die Menschen wollen zurück zu Urinstinkten, zur Natürlichkeit“, glaubt Pablo Metz. 90 Prozent der Menschen in Berlin entscheiden sich mittlerweile für eine Feuerbestattung, doch das Brachiale des Feuers, die Proportionen, die irgendwie nicht stimmen, schrecken viele eigentlich ab. Doch bezahlbare Alternativen gibt es, bis auf die klassische Erdbestattung, im christlichen Kulturkreis bisher nicht.
Die Feuerbestattung wurde vor 150 Jahren erfunden. Sie frisst Ressourcen. Der energieintensive Abschied passt vor allem für diejenigen nicht, die sich doch zu Lebzeiten bemühten, den Ausstoß von Kohlendioxid zu minimieren. Warum nicht auch in der Bestattungskultur neue, verträgliche Wege für Mensch und Planet gehen? Die Zeit scheint reif für eine Bio-Bestattung, die mit 2100 Euro preislich mit den herkömmlichen Formen vergleichbar ist.
Körper sind biologisch abbaubar
„Körper werden, wenn man sie begräbt, von allein wieder zu Erde“, erklärt Pablo Metz. Tiere, Pflanzen und auch Menschen sind biologisch abbaubar. Je nach Region und Umweltbedingungen geht das schneller oder dauert es länger. Temperatur und Luftfeuchtigkeit sind die Parameter, die den Prozess der Zersetzung bestimmen. „In den Tropen geht es schneller“, sagt Pablo Metz, der auf dem Weg zu einer Lösung ganz zu Beginn seiner Forschung auch schon mal ein Hühnchen in den Gartenkomposter gesteckt hat.
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Am Ende der Forschung mit Experten und Fachleuten, unter anderem von der Uni Leipzig, stand die Reerdigung, bei der der natürliche Prozess der Zersetzung durch Mikroorganismen und die Parameter Temperatur und Luftfeuchtigkeit technisch überwacht und genau gesteuert wird. In einen Behälter, Pablo Metz nennt ihn Kokon, wird der Körper des Verstorbenen auf ein Bett aus Heu und Stroh gelegt, dann wird der Kokon vierzig Tage lang verschlossen.

Die Mikroorganismen, die zu Lebzeiten unseren Körper bevölkern und gesund halten, sorgen nach dem Tod dafür, dass er wieder zu fruchtbarer Erde wird, vorausgesetzt, dass die äußeren Bedingungen stimmen.
Anders als bei einer Bestattung im Sarg, wo keine Luft zirkuliert und Leichname teilweise jahrzehntelang nicht verwesen (googeln Sie mal nach dem Phänomen der Wachsleiche), entstehen im Kokon Temperaturen bis 70 Grad Celsius.
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„Eine Art natürliches Fieber, welches auch Krankheitserreger abtötet“, erklärt Pablo Metz. Lediglich Sauerstoff und Wasser würden dosiert hinzugefügt, der Kokon werde regelmäßig hin und her gewiegt. Nach vierzig Tagen, auch in vielen Religionen eine Spanne des Übergangs und der Veränderung, wird die kompostierte Humuserde entnommen. Die Knochen, die in der Erde bleiben und nicht zersetzt werden, werden gemahlen und dann der Erde wieder zugefügt.
Erde muss auf dem Friedhof beigesetzt werden
Eingeschlagen in ein Tuch wird die komplett ungefährliche Erde, die keine Schwermetalle, Krankheitserreger oder sonstige Stoffe enthält, dann auf einem Friedhof beigesetzt und kann bepflanzt werden. In Deutschland gibt es neben vielen weiteren Auflagen den Friedhofszwang, er gilt auch bei einer Reerdigung.

Überhaupt gelten für Bestattungen viele Regeln. 16 Friedhofs- und Bestattungsgesetze gibt es – für jedes Bundesland eigene. Bisher hat man nur in Schleswig-Holstein ein Jahr lang eine Pilotphase mit Reerdigungen auf Grundlage der bestehenden Gesetze durchgeführt. Jetzt steht dort eine Novelle des Bestattungsgesetzes an. Parteiübergreifend erfährt die neue Bestattungsform dort Zuspruch. Der erste Kokon steht in Mölln, in Kiel kommt ein weiterer Standort hinzu und in einem weiteren Bundesland im Norden soll es schon bald ebenso einen Kokon geben.
Bestattung: Kompostierung und Reerdigung in Berlin
„Auch in Berlin wären Reerdigungen gesetzlich möglich“, mein Pablo Metz. Die Sargpflicht, die Friedhofspflicht, die Totenruhe, alle geltenden Regeln würden in dem neuen Verfahren berücksichtigt. In der zuständigen Senatsverwaltung für Umwelt sagen die Abteilungsleiter, mit denen Pablo Metz spricht, es könne jederzeit losgehen. Auch der evangelische Friedhofsverband gibt grünes Licht. „Das Einzige, was fehlt, ist der politische Wille“, sagt Metz. „Das Go von oben, dass sich jemand traut, den ersten Schritt zu machen. Das Netzwerk in Berlin steht jedenfalls.“
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Das Feedback in der Branche sei überwältigend positiv. Bestatter, Kirchen, Friedhofsverwaltungen, selbst Krematorien wollen die Gründer ins Boot holen. Denn auch dort könnten Kokons stehen, die neue Form der Bestattung angeboten werden. Am Tag sterben 2500 Menschen in Deutschland. Es täte dem Planeten gut, wenn ihre Energie, ihre Nähstoffe dem natürlichen Kreislauf wieder zugeführt würden, anstatt weiter Ressourcen zu verbrauchen.

„Dies ist die Chance, etwas anzubieten, das viele Menschen als passend empfinden“, sagt Pablo Metz. Es gehe darum, neue Alternativen möglich zu machen. Umfragen zeigen, dass Ökologie und Nachhaltigkeit bei Bestattungen für viele Menschen immer wichtiger werden.
Pablo Metz’ Großmutter ist mittlerweile mit fast 100 Jahren gestorben. Sie wurde nach einer Reerdigung bestattet. Und seine Kinder? Die finden es gut, dass ihr Vater die Welt und unsere Bestattungskultur ein bisschen gesünder und ökologischer machen will.