Am stillen Hausotterplatz in Berlin-Reinickendorf geht man an der wartenden Monika Heintze glatt vorbei. Die Dame in Weiß dort kann doch unmöglich die 86-jährige Autorin sein, die gerade ihr erstes Buch veröffentlicht hat? Eine Runde weiter um den Platz mit den hohen Bäumen – und sie ist es doch.
Monika Heintze hat mit bald 90 Jahren eine Erzählung über eine Kindheit im Krieg und ein Aufwachsen in den Jahren danach geschrieben. Ihre Protagonistin, Hanna, steht für viele dieser kniestrümpfigen, flechtzöpfigen Kinder in Berlin, die sich mit herben Müttern und oft abwesenden Vätern durchschlagen mussten.
Auch wenn Monika Heintze eine Zeitzeugin ist, und selbst im Reinickendorfer Kiez am Hausotterplatz aufwuchs, autobiografisch ist das Buch mit dem Titel „Alles muss versteckt sein“, das gerade im Jaron-Verlag erschienen ist, nicht. Zu sehr hat Monika Heintze beim Schreiben die Lust am Erfinden gepackt. „Ich fand es wunderbar, mich überraschen zu lassen von meinen eigenen Einfällen“, sagt sie.
Lebensechte und unverwüstliche Göre
„Geschrieben habe ich eigentlich schon immer“, sagt die 86-Jährige. „Als 13-Jährige zu Hause heimlich versteckt unter den Hausaufgaben. Vorzugsweise Gedichte über tragisch-endende Liebesromanzen. Natürlich gereimt. Ich bin froh, dass ich sie irgendwann entsorgt habe.“
Doch erst ganz spät in ihrem Leben veröffentlichte sie nun ihr erstes Buch. Ein Glück, denn die Hauptfigur Hanna ist eine so lebensechte und unverwüstliche Berlin-Göre, wie man es sich nur wünschen kann. Mit ihren Gedanken, die Heintze in einer fein beobachtenden, nie überfrachteten Sprache hörbar werden lässt, tauchen wir in eine Zeit ein, die Familien über Generationen hinweg bis heute prägt.
„Hanna ist eine eigenständige Person, ich war längst nicht so mutig wie sie“, sagt Monika Heintze über ihre Roman-Figur. „Aber ich bin in einem ähnlichen Umfeld wie sie aufgewachsen.“ Durch Hannas Augen betrachtet der Leser das Berlin der letzten Kriegstage, die Erschütterungen, die auch nach Kriegsende lange in den Familien nachwirken.

Hannas Mutter ist harsch, verbissen versucht sie, dem Mädchen mit Hieben und Erniedrigung den Weg in die ungewisse Zukunft zu ebnen. Doch in Dingen, die sie selber mag, wie in der Malerei, der Bildhauerei, beim Schlittschuhlaufen unterstützt sie Hanna. Schon mit fünf Jahren weiß Hanna, dass Verstecken nicht nur ein Spiel ist. Wenn in der Sommerfrische am Wandlitzsee die Bomber kommen, kann es überlebenswichtig sein. Doch nicht nur vor den Fliegern versteckt sich Hanna, auch vor dem Macht- und Kontrollanspruch der Mutter, die sich das quirlige, fantasiebegabte Kind gefügig machen will.
Versehrte Seelen im zerbombten Berlin
Aber in der schotterigen Kindheit und Jugend im zerbombten Berlin, mit all den versehrten Seelen und Engpässen an Nahrung, Raum, Zeit und Zuwendung sind da auch immer wieder Menschen, die Licht in den Alltag lassen. Die Lehrerin, die Hannas Kraft und Stärke erkennt, und sie an sich selber glauben lässt. Oder Günter Puschel, Hannas erster Freund, der sie aus so manchem Schlamassel wieder raushaut.
„Günter gab es wirklich“, gibt Monika Heintze zu. Doch habe er sich in Wirklichkeit damals kein bisschen für den Teenager Monika interessiert. „Es war eine späte Wonne, meine Jungmädchenträume in der Erzählung wahr werden zu lassen“, lacht Monika Heintze.
Wir radeln durch die Mittelbruchzeile, Holländer-, Breitkopf- und Residenzstraße. Günter weiß Bescheid. Von der Seestraße abbiegen aufs Nordufer, noch mal rechts und noch mal links, und da liegt er vor uns, der Plötzensee. Decke an Decke, gerammelt voll, der Strand.
Manuskript an viele Verlage gesendet
Überhaupt sei sie ein ziemlich lebensbejahender Mensch und zielstrebig obendrein. Anders ist es kaum zu erklären, dass sie mit fast 90 Jahren noch als Debüt-Autorin Erfolg feiern kann. Am besten kann Monika Heintze am Morgen schreiben, „da bin ich am präsentesten“. Und beim Spazierengehen entspinnt sich der Fortgang einer Geschichte besonders gut.

