Es ist Mauerfall-Wetter in Berlin! Feuchte Kälte, eine tief stehende Novembersonne und eine leicht diesige Luft. Am 35. Jahrestag des Mauerfalls feiert Berlin die Freiheit: Besonderer Anziehungspunkt ist eine temporäre Mauer aus 5000 Plakaten entlang des früheren Grenzverlaufs in der Innenstadt. Die vier Kilometer lange Open-Air-Installation aus Plakaten, die Kinder und Erwachsene unter dem Motto „Wir halten die Freiheit hoch“ gestaltet haben, zieht Zehntausende Besucher an und in den Bann. Auch der KURIER ist vor Ort – und spricht mit den Spaziergängern über damals und heute, über Euphorie und Freude und was sie heute bewegt.
Die Menschen, viele Berliner, aber auch Touristen aus aller Welt, strömen von allen Seiten herbei. Zehntausende sind es, die zu Fuß entlang des ehemaligen Mauerverlaufs unterwegs sind. „Wer rettet uns den Frieden, wenn nicht wir selbst???“, steht auf einem der 5000 Poster, die an den Mauerfall erinnern.
Am ehemaligen Grenzübergang Checkpoint Charlie trifft der KURIER auf Felix Waury, der mit seiner Schwalbe aus den frühen 80er-Jahren hergeknattert ist. Nicht irgendein Moped, sondern das waschechte Ost-Original. Er hat es eigenhändig bemalt, mit roten Ziegelstein-Motiven – es scheint, als sitze er auf einer fahrenden Mauer. Das macht ihn mit seinem Retro-Mofa natürlich zum Hingucker, der fleißig fotografiert wird!
Auch der KURIER dreht eine kurze Runde mit der Schwalbe
Für den KURIER schmeißt der Ost-Berliner das gut gepflegte Rad an: Es knattert und riecht gut nach Zweitakter. „Ich war damals erst 14 Jahre alt und verschlief den Mauerfall“, erzählt er. Die KURIER-Reporterin darf mit der Schwalbe auch eine Runde um den Checkpoint Charlie drehen, wunderbar!

Die Vorbereitungen für die große Abendschau laufen auf Hochtouren. An den Bühnen entlang des ehemaligen Mauerverlaufs wird teils noch gewerkelt, teils läuft schon das Programm. Der KURIER schlendert weiter und folgt der ehemaligen Grenze Richtung Potsdamer Platz bis zum Brandenburger Tor. Die Menschenmengen nehmen kein Ende! In Berlin muss man heute HIER sein.
Also HIER, wo einst die Mauer trennte – und hier verbinden heute Gespräche, Erinnerungen und ein Wir-Gefühl die Menschen. Sie zücken Kameras, halten inne, tauschen Geschichten aus – dieser Tag geht wahrhaftig unter die Haut!

„Ich bin immer noch ergriffen, dieser Tag ist besonders“
Kurz vor dem Brandenburger Tor trifft der KURIER auf Irina Behl und Wilfrid Schlüter. Ihr Tag begann, dem Mauerfall zur Ehre, mit Champagner am Bett, erzählt Irina. Wilfrid kann seine Emotionen kaum zurückhalten. Ihm kommen wirklich die Tränen, als er sich erinnert. „Dieser Tag ...“ setzt er an, Tränen rollen über seine Wangen. „Obwohl ich Westberliner bin ...“, sagt er. „Ich bin immer noch ergriffen, dieser Tag ist besonders.“ Er nimmt die Brille ab, trocknet seine Augen. „Einfach toll, mehr kann ich nicht sagen. Einfach toll!“ Irina aus Bayern wohnt seit 40 Jahren in Berlin: „Ich freue mich genauso, hier zu sein und hoffe, dass viele Mauern in den Köpfen der Menschen noch fallen werden, damit es anderen Menschen auch so gehen kann wie uns.“

Die Plakate, die auf den vier Kilometern gezeigt werden, verbinden Forderungen der Demonstranten im Herbst 1989 wie Meinungs-, Presse- und Reisefreiheit mit heutigen Wünschen und wurden im Rahmen von Workshops in Schulen, Kirchengemeinden, Vereinen oder Kulturprojekten geschaffen. Viele Menschen bringen darauf kreativ zum Ausdruck, was Demokratie und Freiheit heute für sie bedeuten und welche Werte ihnen wichtig sind. „Eine Mauer sollte schützen und nicht trennen“, „Meinungsfreiheit ohne Hass“ oder „Freiheit ist kein Geschenk“ ist unter anderem zu lesen. Auch Nachbildungen historischer Plakate aus dem Wendeherbst wurden gezeigt.
Auch Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner erinnert an den Wert der Freiheit. „Haltet hoch die Freiheit, denn ohne Freiheit ist alles andere nichts“, sagt der CDU-Politiker bei einer zentralen Gedenkveranstaltung mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier an der Gedenkstätte Berliner Mauer. „Freiheit und Demokratie waren noch nie eine Selbstverständlichkeit.“ Derzeit würden sie von außen und innen angegriffen. Deshalb müsse man die Menschen vom Herbst 1989 zum Vorbild nehmen.
Am Abend steht das „Fest für Freiheit“ im Mittelpunkt der Feierlichkeiten entlang des Mauerverlaufs. Ab 19 Uhr beginnen auf fünf Bühnen DJ-Sets, die die Besucher auf den Abend einstimmen. Um 20 Uhr formiert sich die „Band für Freiheit“, bestehend aus über 1000 Musikern, die gemeinsam Lieder wie „S.O.S.“ der DDR-Rockband Silly, „Heroes“ von David Bowie,„People have the power“ von Patti Smith und „Freiheit“ von Marius Müller-Westernhagen spielen. Auf Bildschirmen werden die Liedtexte zu sehen sein, sodass die Zuhörer mitsingen können. Am Sonntag spielt zum Abschluss noch die oppositionelle russische Band Pussy Riot. Dieses Musikerlebnis soll einen vier Kilometer langen Klangteppich erzeugen, der die Bedeutung der Freiheit feiert.

Mehr Eindrücke zum 35. Jubiläumstags des Mauerfalls finden Sie auf dem Instagram-Konto des Berliner KURIER! Wie haben Sie den Tag der Wiedervereinigung erlebt? Erzählen Sie uns Ihre Geschichte, mailen Sie uns an wirvonhier@berlinerverlag.com – wir freuen uns! ■