Ein paar rot-weiße Poller im Berliner Bezirk Mitte sorgen für Stunk. Die elf stählernen Pfosten auf der Kreuzung Tucholsky-/ Auguststraße blockieren den Durchgangsverkehr – und polarisieren wie kaum ein anderes Projekt zur Verkehrsberuhigung. Was für die einen ein Fortschritt in Sachen Sicherheit ist, sehen andere als übergriffigen Eingriff in ihren Alltag. Jetzt soll das Verwaltungsgericht klären, ob die Maßnahme rechtlich Bestand hat, schreibt der Tagesspiegel. Das Urteil könnte über diesen Einzelfall hinaus Signalwirkung für die Berliner Kiezblocks entfalten.
Hinter dem nüchternen Begriff „Modalfilter“ verbirgt sich eine klare Botschaft: Hier soll Schluss sein mit dem Durchgangsverkehr. Die kleine Schranke aus Stahl lässt Fahrräder passieren, zwingt Autofahrer aber zur Umleitung – es sei denn, sie gehören zum Anliegerverkehr. Die Tucholskystraße wurde zugleich zur Fahrradstraße umgewidmet, für rund 115.000 Euro.
Begründet wurde das Ganze mit der angeblich hohen Unfallgefahr an den betroffenen Kreuzungen, die in der Vergangenheit als Unfallschwerpunkte galten. Zudem sollte der Schleichverkehr zwischen Oranienburger und Torstraße unterbunden werden.
Aber nicht alle im Kiez tragen diese Maßnahmen mit. Schon kurz nach der Aufstellung versuchten Unbekannte, die Poller gewaltsam zu entfernen. Parallel formierte sich Widerstand auf juristischem Weg: Die Initiative „KiezblockFree“, ein Zusammenschluss von Anwohnern und Gewerbetreibenden, sieht in der Sperrung eine unzulässige Bevormundung. Die Gruppe versteht sich als Sprachrohr derjenigen, die sich von der Verwaltung übergangen fühlen.
Erste juristische Schritte blieben nicht ohne Erfolg: Im Juli 2023 erklärte das Verwaltungsgericht die Maßnahme in einem Eilverfahren für rechtswidrig. Eine akute Gefahrenlage konnte es nicht erkennen, planerische Erwägungen reichten dem Gericht nicht aus.
Doch das Bezirksamt ließ die Poller stehen – und bekam im September beim Oberverwaltungsgericht erneut Rückenwind. Dort sah man vorerst keine ernsthaften Zweifel an der Rechtmäßigkeit. Jetzt steht das Hauptverfahren an, in dem sich zeigen muss, welche Argumente am Ende tragen.
Weniger Unfälle durch Poller im Kiez
Der Widerstand gegen das Projekt ist keineswegs leise. Etwa 30 Personen – darunter bekannte Adressen wie Clärchens Ballhaus oder ein traditionsreicher Goldschmied – stemmen sich gegen die Veränderung, heißt es im Tagesspiegel-Bericht. Sie beklagen Einschränkungen für Kundschaft, Lieferdienste und Handwerksbetriebe.
Auch die Statistik zur Unfalllage wird hinterfragt: Unfälle habe es durchaus gegeben – aber vorrangig im Radverkehr. Die generelle Einstufung des Gebiets als reines Wohnviertel durch das Bezirksamt hält man ebenfalls für fragwürdig. Vielmehr handele es sich um ein gewachsenes Mischgebiet mit kultureller Vielfalt und kreativer Wirtschaft.
Besonders laut wird der Protest, wenn es um die Ästhetik der Maßnahme geht. Von „Verkehrskindergarten“ und „Baustellenoptik“ ist in den sozialen Medien die Rede. Improvisierte Café-Außenbereiche mit Paletten und Planen verstärkten den Eindruck, dass hier nicht ein lebenswerter Stadtraum entstanden sei, sondern ein städtisches Experiment ohne Rücksicht auf lokale Bedürfnisse.
Clärchens Ballhaus unter den Poller-Gegnern
Auf der anderen Seite steht eine wachsende Zahl von Mobilitätsaktivistinnen und -aktivisten, die den Kiezblock als wichtigen Schritt hin zu einer sicheren und nachhaltigen Stadt sehen. Für sie ist der Verkehrsrückbau längst überfällig – auch wenn Berlin momentan nicht über die Mittel verfüge, optisch ansprechendere Lösungen wie etwa in Paris umzusetzen.
Erfahrungen aus anderen Bezirken zeigen laut Verkehrswende-Vereinen, dass der Autoverkehr mittelfristig tatsächlich zurückgeht. Manche sprechen sogar vom Verdunsten des Verkehrs, wenn erst einmal Alternativen gestärkt werden.
Ob diese Theorie auch in Mitte trägt, bleibt vorerst offen. Kritiker verweisen darauf, dass sich der Verkehr nur auf benachbarte Nebenstraßen verlagert habe. Der Parkdruck sei gestiegen, Lieferanten lehnten Aufträge in der Auguststraße zunehmend ab – zu unpraktisch, zu unzugänglich. Außerdem steigt der Wert der Immobilien in verkehrsberuhigten Straßen, was auf jeden Fall ein Geschmäckle hat.

Das Ende vom Pollerlied könnte sein, dass Eigentümer in verkehrsberuhigten Zonen finanziell deutlich besser wegkommen als ihre Nachbarn in den Nebenstraßen, und auf Dauer werden die gestiegenen Immobilienpreise und die höhere Lebensqualität im Kiezblock dann auch zu höheren Mieten führen.
Ein Blick auf Online-Petitionen lässt erkennen, wie tief der Konflikt reicht. Während Befürworter des Kiezblocks 2022 innerhalb weniger Wochen über 1100 Unterschriften sammelten, verzeichnet eine Petition gegen das Projekt seit November nur rund 500 Unterstützende. Das Meinungsbild ist also alles andere als eindeutig, was auch daran liegen könnte, dass Kiezblock-Befürworter besser vernetzt sind – auch in die Politik hinein.
Am heutigen Montag (5. Mai) fällt nun die nächste gerichtliche Entscheidung. Ob das Poller-Projekt als Modell für eine neue städtische Mobilität durchgeht oder als überzogener Eingriff in die Kiezstruktur verworfen wird, dürfte weit über die Auguststraße hinaus Bedeutung haben.