Schlosspark-Kiez in Pankow

Flüchtlingshäuser in Pankow: Die Arroganz der Macht

Was Flüchtlingshäuser in Pankow über Politikverdrossenheit und die anhaltende Ungleichheit zwischen Ost- und West-Berlin erzählen. Und warum der Gewinner des Macht-Versagens die AfD ist.

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Anwohner protestieren gegen den Bau zweier Häuser auf ihrem Hof und gegen das Fällen von Bäumen.
Anwohner protestieren gegen den Bau zweier Häuser auf ihrem Hof und gegen das Fällen von Bäumen.Markus Wächter

In Pankow soll in einem grünen Innenhof an der Ossietzkystraße eine Flüchtlingsunterkunft entstehen. Die Anwohner, vor allem Senioren und Familien mit Kindern, sind für den Erhalt der Grünflächen und der über 100 Bäume und des Spielplatzes auf dem Areal, der für sechs Kitas die Existenzgrundlage darstellt. In der DDR wurden die Wohnungen und Höfe als Kiez mit Begegnungsflächen außen mit Bedacht geplant und vom Nationalen Aufbauwerk gebaut. Einige der Anwohner haben die Bäume, die fallen sollen, selber gepflanzt, mit angepackt beim Bau. An der Ossietzkystraße steht ein Denkmal für diese Aufbauleistung nach dem Krieg. Eine Bronzefigur, eine Frau, trägt einen Ziegelstein.

Kompromiss mit der Politik errungen

Die Pankower protestieren also seit Jahren gegen die Vernichtung von Grün und fordern – wie in einer Demokratie üblich – gehört zu werden. Mit ihren gewählten Vertretern aus der BVV Pankow und dem Bezirksamt  haben sie in einem demokratischen Prozess über Jahre eine Alternativ-Lösung errungen. Demnach würde auch gebaut werden, aber nicht so massiv, nicht mit dem Holzhammer gegen alle Anwohner und die Bezirkspolitik. Dass in diese neuen Häuser auch Flüchtlinge einziehen könnten, findet hier keiner schlimm.

Doch seit die hart erkämpfte Lösung per Handstreich der SPD-Bausenatoren, erst Geisel, dann sein Nachfolger Gaebler, vom Tisch gefegt wurde, kocht die Stimmung im Pankower Kiez.

Anstelle der Wohnhäuser sollen nun Häuser mit Plätzen für 400 Menschen entstehen. Eh schon von dem jahrelangen Ringen frustrierten Bürgern setzt man eine große Integrationsaufgabe mitten vor die Türen und hofft, dass es irgendwie gut geht. Wegen der fehlenden Infrastruktur im Bezirk werden wohl keine Familien mit Kindern einziehen können, heißt es zynisch vom Bausenator.  

Seit vielen Monaten finden auf der größten Wiese in den Höfen Anwohner Konzerte statt. Diesen Sonntag gibt es eine Lesung für den verstorbenen Dichter Bert Papenfuß. 
Seit vielen Monaten finden auf der größten Wiese in den Höfen Anwohner Konzerte statt. Diesen Sonntag gibt es eine Lesung für den verstorbenen Dichter Bert Papenfuß. Markus Wächter

Pankow: Ein Wahlgeschenk an die AfD

„Das ist ein Wahlgeschenk an die AfD“, sagt ein Anwohner. Er bekomme Magengeschwüre, wenn er daran denke, welche Veränderungen in seinem Umfeld anstehen und vor allem: wie sie zustande kamen. Und ja, er denke darüber nach, mit seiner Familie und der 13-jährigen Tochter wegzuziehen.

Es ist kein Wunder, dass sich, wenn es um Flüchtlinge geht, auch die AfD regelmäßig zu Wort meldet. Es gab Flyer im Pankower Kiez, die Ressentiments gegen Geflüchtete schürten, doch die Bürgerinitiative vor Ort schaffte es bisher mit stoischer Haltung, sich nicht von rechts kapern zu lassen.

