Alles ist so still geworden

Shopping-Meile Friedrichstraße? Die Zeit des Luxus-Boulevards ist vorbei

Bei einem Bummel über die Friedrichstraße werden die großen Fragen unserer Zeit sichtbar. Wer hat endlich eine zeitgemäße Idee für die weltberühmte Straße?

Author - Stefanie Hildebrandt
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Die Friedrichstraße ist im Wandel. Sie war es schon immer.
Die Friedrichstraße ist im Wandel. Sie war es schon immer.Emmanuele Contini/Berliner KURIER

Der Patient Friedrichstraße: Vom beliebten Shoppingboulevard stieg die Meile in den letzten Jahren ab zu einer x-beliebigen Straße irgendwo in Mitte. Auf ihrem Weg in die Zukunft muss die Einkaufsstraße mit Geschichte noch einige Hürden nehmen. Ein Besuch an einem ganz normalen Tag im Mai.

Dussmann als letzter großer Anker auf der Friedrichstraße

Vom Bahnhof Friedrichstraße, wo auch tags die Obdachlosen auf ihren Matten unter der S-Bahnbrücke liegen, geht es zuerst einmal schräg rüber zu Dussmann. In dem Buch-Kaufhaus gibt es einen Berlin-Shop, in dem sämtliche Werke über und aus Berlin angeboten werden. Es gibt Gummibären in Form des Brandenburger Tors und viele weitere Berlin-Devotionalien. Man könnte hier glatt meinen, man wär’ wirklich in einer Weltstadt.

Reiseführer mit Blick in die Vergangenheit

Ein ganzes Regal steht da voller Berlin-Reiseführer und beim ersten, willkürlichen Griff gleich ein Treffer. Im Buch „Berlin Kurztrip“ aus dem Trescher-Verlag findet sich auf Seite 86 noch ein alter Eintrag zu den Galeries Lafayette. Mit dem überbordenden internationalen Angebot des KaDeWes könne die dortige Lebensmittelabteilung zwar nicht mithalten, steht da, doch dafür „findet sich so ziemlich alles, was Frankreich an Delikatessen zu bieten hat.“ Dass spätestens mit der Galeries Lafayette, die 2024 schließen musste, eine ganze Straße vor aller Augen ins Taumeln geriet, wird anschließend nur mit einem dürren Satz erwähnt.

Die Galeries Lafayette auf der Friedrichstraße, seit 2024 geschlossen, strahlt der leere Bau Orientierungslosigkeit aus.
Die Galeries Lafayette auf der Friedrichstraße, seit 2024 geschlossen, strahlt der leere Bau Orientierungslosigkeit aus.Hildebrandt

Der Blick in den Reiseführer ist ein Blick in die Vergangenheit. Im selben Band geht es so weiter: „An der Friedrichstraße tut sich – zumindest für die zahlungskräftige Klientel – eine Shoppinggegend erster Güte auf.“

Doch die Zeiten, in denen Touristen mit vollen Einkaufstüten auf der über drei Kilometer langen Meile flanierten, sind längst vorbei. Heute bewegen sie sich höchstens noch in Richtung Checkpoint Charlie. Vorbei an billigen Souvenir und Klimbim-Läden, Döner-Imbissen und einer schnöden dm-Filiale. Allein bei Dussmann am östlichen Ende der Straße laufen die Geschäfte gut. Mit 45 Millionen Euro schaffte das Kulturkaufhaus im Vorjahr einen neuen Umsatzrekord. Dussmann, der letzte Rettungsanker einer Geschäftsstraße mit Historie.

Bewegte Geschichte der Friedrichstraße

In den Bussen, die Touristen durch die seit einiger Zeit wieder für den Autoverkehr geöffnete Straße kutschieren, erzählen Stadtführer vom Ruf, den die Straße einst genoss. Um 1900 galt Unter den Linden als „Laufstraße“, die Leipziger Straße als „Kaufstraße“ und die Friedrichstraße in Bahnhofsnähe mit ihren Spelunken als „Saufstraße“. Davon ist man heute weit entfernt.

Nicht mal einen Kaffee to go wollen die wenigen Passanten heute bei Boody trinken. Der junge Mann hat seinen kleinen Laden seit sieben Monaten und er ist enttäuscht, wie wenig hier los ist. Er hoffe auf den Sommer, sagt er, auf etwas mehr Umsatz. „Wir haben alles, Waffeln, Eis, Kaffee und Kuchen, aber es kommen zu wenig Leute.“ In einer der teuersten Gegenden der Stadt muss die Miete besonders hart verdient werden.

Leere Geschäfte und wenig Kunden in der Friedrichstraße. Boody wartet darauf, dass endlich mehr lost ist.
Leere Geschäfte und wenig Kunden in der Friedrichstraße. Boody wartet darauf, dass endlich mehr lost ist.Hildebrandt

Dass die Friedrichstraße gerade dabei ist, sich wieder einmal zu erfinden, ist nicht neu. Im kalten Krieg war hier die Trennung zwischen Ost und West besonders deutlich erfahrbar. Am Checkpoint Charlie erzählen die Sandsäcke diesen Teil der Geschichte, am anderen Ende der Straße war der Tränenpalast Ort schmerzvoller Abschiede und Passagen voller Angst zwischen Ost und West. Nach der Wende wurde die Friedrichstraße, besonders der Ost-Teil in Mitte, mit neuen Bauten zu einem glitzernden Shopping-Areal aufgepimpt.

