
Der Tag der Deutschen Einheit – und wieder bekommen wir sie zu hören. Die Hits der Wende, die Lieder, die wir dem Umbruch in der DDR zuschreiben, der dann zum Mauerfall in Berlin und zur Wiedervereinigung Deutschlands vor 35 Jahren führte. Es sind Songs, die so klingen, als wären sie genau für diesen historischen Moment gemacht worden. Doch oft trügt der Schein. Der KURIER verrät, was wirklich hinter so manchen Wende-Klassikern steckt und welche wenigen Songs es tatsächlich sind.
„Wind of Change“ von den Scorpions
Es ist der Wende-Hit schlechthin, der im November 1990 auf dem Scorpions-Album „Crazy World“ veröffentlicht wird. Doch als Sänger Klaus Meine „Wind of Change“ schrieb, hatte er weder den Mauerfall, noch die Deutsche Einheit im Sinn. Es war im September 1989, als Meine den Text zu Papier brachte. Da konnte man die epochalen Ereignisse noch nicht ahnen.
In der Tat geht es in Meines Text um eine Wende, mit der aber nicht speziell die Ereignisse in der DDR (Montagsdemos in Leipzig, Massenflucht der DDR-Bürger) gemeint sind. Es ist ein Mega-Konzert in Moskau, auf dem die Scorpions im Sommer 1989 mit anderen West-Bands spielen. Es ist der Wandel in der Sowjetunion, der Meine zu „Wind of Change“ anregt. „Es war nur die gefühlte Interpretation dessen, was wir gerade erlebten. Und es drückte die Hoffnung aus, dass die Welt sich verändert“, sagt Meine im KURIER-Interview.
Fragt man die Scorpions nach ihrem Wende-Hit, bekommt man dennoch genau diesen zu hören: „Wind of Change“! „Weil er mittlerweile so untrennbar mit der Deutschen Einheit verbunden ist“, sagt Gitarrist Matthias Jabs (69) dem KURIER. „Viele Künstler haben sich an Wende-Hits versucht, etwa ein gewisser David Hasselhoff – aber das ist die Festzeltabteilung.“
Auch Scorpions-Gitarrist Rudolf Schenker (77) sagt nur: „Keine Frage: ,Wind of Change‘. Der Song bringt die Ereignisse von damals wie kein anderer auf den Punkt.“ Und was meint der Songschreiber? „Was soll ich sagen: An 250 Orten werden Chöre am Tag der Deutschen Einheitslieder singen – und ,Wind of Change‘ gehört dazu“, erklärt Meine. „Aber für mich gehört auch ,Freiheit‘ von Westernhagen in die Reihe der Wende-Hits.“
„Freiheit“ von Marius Müller-Westernhagen
Dieser Song von Marius Müller-Westernhagen ist ein Paradebeispiel, wie ein Lied schnell zum Wende-Hit wird – dank cleverer Marketingentscheidung. 1987 erscheint „Freiheit“ auf dem Album „Westernhagen“. Der Sänger erklärt später in einem Interview: „Über die Bedeutung des Liedes habe ich mir anfangs keine Gedanken gemacht.“
Auf den Konzerten nach dem Mauerfall 1989 wird dann klar, welche Wucht dieses Lied hat. Die Menschen in Ost und West verbinden es mit dem Ende der DDR-Diktatur. 1990 erscheint eine Live-Version von „Freiheit“ (aufgenommen in der Dortmunder Westfalenhalle) kurz vor der Wiedervereinigung Deutschlands. Der Wende-Hit ist geboren.
„Als ich fortging“ von Dirk Michaelis (Karussell)
Es ist der Klassiker der DDR-Rockgeschichte. Für viele Menschen ist das Lied sogar der Hit der Wendezeit: „Als ich fortging“ von der Band Karussell, gesungen und komponiert von Dirk Michaelis. 1987 erschien das Lied auf dem Album „Café Anonym“ der Band Karussell. Im Herbst 1989 wurde das Lied zur Wende-Hymne in der DDR, als Kommentar auf die Fluchtwelle der DDR-Bürger in Richtung Westen. Zeilen wie „nichts ist unendlich, so sieh es doch ein“ wurden als Abgesang auf den SED-Staat verstanden. In Wahrheit ging es um die Trennung zweier liebender Menschen.
Die Melodie hatte Michaelis schon mit 12 Jahren im Kopf. Den Text schrieb die bekannteste Texterin der DDR: Gisela Steineckert. Die berühmte Zeile „nichts ist unendlich, so sieh es doch ein“ hat auch sie nicht als politische Botschaft gegen den SED-Staat verstanden. „Es ging mir im Text um zwei Menschen, die sich trennen, und einer überlegt, ob sie das Richtige machen“, sagt Steineckert dem KURIER. „Aber so ist es mit Liedern. Sie gehen einfach ihre eigenen Wege.“
„Looking for Freedom“ von David Hasselhoff
Silvesternacht 1989, wenige Wochen nach dem Mauerfall. „Baywatch“-Star David Hasselhoff steht auf einer Kran-Tribüne, schwebt damit von der Westseite des Brandenburger Tores über dem einstigen Todesstreifen in Richtung Osten. Dann schaltet er die auf seiner Lederjacke montierte Lichterkette ein, singt im Vollplayback „Looking for Freedom“. Zuschauer aus Ost und West jubeln. Das ZDF überträgt den legendären Auftritt weltweit.