Innenhöfe, die in der DDR  zum Aufenthalt draußen und als Sozialfläche geplant wurden. Jetzt sollen sie überbaut werden. In ganz Berlin wehren sich über 37 Initiativen gegen das Vorgehen des Senats.  21 davon allein im Osten der Stadt.
Innenhöfe, die in der DDR zum Aufenthalt draußen und als Sozialfläche geplant wurden. Jetzt sollen sie überbaut werden. In ganz Berlin wehren sich über 37 Initiativen gegen das Vorgehen des Senats. 21 davon allein im Osten der Stadt.Benjamin Pritzkuleit

Trotzdem sind die  Befürchtungen, dass die soziale Mischung in Pankow aus dem Gefüge gerät, wenn auf einen Schlag 400 Männer mit Fluchterfahrung in der beschaulichen Idylle landen, ja weiterhin da. AfD hin oder her. Auch die anderen Parteien täten gut daran, diese Befürchtungen ernst zu nehmen. Stattdessen stellen sie sich der Debatte nicht:

Debatte im Abgeordnetenhaus abgewürgt

Bei der ersten Sitzung im Abgeordnetenhaus gestern hat sich die AfD des Themas ein weiteres Mal angenommen. Die Partei, deren Zustimmungswerte im Sommer für Sorgenfalten allerorten sorgte, wollte das heiße Eisen in der aktuellen Stunde zur Debatte stellen: die Flüchtlingshäuser im Pankower Schlosspark-Kiez.

Dass die AfD die Heime aus ganz anderen Gründen nicht will, als der Bezirk Pankow und die Anwohner, liegen auf der Hand. Dass die Debatte im Abgeordnetenhaus dennoch unter einem unwürdigen Hin und Her abgewürgt wurde, passt zum kompletten bisherigen Procedere. Unangenehmes aussitzen, so die Devise.

Klimakrise, Flüchtlingskrise, alles hängt mit allem zusammen. In Pankow zeigt sich, wie man den Problemen nicht begegnen sollte. 
Klimakrise, Flüchtlingskrise, alles hängt mit allem zusammen. In Pankow zeigt sich, wie man den Problemen nicht begegnen sollte. Markus Wächter

Ursprünglich stimmte die schwarz-rote Regierungskoalition zu, das AfD-Thema zum Thema der Aktuellen Stunde zu machen. Doch eine Viertelstunde vor Beginn machten CDU und SPD einen Rückzieher, blockierten Linke und Grüne das Vorhaben. Man habe nie Konsens mit der AfD signalisiert, heißt es von den Linken zur Erklärung: „Wir bestreiten nicht, dass auch die AfD-Fraktion grundsätzlich ein Anrecht auf die Bestimmung eines Themas in einer Aktuellen Stunde des Abgeordnetenhauses hat“, so Stefan Zillich (52), Parlamentarischer Geschäftsführer der Fraktion. Aber man halte es für falsch, ihnen diese diese Möglichkeit zur Hetze gegen Geflüchtete einzuräumen.

Ein Sprecher der Grünen-Fraktion argumentiert ähnlich: „Wir haben, um eine Instrumentalisierung von Geflüchteten zu verhindern, gegen die Aktuelle Stunde der AfD votiert.“

Dabei ist die Instrumentalisierung von Flüchtlingen doch bereits an ganz anderer Stelle geschehen. Ein SPD-Bausenator drückte per Sonderbaurecht eine lange umstrittene Nachverdichtung durch. Schon da war der Vertrauensbruch da, das gegeneinander Ausspielen in der Welt. Die Anwohner, die auch vor Ort waren, empfinden das Abwürgen der Debatte ein weiteres Mal als Armutszeugnis der Politik.

Wir müssen darüber reden, wie Integration gelingt

Weil das Thema unbequem ist, wurde im Abgeordnetenhaus also über die A100 statt über Flüchtlinge diskutiert. Dabei wäre eine Diskussion über das Thema dringend nötig: Was tut die Politik dafür, dass die Integration von Menschen, die mit jedem Recht zu uns kommen, besser gelingt? Was tut sie dafür, die Menschen, die schon lange da sind, nicht an Populisten zu verlieren?

Warum muss Ost-Berlin, wo mit Abstand die meisten Flüchtlinge aufgenommen werden, weiter die meiste Arbeit in dieser Hinsicht leisten? Warum wird ebenfalls in Ost-Berlin weiter heftiger verdichtet als im Westteil der Stadt? An der Causa Pankow entzünden sich viel weitreichendere Debatten.

Ganz Ost-Berlin eine Brache?

Nachdem nach der Wende ganz Ost-Berlin von Hans Stimmann zur beliebig bebaubaren Brache erklärt wurde, herrsche bis heute eine unerträgliche Kolonialisten-Mentalität in den Köpfen, kritisiert Julia Dimitroff. Man machte sich den Osten zu eigen, Filetgrundstücke und Hinterhöfe. Im Unterschied zu allen anderen Bundesländern werden in Berlin weiter zwei Baurechte in Ost und West praktiziert. Erst dieser Fakt macht Nachverdichtung wie in Pankow nach Paragraf 34 des Baugesetzbuches möglich. 