Kreditkarten Jet-Set ist woanders hingeflogen

Bedenken darüber, ob das wirklich nötig war, zerstreuten sich schnell, als ein internationales Publikum mit goldenen Kreditkarten nach Berlin einflog und sich dem Kaufrausch ergab. Heute ist der Jetset wieder abgeflogen. Kauffreudige Russen gibt es auch nicht mehr, um die Ecke am Gendarmenmarkt schloss das Hotel Regent seine Türen. Die Bauarbeiten am schönsten Platz in der Gegend vergraulten weiteres Publikum. Selbst beim dortigen Platzhirsch Luther und Wegner sind viele der weiß gedeckten Tische an diesem Mittag frei.

Ein schöner Blick auf den sanierten Gendarmenmarkt. Von dort aus ist es gar nicht weit zur Friedrichstraße, doch die Anreize mal rüber zu gehen, fehlen.
Ein schöner Blick auf den sanierten Gendarmenmarkt. Von dort aus ist es gar nicht weit zur Friedrichstraße, doch die Anreize mal rüber zu gehen, fehlen.Markus Wächter

Anreize, in der nahe gelegenen Friedrichstraße zu flanieren, gibt es nur noch wenige. Man nennt es wohl Downsizing, wenn statt internationaler Luxusmarken nun das Sanitätshaus Seeger eine Filiale auf der Friedrichstraße eröffnen will. Nebenan will die Meat Company einziehen. „Coming soon“ steht am Fenster und man hofft, dass das doch noch für die gesamte Straße gilt. Immerhin: im edlen Quartier 205 wird ein großer Laden im Erdgeschoss umgebaut, ein Fahrradgeschäft soll einziehen. „Aber hochpreisig“, sagt einer der Bauarbeiter. Die Männer kaufen sich übrigens um die Ecke im Rewe City ihr Mittagessen günstig ein. Das echte Leben, es zieht irgendwie an der Friedrichstraße vorbei.

Das Sanitätshaus Seeger will eine Filiale auf der Friedrichstraße eröffnen.
Das Sanitätshaus Seeger will eine Filiale auf der Friedrichstraße eröffnen.Hildebrandt

Ein Fahrradladen allerdings, der passt zur Straße und zum Zeitgeist. Denn das Kapitel Fahrrad und Fußgänger in der Friedrichstraße war mehr als heiß diskutiert. Der Versuch, die Meile als Fußgängerzone mit Radler-Highway neu zu denken, scheiterte. Zu halbherzig und wenig geduldig mutete der Vorstoß der Grünen im Bezirk an. Das Hin und Her um die Durchfahrt nervte die Berliner und verwirrte Gäste. Heute quetschen sich die Radler wieder an Liefer-Lkws vorbei, für keinen der Verkehrsteilnehmer auf der Friedrichstraße ist die Situation optimal.

Am anderen Ende der Straße gen Linden strolchen derweil Autofans bei der edlen VW-Niederlassung um die Modelle im Schaufenster herum. Neben den neuen Karossen wird besonders oft der rote VW-Käfer fotografiert. Nostalgie und Zukunft, an den Schaufenstern in der Friedrichstraße lässt sich gut ablesen, dass die Stadt, ja vielleicht das ganze Land, nach einer Identität sucht, die ins Morgen trägt. E-Mobilität, teure Schönheitskliniken, Lifestyle, der Umweltschutz mitdenkt auf der einen Seite weisen den Weg in die Zukunft. KPM, der derzeit geschlossene Pop-up-Stollenshop der Bäckerei Krause und das Bürgelhaus erzählen von Traditionen, auf die man auch stolz sein darf.

Wenig Luxus auf der Friedrichstraße, dafür mehr Menschen

Immerhin halten ein paar der großen Marken auf der Friedrichstraße tapfer die Stellung. Max Mara, Lagerfeld, Massimo Dutti und Boss sind noch da. Auch die Juweliere Bucherer und Wempe bieten weiter Rolex und Co. feil. Doch ist Luxus-Shopping in einer sparenden Stadt wirklich die Antwort? Die neuen Schilder am stillgelegten U-Bahneingang Französische Straße mit der Aufschrift „Nord-Süd“ verstärken die allgemeine Orientierungslosigkeit.

Eine Analyse der Besucherzahlen zeigt, dass die Probleme der Friedrichstraße schon vor der Sperrung für den Autoverkehr begonnen hatten, berichtet die Berliner Zeitung. Der Abwärtstrend setzte bereits vor August 2020 ein, verstärkt durch Lockdowns und Pandemie-Einschränkungen. Zwar gab es seit 2021 eine leichte Erholung, doch im Vergleich zu anderen Berliner Einkaufsmeilen hängt die Friedrichstraße weiter zurück. Während der Kurfürstendamm floriert, bleiben hier weiterhin viele Schaufenster dunkel.

Geht man den Boulevard entlang, wünscht man sich die Studenten aus den nahen Fakultäten der HU her, begrünte Fassaden, eine Bibliothek? All die Künstler, die in der Stadt keine Ateliers finden, all die Kreativen, die andernorts vertrieben werden, sie wüssten schon was anzufangen mit den ungenutzten Boutiquen. Dies hier könnte dann ein Schaufenster einer Stadt, die sich selber wieder etwas zutraut. Die nicht am Tropf von Kapital und Kommerz hängt, sondern sich fragt, was ihre Bürger brauchen. Senkt die Mieten, sucht Zwischenlösungen, überlasst Kunst und Kultur ein Spielfeld, gebt den Berlinern wieder Orte ohne Kaufzwang. Es ist nicht die erste Durststrecke, die die Friedrichstraße überwinden wird, alles bleibt anders in Berlin.