Gesobau und Senat versus Bezirk und Pankower Bürger: Im seit sechseinhalb Jahren währenden Streit um die Bebauung von zwei Innenhöfen im Pankower Schlosspark-Kiez spitzt sich die Situation wieder zu. Nun melden sich die zu Wort, um die es bei dem umstrittenen Nachverdichtungsvorhaben per Sonderbaurecht eigentlich gehen soll: Menschen mit Migrationshintergrund und Fluchterfahrung.
Bei einem Vor-Ort-Termin machen die Sprecher des Pankower Beirats für Integration und Partizipation ihre Ablehnung in Bezug auf das Vorhaben glasklar deutlich: „Diese Häuser wären ein unwürdiger Menschenzoo“, sagt Rachel Nangally. Und: „Wir leisten uns hier chinesische Verhältnisse“, ergänzt Mohammed El Ouahhabi. Verhältnisse, in denen demokratische Prozesse ausgehöhlt und Menschen mit ihren Bedürfnissen nicht ernst genommen werden.

Unter ständiger Beobachtung von Mietern zu leben, die die massive Bebauung der Innenhöfe ablehnen, sei alles andere als integrationsfördernd, so Rachel Nangally. „Diese Bebauung fördert Rassismus, denn keiner wird hier glücklich. Weder die Neuankömmlinge noch die Bewohner, die schon lange hier leben.“ Ein solches aufgezwungenes Vorgehen fördere am Ende nur das Erstarken extremer Parteien.
Integration gelingt nicht durch Konfrontation, sondern durch Begegnung, Beteiligung und gegenseitigen Respekt – auch und gerade in der Stadtplanung.
Auch Mohammed El Ouahhabi positioniert sich klar gegen die Bebauung und vor allem gegen das Wie in der Umsetzung. „Deutschland, das Land der Dichter und Denker, hat mich schon immer fasziniert“, sagt der studierte Germanist. „Der Junge aus Baracken ohne Wasser und Strom“, wie er selber sagt, ist in Marokko aufgewachsen, hat schon als Jugendlicher begonnen, sich Deutsch beizubringen, weil er Fan von Fußball-Weltmeister Günter Netzer war. Er wurde Fußballtrainer, studierte Germanistik und kam dann über ein Stipendium nach Deutschland und Berlin, wo er sich heute beim Landessportbund für die Integration durch Sport einsetzt.
Was ist hier schiefgelaufen?
„Ich habe gedacht, man kann hier faktenbasiert über alles diskutieren. Als ich den Zaun in den Höfen gesehen habe, war mein erster Gedanke: ‚Was um Himmels willen ist hier schiefgelaufen'?“, fragt er. „Entscheidungen über die Köpfe von Menschen hinweg führen dazu, dass Spaltung voranschreitet, dass es Ressentiments gibt“, so El Ouahhabi. So schaffe man schließlich alle Voraussetzungen dafür, die Feinde der Demokratie zu stärken. Es beeindrucke ihn, wie die Bürgerinitiative in Pankow es geschafft habe, sich nicht von den Populisten vereinnahmen zu lassen.

„Wenn die staatstragenden Parteien der Mitte es nicht schaffen, hier einen Konsens herzustellen, wundert es mich nicht, wenn die Demokratiefeinde profitieren“, sagt er.
Dann können wir auch Jürgen Klopp zum Bundeskanzler wählen.
In den Pankower Höfen ticke eine Zeitbombe. Wahlen stünden an und die Menschen erwarteten, dass Probleme gelöst werden. Wenn in Deutschland aber nicht die Politik für die Menschen arbeite, sondern Konzerne regierten, könne man ja auch gleich Jürgen Klopp zum Bundeskanzler wählen. Ouahhabi erntet nicht nur in dem Pankower Hof Kopfnicken, der Spruch ist vermutlich flächendeckend stammtischtauglich.
Pankow mit den meisten Geflüchteten in Berlin
In Pankow, einem Bezirk mit einer Haushaltssperre, massiven Kürzungen im Sozialen, einer überstrapazierten Infrastruktur und gleichzeitig den berlinweit meisten Unterkünften für Geflüchtete, ist ein Projekt wie dieses mit besonderem Augenmerk zu betrachten. „Die Unterkünfte müssen gerechter in der ganzen Stadt verteilt werden“, fordert El Ouahhabi. „Denn Integration ist wie eine Liebesbeziehung, beide Seiten müssen ihren Teil dazu beitragen.“
Die Pankower fordern seit langem die Umsetzung einer Kompromisslösung, die eine solche Liebesbeziehung wahrscheinlicher machen würde, weil sie eine moderate Bebauung beinhaltet und gleichzeitig einen großen Teil der grünen Begegnungsflächen mit Bäumen erhalten würde.
Bauen für Wolfgang und Mohammed, Katrin und Layla
Die Höfe in Pankow seien besser als Ort zu nutzen, an dem Zusammenleben praktiziert wird. „Für Wolfgang und Mohammed, Katrin und Layla“, sagt Mohammed El Ouahhabi. Auch aus der Sicht der zukünftigen Bewohner wäre der Kompromiss ein Gewinn.
Man freue sich darüber, dass die Bürgerinitiative auf den Beirat zugekommen sei, um ihre Perspektive kennenzulernen, sagt Rachel Nangally, die Geschäftsführerin des Vereins Sources-d’Espoir e.V. (Quellen der Hoffnung), der Migranten in Fragen der Integration berät. „Wir sind hier, um Brücken zwischen den Menschen zu bauen, nicht, um sie gegeneinander ausspielen“, so Nangally.

Noch wäre Zeit für einen Neuanfang in Pankow. Doch die Gesobau übt im aktuellen Klageverfahren immensen Druck auf das Bezirksamt Pankow aus, berichten Anwohner. Gegenüber dem Amt, das letzte Umweltauflagen im artenschutzrechtlichen Ausnahmeverfahren abnehmen muss, damit die Gesobau Bäume fällen und die zwei Häuser für Geflüchtete errichten kann, werde die Erwartung formuliert, dass die Abnahme endlich erfolgen soll.
Bei einem Abnahme-Termin in den Höfen am Mittwoch steht eine Vertreterin des Amts gleich drei Vertretern von der Baumfäll-Firma und der Gesobau gegenüber. Vor dem Verwaltungsgericht läuft noch ein Eilverfahren, in dem die Wohnungsbaugesellschaft fordert, dass ihre Ausgleichsmaßnahmen nun final abgenommen werden müssen.

An den Pflanzen, die zum Ausgleich für die gerodeten Bäume und Büsche gesetzt wurden, hängen Schilder: „Ich brauche noch Zeit“, steht darauf. Oder: „Wie kann ich Schutz bieten?“ Umweltverbände betonen, dass die Pflanzungen funktional als Nahrungs-, Ruhe- und Schutzraum für die Vögel und Fledermäuse vor Ort sein müssen. Bis die Pflanzen so groß sind, dass sie diese Funktion erfüllen können, dauere es mindestens vier Jahre. Die Umweltverbände haben der artenschutzrechtlichen Ausnahmegenehmigung durch den Bezirk Pankow bereits widersprochen.