Der Bauantrag nach Paragraf 34 wurde vom Pankower Bezirksamt nicht genehmigt und der Bezirk hat einen B-Plan aufgestellt und damit quasi eine Angleichung an das Baurecht in West-Berlin vollzogen. Eine geregelte Bebauung und Bürgerbeteiligung wäre so möglich, doch das ist dem Senat ein Dorn im Auge und er zog die Jokerkarte Sonderbaurecht.

B-Plan Gebiet Ost-Berlin

Dabei lassen sich in den Archiven sehr wohl Unterlagen finden, die für den Kiez in Pankow Bauplanungen belegen, erzählen die Bürger. 1955 wurde der Kiez am Schlosspark zum Aufbaugebiet erklärt. Die Wohnungen mit 40 bis 60 Quadratmetern sind explizit mit Sozialflächen draußen geplant worden. Sogar ein Besonnungsabstand  wurde berechnet. Nur zählen all diese Pläne aktuell nicht. Sie sind nach der Wende schlicht ignoriert worden.  

So stellt sich die Gesobau die nachverdichteten Innenhöfe im Schloßpark-Kiez vor. 
So stellt sich die Gesobau die nachverdichteten Innenhöfe im Schloßpark-Kiez vor. ZOOMARCHITEKTEN Berlin

Ein Antrag zur Begutachtung dieser ungleichen Vorgehensweise in Ost und West verschimmelt seit langem beim wissenschaftlichen Dienst des Bundestags.

„Wir hören immer wieder, wenn wir hier nicht bauen können, dann können wir nirgendwo bauen“, sagt Julia Dimitroff, die sich auch in der Bürgerinitiative Grüner Kiez Pankow engagiert. Es sei das erste Mal, das mit dem missbräuchlich angewendeten Sonderbaurecht bei so einem umstrittenen Fall Fakten geschaffen werden. Ein Präzedenzfall für weitere Vorhaben? Worauf kann man sich in der Stadtplanung denn noch verlassen, fragen sich die Anwohner in Zeiten von großen Reden und Programmen in Sachen Klimaschutz. Und was heißt eigentlich: Zeitenwende? „Die Zeiten der Mitsprache in der Demokratie sind in Gefahr“, glaubt Julia Dimitroff.

Wer kann die Macht der Ostdeutschen sichtbar machen

Dabei hatten Menschen wie Julia Dimitroff und all die anderen Unterzeichner von Petitionen und Briefen doch an nichts mehr geglaubt, als ans Mitgestalten. Hier in Pankow, aber auch in ganz Berlin wohnen die Menschen, die in Friedenskreisen und Bluesmessen und auf Demos in der DDR die Wende bewirkt haben, in der Hoffnung, endlich gestalten zu können.

„Von uns gibt es viele“, sagt Julia Dimitroff. Und nicht wenige sind enttäuscht worden. Doch eint sie auch eine andere Erfahrung: nichts ist in Stein gemeißelt. Daher lohne es sich, weiter Widerstand dagegen zu leisten, dass immer mehr öffentliche Räume verloren gehen. „Frech, sozial und verbindend.“ Die Parteien, die die Macht der Ostdeutschen hätten sichtbar machen können, hätten sich im Labyrinth der Macht verlaufen, sagt Julia Dimitroff.

Kein Wunder, wenn die AfD es immer wieder versucht, sich als Sprachrohr der Ungehörten aufzustellen. Immer öfter gelingt das, wie Umfragen zeigen.

Am Wochenende fand ein weiteres Mal ein Konzert in den Höfen in Pankow statt. Die Stimmung ist resigniert. Man kann davon träumen, wie Integration oder Entwicklung hier hätte gelingen können, hätte man seine Bürger doch bloß nicht so gnadenlos arrogant vor den Kopf gestoßen.

Die Bürgerinitiative hat einen offenen Brief an Berlins Regierenden Bürgermeister geschrieben. 1000 Menschen haben bereits unterzeichnet . https://gruener-kiez-berlin.de/

An diesem Sonntag wird es außerdem auf der Fläche eine Lesung anlässlich des Todes des Prenzlauer Berger Dichters Bert Papenfuß geben. Um 17 Uhr lesen Freunde und Autoren seine Texte.