Danach wird ein Bericht verbreitet, der seinen Ursprung in Hasselhoffs Heimat USA haben soll. Der Star hätte demnach erzählt: Sein Brandenburger-Tor-Auftritt brachte die Mauer zum Einsturz. 2004 sagte er bei einer Berlin-Visite noch, der Song hätte zur deutschen Wiedervereinigung beigetragen.
Alles Bullshit, sagt Hasselhoff Jahre später. Mit dieser Mauerfall- und Wiedervereinigungsgeschichte „hatte ich nie etwas zu tun und habe das auch nie gesagt“, erklärt der Star dem KURIER. „Diese Lüge verbreitet sich noch heute. In Wahrheit habe ich nur einen Song über die Freiheit gesungen.“
Fakt ist: 1978 schrieb der Berliner Musikproduzent Jack White das Lied. 1989 spielte er den Hit mit Hasselhoff neu ein, der wochenlang Nummer 1 in den Charts war.
„Langeweile“ von Pankow
„Aufruhr in den Augen“ heißt das Album der DDR-Kultband Pankow, das 1988 erscheint, als die Wendezeit noch weit entfernt ist. Darauf das Lied „Langeweile“, für viele dennoch ein Wende-Hit. Folgende Zeilen sind der Grund, die Frontmann André Herzberg am Ende singt: „Das selbe Land zu lange geseh’n / Die selbe Sprache zu lange gehört / Zu lange gewartet, zu lange gehofft / Zu lange die alten Männer verehrt.“
Ganz klar: Damit ist der SED-Staat mit den alten Männern im Politbüro gemeint. Meinen die Fans in der DDR, meint auch ein Journalist in einer Talkshow des Westfernsehens, in der Pankow das Lied singt. Der Talkmaster konfrontiert Sänger Herzberg damit. Herzberg weicht aus, das sei „eine persönliche Meinung“, sagt er. Das reicht den alten Männern im Politbüro, daraufhin den Song in der DDR zu verbieten, der damit erst zum Wende-Hit wird.
Heute erzählt Sänger Herzberg: „Langeweile“ sei ein Lied, das beschreibt, wenn sich der Sänger wirklich langweilig fühlt. Und die „alten Männer“? Damit seien die Genossen gemeint gewesen, die in seinem Elternhaus ein und aus gingen. Denn Herzbergs Eltern waren Kommunisten. Und alle klugen Sätze, die sie und ihre Genossen von sich gegeben hätten, waren für Herzberg pure Langeweile.
„Das Eis taut“ von Petra Zieger
Sie war die „Superfrau“, schnurrte „Katzen bei Nacht“ und sang „Der Himmel schweigt“. Alles großartige Songs, mit denen Petra Zieger in den 80er-Jahren zu einer der erfolgreichsten Rock-und Pop-Sängerinnen in der DDR wurde. Und sie lieferte auch einen der wenigen Songs, die man wirklich als Wende-Hit bezeichnen kann – „Das Eis taut“. Das Lied und das gleichnamige Album erschienen 1989 mitten in der Wendezeit. In „Das Eis taut“ sang Petra Zieger, dass keiner mehr Türen haben will, die einem den Weg versperren. Gemeint war natürlich die Mauer.
In der DDR verstand es jeder sofort. Als sich am 9. November die Mauer öffnete, hatte Petra Zieger ihren großen Hit. Für das Video zum Song, der auch Bezug auf die Wiedervereinigung Deutschlands nimmt, durfte die Sängerin zusammen mit der Band sogar auf das Brandenburger Tor steigen! Kein anderer Star vor und nach ihr bekam dieses Privileg. Dank „Das Eis taut“ bekam Zieger eine Einladung in die USA, wo sie das Lied in Philadelphia vor über 500.000 Menschen sang.
„SOS“ von Silly
Auch dieses Lied ist ein echter Wende-Hit, wurde vergangenes Jahr bei den Feierlichkeiten zum 35. Jahrestag des Mauerfalls vor dem Brandenburger Tor in Berlin gespielt. „Wir bezwingen Ozeane/mit 'm gebrauchten Narrenschiff/über uns lacht 'ne goldene Fahne/unter uns ein schwarzes Riff...“, so beginnt „SOS“, den die unvergessene Tamara Danz auf der Platte mit voller Kraft voraus singt, die Anfang 1989 erscheint.