Pankow hat aus Geldnot seinen jungen Schwimmschülern den Schwimmbus gestrichen. Für alle Schulen, die halbwegs in der Nähe der Öffis liegen heißt es fortan: Laufen und Bahn fahren. Die Neuregelung sei aufgrund der „angespannten Haushaltslage“ notwendig, hatte Pankows Schulstadtrat Jörn Pasternack erklärt. Dies fördere die „physische Aktivität“ und „Sozialkompetenz“ der Kinder sowie den Klimaschutz und entlaste Pankows Straßen, verkaufte er die Sparmaßnahme als Gewinn. Doch wie ist es wirklich, mit einer Horde Acht- oder Neunjähriger den Weg zur Schwimmhalle anzutreten? Der KURIER ist mitgefahren.
Pankow sorgt für Notlage an der Schule
Dieser Text entsteht aus einer Not: Weil in der Pankower Grundschule meiner Tochter kurzfristig eine Begleitung für den Weg zur Schwimmhalle gefunden werden muss, verbinde ich das Angenehme mit dem Nützlichen. Ich fahre mit zum Schwimmen, sodass kein Lehrer oder Erzieher ran muss, der dann zur Vertretung oder Aufsicht fehlt. Normal arbeitende Eltern können sich an einem Dienstagvormittag sicher schwer freischaufeln. Dabei ist eine zusätzliche Begleitung unerlässlich. Bei über 20 Kindern in einer normalen Grundschulklasse ist eine Erzieherin im Großstadtdschungel Berlins allein aufgeschmissen. Andere Schulen streichen den Schwimmunterricht gleich ganz.
Mit im schlimmsten Fall fatalen Folgen: Am Donnerstag gab die Deutsche Lebensrettungsgesellschaft (DLRG) bekannt, dass am ersten heißen Sommerwochenende bundesweit 15 Personen ertrunken sind. Das ist extrem viel – die höchste Zahl seit zehn Jahren. In Berlin gab es zwei Badetote. Die Zahl steigt seit Jahren. Schwimmen lernen ist also nicht nice to have, sondern lebenswichtig.

Auch die Pankower SPD-Fraktion befürchtet, dass der „Schulbus-Kahlschlag“ nicht ganz bis zum Ende gedacht ist:„ Diese Entscheidung zeigt, wie wenig Verständnis dieser Stadtrat für die schulische Realität und die Bedürfnisse von Kindern hat““, erklärt der Bezirksverordnete Marc Lenkeit. „Wer den Transport zum Schwimmunterricht ohne Vorlaufzeit und ohne tragfähige Alternative einfach streicht, riskiert nicht nur Unterrichtsausfall, sondern auch die Sicherheit unserer Kinder.“ Viele Schulen hätten weder ausreichend Personal noch Zeit, um die Begleitung über den öffentlichen Nahverkehr zu stemmen, so die SPD-Fraktion. Und da kommen Eltern wie ich ins Spiel.
Mit den Öffis zum Unterricht: Puffer ist alles
Wir treffen wir uns kurz nach halb elf am Schultor. Um 11.15 Uhr müssen wir an der Thomas Mann-Schwimmhalle an der Greifswalder Straße sein, erklärt die Erzieherin. Die Suchmaschine zeigt eine Wegzeit von 21 Minuten von Tür zu Tür an. Wenn alles gut geht. Doch schon am Tor muss ein Mädchen noch einmal umkehren, sie hat ihre BVG-Karte im Klassenraum vergessen. Puffer ist alles, lerne ich. Bisher hat der Bus am Schultor gewartet und die Schüler an der Halle wieder ausgespuckt. Jetzt heißt es: Anreise für Fortgeschrittene.
Die S-Bahn soll in Pankow um 10.45 fahren. Doch an der Anzeige am Bahnhof Pankow, den wir nach einem flotten Fußmarsch erreichen, steht dass die Bahn nach Grünau erst in acht Minuten kommt. „Meine Oma wohnt in Grünau“, erfahre ich von einem Jungen auf dem Bahnsteig, während eine Passantin über den Kopf eines Mitschülers hinweg den Fahrplan studiert.
Opa-Shuttle mit der Linie S8
„Mein Opa fährt die S8“, sagt das Mädchen, das zuvor die BVG-Karte vergessen hatte. Als die Bahn doch pünktlich einfährt schauen alle, ob der Opa wirklich hinter dem Führerstand sitzt. Leider Fehlanzeige.

Die Bahn ist leer und klimatisiert und als wäre er für diese Premiere bestellt worden, kommt auch noch ein freundlicher Kundenbetreuer in den Wagen und checkt auf Wunsch der Kinder ihre Fahrkarten. Im Nu sind wir an der Greifswalder Straße und steigen aus. Der Fußmarsch zur Halle ist an diesem warmen Sommertag gut zu schaffen. Wie es im Winter auf dem Rückweg mit nassen Haaren ist, steht auf einem anderen Blatt. Auch Streiks, Bauarbeiten, SEV und KHSV (Kind hat Schwimmzeug vergessen) sind bei der Ideal-Variante für die Anreise nicht eingeplant. Auch wenn, wie in der Schule am Falkplatz 150 Kinder gleichzeitig an der Straßenbahnhaltestelle stehen sollen, ist Stress vorgprogrammiert
Wir aber treffen auf unserem Weg nur eine Frau mit zwei Hunden im Kinderwagen, umschiffen im Slalom auf dem Gehweg abgestellte E-Roller, komische Flecken auf dem Bürgersteig und passieren einen Wochenmarkt. Soziale Kompetenzen haben die Kinder der Klasse 3d auf ihrem Weg jeden Fall unter Beweis gestellt.

„Heute sind es nur 17 Kinder, sagt die Erzieherin.“ Das vereinfache die Tour sehr. „Das Unternehmen, mit dem man bisher zusammen arbeitete hat gerade einen neuen großen Bus angeschafft, damit drei Klassen hineinpassen“, erzählt die Erzieherin weiter. Das Unternehmen erwäge, gegen die Einstellung des Fahrservices in Pankow zu klagen.
Für 2200 Pankower Kinder fallen die Busse ab dem kommenden Schuljahr weg. 25 der insgesamt 48 Grundschulen müssen umplanen.
Auf dem Rückweg aus der Halle haben die Erzieherinnen nun aber ein neues Druckmittel zur Hand, wenn sie zur Eile mahnen. „Oder wollt ihr eine halbe Stunde auf die S-Bahn warten?“, fragen sie die Kinder. Mit dem verpflichtenden Schwimmunterricht sind Zeiten in der Hallen verbunden, aber auch Schulstunden müssen geblockt sowie Zeitfenster für das Mittagessen eingeplant werden. Dass man auf dem Weg Sozialkompetenzen erlernt und sich bewegt, stimmt. „Bus war schöner“, sagen die Kinder der Klasse 3d trotzdem mehrheitlich.