Die Hauptsache aber ist: „Ich schreibe sehr langsam“, sagt Monika Heintze. „Ich korrigiere Satz für Satz und ich weiß nie haargenau, wie es jetzt weitergeht. Das macht für mich die Spannung aus.“ Auch beim Malen, ihrer eigentlichen künstlerischen Ausdrucksform, ist es der Raum zwischen Leinwand und Künstler, die Offenheit für das, was sich ausdrücken, niederschlagen, abbilden will, was Monika Heintze fasziniert. Auch heute noch entstehen aus ihrer Hand Ölgemälde, am 11./12. Oktober 2025, von jeweils 13 bis 19 Uhr veranstaltet sie einen Tag des offenen Ateliers.
Monika Heintze hat ihr Manuskript, das eher zufällig entstand, an viele Verlage geschickt. Doch erst als sie mit dem Exposé buchstäblich ans Fenster des Jaron-Verlags klopfte, wurde wirklich ein Buch aus ihren Ideen.
Am Anfang zitterten die Hände
„Mensch, das wird ja ein Roman“, habe sie irgendwann nach vielen Schreibtreffen mit Freundinnen gedacht. Den letzten Schliff erhielt die Geschichte um Hanna, die so sehr darum kämpft, Künstlerin zu werden, dann im Autorenforum Berlin e.V. „Die Anregungen des Autorenforums sind bis heute immer wieder Geschenke für mich“, sagt Monika Heintze. Am Anfang zitterten ihre Hände bei jedem Vorlesen beim Umblättern der Seiten. Mittlerweile ist die Textarbeit ihr zur lieben Herausforderung geworden.
Alles will ich so malen, wie es in echt aussieht. Tiere und Blumen und schöne Mädchen mit langen Haaren, die mir Fräulein Wolters im Buch von einem Maler aus Frankreich gezeigt hat. Die kaputten Häuser in der Klemkestraße und den vielen Schutt überall, das will ich nicht malen.
Jeden Tag schreibt Monika Heintze dennoch nicht. „Dazu habe ich gar keine Zeit“, sagt sie. Wie andere 86-Jährige habe auch sie Termine bei der Physiotherapie und bei Ärzten. Ansonsten gilt es Ausstellungen vorzubereiten, Lesungen zu organisieren. „Das hält mich frisch.“ Unerschütterlich schaut Monika Heintze auf das, was das Leben noch für sie bereithält. „Es gehen immer wieder neue Türen auf und ich gehe für gewöhnlich hindurch“, verrät sie. Dazu gute Filme, Musik, Reisen: „Mir ging es noch nie so gut wie in den letzten zehn Jahren.“ Und auch das will sie ihren Lesern und Leserinnen neben den Erinnerungen an früher mit auf den Weg geben: „Es geht auch mit 86 Jahren noch so vieles. Erwarten Sie das Gute im Leben, halten Sie sich offen für gute Wendungen.“
Das zweite Buch hat Monika Heintze übrigens schon fast fertig. „Ich muss doch Hanna auf ihrem Weg zu sich selbst noch ein Stück begleiten.“

Monika Heintze ist Berlinerin. Schon als Kind begeisterte sie sich für Kunst, später unterrichtete sie Kunst an einer Sonderschule für lernbehinderte Kinder. Bis heute nimmt sie mit ihren Gemälden an Ausstellungen im In- und Ausland teil. Das Schreiben hat sie vor etwa sechs Jahren für sich entdeckt.