Mietrebellen in Klein-Kleckersdorf

Nach Tod von Miet-Kämpfer Manne: Die Siedlung Am Steinberg gibt nicht auf

In der Siedlung Am Steinberg in Reinickendorf tobt weiter der Streit: Wohnungen sollen verkauft werden, doch die Bewohner stemmen sich gegen ihre Verdrängung.

Author - Stefanie Hildebrandt
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Hartmut Lenz vor der Wohnung des verstorbenen Manne Moslehner in der Siedlung Am Steinberg. Die Bewohner sagen liebevoll Klein-Kleckersdorf.
Hartmut Lenz vor der Wohnung des verstorbenen Manne Moslehner in der Siedlung Am Steinberg. Die Bewohner sagen liebevoll Klein-Kleckersdorf.Emmanuele Contini/Berliner Kurier

An einem strahlenden Vormittag wirkt das verlassene Haus in der Siedlung Am Steinberg sehr einsam: Der himmelblaue Fensterladen hängt schief, Büsche nehmen den Vorgarten ein. Auf der Türschwelle steht ein Plastikfläschchen mit einem Goldrutenzweig, daneben ein LED-Licht. Hier wohnte Manne Moslehner. Mietrebell, Maschinenschlosser, Klassik-Fan.

„Manne war schon ein Aushängeschild“, sagt Hartmut Lenz leise. Der zurückhaltende Ex-Schlosser Moslehner wollte nie ins Rampenlicht und wurde doch zum Gesicht des Widerstands gegen die Investoren, die in Klein-Kleckersdorf seit Jahrzehnten alte Mieter vergraulen wollen. Seit 2010 kämpfen die alten Mieter Am Steinberg um ihr Zuhause. Der Tod von Moslehner am 30. Mai im Alter von 85 Jahren ändert nichts an ihrem Durchhaltewillen. Schon damals gingen sie als „Rentner-Rebellen“ und „Gallisches Dorf“ durch die Medien. „Für uns hat sich seitdem wenig geändert“, sagt Hartmut Lenz.

Mittwochs ist Demo-Tag in Klein-Kleckersdorf

Jeden Mittwoch und jedes Wochenende veranstalten sie ihre Demonstrationen im Kiez, alle drei Monate muss das neu beantragt werden. Auf den Stufen seines alten Hauses stapeln sich die Anmeldungen, ganze Kartons voller Papierkram belegen den Kleinkrieg mit der Am Steinberg Entwicklungsgesellschaft mbH. Immer neue Schikanen sollen die meist über 70-jährigen Bewohner wie Hartmut Lenz und seine Frau Brigitte mürbe machen.

Hartmut und Brigitte Lenz wohnen links in der Haushälfte. Rechts ist der Bruder ausgezogen. Nach der Sanierung zogen neue Nachbarn ein.
Hartmut und Brigitte Lenz wohnen links in der Haushälfte. Rechts ist der Bruder ausgezogen. Nach der Sanierung zogen neue Nachbarn ein.Emmanuele Contini/Berliner Kurier

„Ein paar Wochen vor Mannes Beerdigung kam ein neuer Brief“, erzählt Lenz und sucht nach dem Dokument. Plötzlich sollen er und seine Frau Brigitte mehr zahlen – die Wohnfläche habe sich angeblich geändert. Gleichzeitig flattert eine Kündigungsandrohung wegen „Mietschulden“ ins Haus. Die Wohnung hat 79,5 Quadratmeter, mehrfach gerichtsfest vermessen, der Eigentümer rechnet plötzlich mit 110 Quadratmetern. Ergebnis: 60 Euro mehr Miete. Lenz bleibt gelassen. „Man hat den Eindruck, die wollen das hier nun zu Ende bringen“, sagt er. Das Ziel: die Vertreibung der Bewohner, Luxussanierung, Verkauf der Reihenhäuser zum Höchstpreis.

Lenz’ Großeltern unterschrieben 1920 den ersten Mietvertrag in der Kehrwieder 1. Hier kam Hartmut zur Welt – und hier will er bleiben. „So etwas gibt man doch nicht einfach so auf“, betont er. Seine Plakate im Garten zeigen klare Botschaften, auf dem Sweatshirt steht: „Keinen Bock auf Luxus“. Von den 38 Häuschen sind heute noch rund 15 von Altmietern bewohnt, viele sind mehr als 80 Jahre alt. Ganze Familiengeschichten hängen an diesen Gärten, die früher zur Selbstversorgung dienten.

Am Ende droht immer die teure Sanierung

Nach der Mieterhöhung kam die nächste Hiobsbotschaft: „Nun wollen sie uns mit Inhalt verkaufen“, erzählt Hartmut Lenz. Für 360.000 Euro sollen die alten Bewohner ihre eigenen Wohnungen erwerben – andere Käufer zahlen noch etwas mehr. Aber es ist ein offenes Geheimnis in der Siedlung: Für Eckhäuser wie das von Lenz zahlte der Investor einst nur 35.000 Euro an das Land Berlin. Die Altmieter wurden damals gar nicht erst gefragt. „Auch wenn jemand anderes nun das Haus kauft, ändert sich für uns nichts“, sagt Lenz trocken. Egal, ob Steinberg, Müller oder Schmidt im Briefkopf steht – am Ende droht immer die teure Sanierung.

Hartmut und Brigitte Lenz gehen durch die Siedlung Am Steinberg in Reinickendorf.
Hartmut und Brigitte Lenz gehen durch die Siedlung Am Steinberg in Reinickendorf.Emmanuele Contini/Berliner Kurier

Trotzdem klammert sich das Ehepaar an die Hoffnung, den Lebensabend im geliebten Viertel zu verbringen. „Wir tun alles dafür“, sagt Lenz. So manche Schlacht vor Gericht haben sie ja schließlich auch gewonnen. Mannes Haus um die Ecke verfällt währenddessen weiter. Waschbären hausen im Dach, das Nachlassgericht sucht noch immer nach Erben für den Mietvertrag.

Aus der Siedlung für Witwen wurde eine echte Goldgrube

Die Siedlung wurde nach dem Ersten Weltkrieg als günstiger Wohnraum für Kriegsversehrte, Witwen und Bedürftige errichtet – damals umgeben von Feldern. Der Architekt Ernst Hornig entwarf die idyllischen Häuschen, die heute unter Denkmalschutz stehen und Millionen wert sind. Von 62 Einheiten, darunter drei Mehrfamilienhäuser, hat jede einen Garten. Bis in die 1960er-Jahre pflanzten die Bewohner Kartoffeln und Gemüse. Erst Mitte der 80er gab der Bezirk die Verwaltung ab. Die GSW verkaufte später an einen privaten Investor – der das Projekt unter dem Namen „Stonehill Gardens“ aufpolierte.

Die Zermürbungstaktik läuft weiter

Was Manne Moslehner ertragen musste, erleben die Nachbarn bis heute: Jeder kann der Nächste sein. Hartmuts Bruder hielt dem Druck nicht stand und ist ausgezogen. Das frei gewordene Doppelhaus wurde saniert, inzwischen wohnt dort ein neuer Nachbar. „Die können ja nichts dafür“, sagt Lenz über die Zugezogenen. Junge, wohlhabende Familien, die den Bezirk „aufwerten“ sollen. Und die Alten? Die weniger Privilegierten? Sie werden mit Kündigungsdrohungen, Dixi-Klos vor der Tür und Fake-Halteverbotsschildern mürbe gemacht. „Und mit all dem muss man jeden Abend schlafen gehen“, sagt Hartmut Lenz.