„Ich bin am Durchdrehen“, sagt Michael Reiß am Telefon und meint natürlich, dass er gerade dabei ist, Fleisch durch den Wolf zu drehen. Der Metzger betreibt im Jerichower Land, direkt an der Grenze zu Brandenburg, die Wildererhütte. Vor einiger Zeit machte Reiß Schlagzeilen, als er auf der Grünen Woche in Berlin als erster Waschbär-Bouletten und Wurst anbot. Jetzt hat der findige Fleischer wieder etwas Neues im Angebot.
Neben Waschbär-Bouletten und Frühstücksfleisch vom Waschbär hat er auch einen echten DDR-Klassiker ins Programm genommen: Waschbär-Soljanka. Und ein weiteres Tier, das sich in Brandenburg stark vermehrt, und das schon in der DDR auf den Tellern Karriere machte, steht auf dem Speiseplan: Die Nutria, auch Sumpfbiber genannt.

Seit 2022 ist Reiß Wildfleischer. Im Sommer 2022 erhielt er die EU-Zulassung für die Verarbeitung des Wildes. Wegen seiner Waschbären-Bouletten hat Reiß es zu lokaler Berühmtheit gebracht. Selbst aus Berlin und Leipzig kämen mittlerweile Kunden zu ihm ins Jerichower Land, sagt er.
Wer den weiten Weg von Berlin aus nicht auf sich nehmen kann, kann sich die Soljanka und Co. im Glas auch im Onlineshop nach Hause ordern. „Das alte Rezept von Oma zeigt volle Wirkung“, heißt es zu der deftigen Suppe auf der Webseite. „Wir wollen das komplette Tier verarbeiten“, sagt Michael Reiß. In seine Waschbär-Soljanka kommt das zarte Knochenfleisch des bis zu neun Kilogramm schweren Waschbären, Paprika, Gurke, die klassischen Zutaten.

Waschbären richten in der Natur einen enormen Schaden an. Sie räumten Nistkästen aus, zerstören Baumhöhlen und Bodengelege von Vögeln und Amphibien. Mit ihren kleinen Pfoten können sie sogar in Nistkästen gelangen. Die Tiere werden gejagt, doch die Verwertung des Fleischs ist aufwendig.
Wildfleisch richtig verarbeiten
Eine Untersuchung auf Trichinen kostet pro Waschbär 15 Euro, hinzu kämen Kosten für die Fleischbeschau und die 10 Euro, die er jedem Jäger pro erlegtem Tier zahle, rechnet Michael Reiß vor. „Das sind dann schon mal mehr als 25 Euro Fixkosten ohne die Arbeitszeit mit einzubeziehen.“
Demgegenüber stünden nur 1,5 bis 2,5 Kilogramm Fleisch, die er aus dem Tier gewinnen könne. „Die Gewinnmarge ist da nicht die Größte“, erklärt Reiß. Für ihn lohne es sich dennoch. „Die Leute sind neugierig, wollen was Neues ausprobieren.“ Seine Waschbärprodukte hat er schon an internationale Waschbärforscher verkauft, ein Museum in Karlsruhe servierte bei der Eröffnung einer Schau über invasive Arten Waschbärbällchen und Co. Ein voller Erfolg also.
Nicht nur Waschbär, sondern auch Nutria wird verwertet
Neben dem Waschbären ist nun ein weiteres Nagetier, dessen Population stetig größer wird, in den Fokus des Fleischers geraten. Die Nutria, auch Sumpfbiber genannt. Das Fleisch des Nagetiers soll dem des Spanferkels oder Kaninchen ähneln.

Nutria-Fleisch verarbeitet Reiß zu Salami für 11,90 Euro, Sülze oder Grillwurst für drei Euro. „Von der Qualität, in Geschmack und Struktur ist das Nutria richtig spitze“, sagt der Wild-Fans Reiß. Die Nachfrage nach Nuturia sei groß.
Mit den Ratten ist die Nutria nicht verwandt. Auch wenn es ab und zu mit der deutlich kleineren Bisamratte verwechselt wird. Der nächste Verwandter der Nutria ist der Biber. In der DDR konnte man das Fleisch auch manchmal beim Fleischer erhalten. Die Pelze der Tiere wurden zu Mänteln verarbeitet. Nutria-Rezepte finden sich vor allem in alten DDR-Kochbüchern, heißt es in der Bauernzeitung. In der Jagdsaison 2020/21 hätten Jägerinnen und Jäger in Deutschland nach Angaben des Deutschen Jagdverbandes (DJV) erstmals mehr als 100.000 Nutrias erbeutet.
Ein Nutria-Rezet stammt übrigens von DDR-Starkoch Herbert Frauenberger. Der fragte bei Dr. Heinrich Dathe im Tierpark nach Verwertbarem und bekam nach zähem Ringen das Go. „Wir bekamen fortan ein Wisent, ein Bison, Bären, Antilopen, Hirschziegen, Nutrias und auch mal ein Hängebauchschwein“, erinnert er sich im Kurier-Interview. „Einmal bekamen wir gleich zehn Nutria-Böcke, aus denen machten wir Kasseler. Das war köstlich“, so Frauenberger. Im Rezept- und Erinnerungsbuch des Kochs findet sich das passende Rezept: geschmortes Nutria in Waldpilzsauce. „Der Kopf spielt beim Essen eine große Rolle“, sagt Michael Reiß. Auf der nächsten Grünen Woche will er seine neuen Produkte ebenfalls vorstellen.
Wildererhütte Kade, Lindenstraße 40, 39307 Kade, Öffungszeiten: Freitag: 14.00–18.00 Uhr und Samstag: 08:30–10:30 Uhr