In Berlin-Mitte braut sich Streit zusammen: Während die einen vom baldigen Ende des Durchgangsverkehrs träumen, fürchten andere um ihre gewohnte Mobilität. Zwölf Kiezblocks sollen laut Bezirksamt bis Frühjahr 2026 entstehen – verkehrsberuhigte Wohngebiete zwischen großen Straßen, die Lebensqualität versprechen. Doch nicht alle Anwohner jubeln.
Besonders im Kiez rund um die August- und Tucholskystraße regt sich Widerstand, schreibt die Berliner Zeitung. Die Initiative „Kiezblockfree“ erhebt schwere Vorwürfe gegen das Beteiligungsverfahren, das aktuell auf der Plattform kiezblocks-mitte.de läuft. Dort können Bürger noch bis zum 7. April ihre Meinung einbringen. Doch genau hier beginnt der Ärger: Aus Sicht der Kritiker fehlt die entscheidende Frage – nämlich, ob die Menschen überhaupt einen Kiezblock wollen.
Was das Bezirksamt als Bürgerbeteiligung verkauft, empfindet die Initiative als fragwürdig, so die Berliner Zeitung. Man sehe hier eher eine Legitimationsstrategie für längst getroffene Entscheidungen. Der suggerierte gesellschaftliche Konsens entspricht laut der Gruppe keineswegs der Wirklichkeit. Tatsächlich läuft bereits eine Klage gegen die bestehende Pollersperre an der Kreuzung Tucholsky-/Auguststraße, über die das Verwaltungsgericht am 5. Mai entscheiden soll.
Auch methodisch sieht „Kiezblockfree“ gravierende Mängel. Die Informationen zur Beteiligung seien kaum auffindbar und würden nur ein ohnehin schon informiertes Publikum erreichen – von echter Transparenz könne keine Rede sein. Zudem vermisst die Initiative die wichtigste aller Fragen: Ob die Bevölkerung den Kiezblock überhaupt befürwortet. Stattdessen können Nutzer auf der Plattform bloß Wege einzeichnen oder Gefahrenstellen markieren.
Und es bleibt nicht bei der Kritik an der Fragestellung. Offenbar sei es technisch problemlos möglich, mehrfach vom selben Gerät abzustimmen – sogar von beliebigen Orten weltweit. Datenschutzrechtlich unbedenkliche Maßnahmen zur Sicherung der Umfrage, etwa IP-Prüfungen, würden nicht genutzt. In Tests hätten sogar Personen aus Lichtenberg mehrfach Beiträge zu Wohnverhältnissen in Mitte abgegeben, berichtet die Initiative.
Ein weiteres Hindernis: Sprachbarrieren. Gerade in Stadtteilen wie Moabit oder Wedding mit hohem Migrationsanteil präsentiere sich die Webseite zunächst ausschließlich auf Deutsch. Die Möglichkeit, die Sprache zu wechseln, sei versteckt – eine hohe Hürde für viele Menschen ohne Deutschkenntnisse. Auch ältere Menschen oder technisch weniger versierte Nutzer seien durch die komplizierte Bedienung ausgeschlossen.
Möglich, mehrfach vom selben Gerät über Kiezblock abzustimmen
Außer dem bemängelt „Kiezblockfree“ eine fehlende unabhängige Kontrolle. Die Auswertung der Umfrageergebnisse erfolge allein durch das Bezirksamt. Im Impressum der Plattform finde sich die Gruppe F, ein Unternehmen, das bereits häufiger für grüne Projekte tätig war – was die Frage nach politischer Unabhängigkeit und finanzieller Transparenz aufwerfe. Wie viel Geld dieses Projekt koste und welchen Nutzen es tatsächlich für die demokratische Meinungsbildung habe, bleibe unklar.

Die Pläne betreffen insgesamt 28 Kieze – vom Arkonaplatz in Alt-Mitte bis zur Wilsnacker Straße in Moabit. Diese Gebiete gelten laut Planern als besonders geeignet für eine Verkehrsberuhigung. Abhängig von den Beteiligungsergebnissen sollen daraus bis zu zwölf Stadtviertel ausgewählt und anschließend individuelle Konzepte entwickelt werden.
Wer sich auf der Plattform durchklickt, wird nach persönlichen Eindrücken gefragt: Wo gibt es Gefahrenstellen, wo Hindernisse, wie bewegt man sich im Kiez? Die Möglichkeit, mehrere Kieze zu bewerten – zum Beispiel Wohn- und Arbeitsort –, ist gegeben. Doch die zentrale Ja-oder-Nein-Frage zum Kiezblock bleibt außen vor.
Kiezblocks in der Kritik, Bezirksamt wiegelt ab
Laut Bezirksamt, so die Berliner Zeitung, sei die Akzeptanz der Bevölkerung nur einer von 16 Faktoren bei der Auswahl – entscheidend sei sie jedoch nicht. Im ersten Beteiligungsschritt sammele man allgemeine Hinweise, später könnten dann Entwürfe sowohl online als auch bei Spaziergängen vor Ort bewertet werden.
Die Kritik an der mangelnden Sichtbarkeit des Projekts kann das Bezirksamt nicht nachvollziehen. Man habe über Pressemitteilungen, Plakate im öffentlichen Raum und im Nahverkehr informiert. Auch in Zeitungen, Social Media und politischen Gremien sei das Vorhaben thematisiert worden.
Was den Vorwurf der mehrfachen Teilnahme betrifft, sieht man in der Verwaltung kein großes Problem. Ziel sei ein regionaler Bezug der Beiträge – nicht nur Anwohner seien gefragt, sondern auch Berufstätige, Besucher oder Gewerbetreibende im Kiez. Einschränkungen auf bestimmte Personengruppen oder Geräte seien nicht vorgesehen. Da die Hinweise vor allem qualitativ ausgewertet würden, habe eine hohe Teilnehmerzahl keinen negativen Einfluss, so die Argumentation.
Auch die Sprachwahl sei laut Bezirksamt nicht versteckt, sondern im Kopfbereich der Website leicht zugänglich. Wer sich mit der Technik schwertue, könne zudem an Spaziergängen teilnehmen, Briefe schreiben oder anrufen.
Mit der bisherigen Resonanz zeigt sich das Bezirksamt zufrieden: Über 21.000 Aufrufe habe die Website verzeichnet, mehr als 3600-mal wurde sich online beteiligt. Über 700 Fragebögen seien vollständig ausgefüllt worden, hinzu kämen rund 50 E-Mails an das Straßen- und Grünflächenamt.
Hintergrund der Kiezblock-Offensive ist der massive Bevölkerungszuwachs in Mitte: Rund 80.000 Menschen sind in den letzten zwei Jahrzehnten hierhergezogen – doch die Infrastruktur ist nicht mitgewachsen. Der Platz auf Straßen, Gehwegen und in Parks ist knapp. Verkehrsberuhigte Zonen sollen für Entlastung sorgen.