Ein Hilferuf machte sie über Nacht zu Stars. „Rescue me“ („Rette mich“) hieß ihre erste Single, mit der Bell, Book & Candle in den 90ern weltweit ganz nach oben in die Charts schossen. Seit 30 Jahren gibt es jetzt die Band, deren Name so international klingt, dass man anfangs sogar dachte, sie wären eine Pop-Gruppe aus Großbritannien oder den USA. Dabei kommen Andy Birr (56), Hendrik „Henne“ Röder (58) und Jana Groß (55) aus Berlin, die mit neuem Album wieder auf Hit-Kurs sind. Der KURIER sprach mit ihnen über das Jubiläum, über ihren Kiez und was für die Musiker der größte Segen und Fluch ist.
Wir treffen uns im Braustübl in Friedrichshagen. Kein Zufall, denn dort stand 1994 die Wiege von Bell, Book & Candle, dort gab es die ersten Auftritte. Und der Kiez an der Bölschestraße ist der Ort, in dem die drei aufwuchsen. „Ich ging hier mit Henne in den Kindergarten“, sagt Sängerin Jana Groß. Röder ergänzt: „Wenn man so will, kennen wir uns schon aus dem Sandkasten her.“
Und Andy Birr? „Ich ging hier mit Henne zur Schule, gründete mit ihm eine Schülerband.“ Nach mehreren Namenswechseln hieß sie schlussendlich Rosalili, waren eine der bekanntesten Nachwuchsbands der DDR, die es schon längst nicht mehr gibt.
So manchen erstaunt es, dass es Bell, Book & Candle noch immer gibt. Und das erstaunt wiederum Andy Birr: „Wir waren nie weg“, sagt er. „Insgesamt elf Alben haben wir produziert, spielten bis heute weltweit über 2000 Konzerte.“ Und nun haben sie sich und ihren Fans zum 30. Bandgeburtstag ein ganz besonderes Geschenk gemacht.

Das neue Album „L.O.V.E“, an dem das Trio zugegeben fast sechs Jahre gearbeitet hat, in der dann auch noch die Corona-Zeit fiel. Aber die lange Zeit und die Mühe haben sich gelohnt. Mit der Platte sind Bell, Book & Candle wieder auf Hit-Kurs. Die Singles „Gold“ oder „It’s good, feel good“ beweisen, mit welcher poppiger Frische die Band wieder unterwegs ist – fast so wie damals mit „Rescue me“.
Bell, Book & Candle: Mit dem Hilferuf „Rescue me“ begann ihre Karriere
Da wären wir schon bei einem der Knackpunkte. „Rescue me“ entstand drei Jahre nach der Band-Gründung, schoss wie eine Rakete in den europäischen Chart-Himmel.
Stolz war man damals vor allem im Osten des Landes, als man feststellte, dass einer ostdeutschen Band dieser geniale internationale Durchstart gelungen war. „Allerdings werde ich heute auch noch von Menschen auf Englisch angesprochen, die das nicht wissen“, sagt Jana Groß.

Für Bell, Book & Candle öffneten sich damals die Türen in die weite Popwelt, die Ostbands bis dato verschlossen blieb. Das Trio spielte im Vorprogramm von Whitney Houston und Roxette. US-Star Sheryl Crow schrieb mit „Destiny“ sogar einen Song für das erste Album von Bell, Book & Candle.
Von Templin bis Texas trat das Trio auf, so steht es in einem Pressetext. Es stimmt, erklärt Andy Birr. Er erinnert sich noch, wie sie in einem Ort in den USA spielten, über 1000 Zuschauer einen kleinen Saal füllten. „Ausverkauft – und alle sangen unsere Songs mit.“
Die „Rescue me“-Zeit ist für Bell, Book & Candle Fluch und Segen zugleich. „Ohne diesen großen Hit würde es uns nicht heute geben“, sagt Andy Birr. „Er gibt uns die Gelegenheit, wenn wir mit ,Rescue me‘ in TV-Chartshows auftreten, auch unsere neuen Songs zu spielen.“

Und die Band wird ihn auch in den Konzerten weiter rocken, sagt Henne Röder. „Es ist unser Song, den die Leute auch nach fast 30 Jahren immer wieder hören wollen, die zu uns kommen.“ Aber mittlerweile läuft nicht nur „Rescue me“ ständig im Radio. Auch die neuen Songs erobern die Sender. „,Gold‘ läuft zum Beispiel bei Antenne Brandenburg hoch und runter“, sagt Andy Birr.
Gute Chancen hätte da auch „Only love (All of us or none)“, eine herrliche Pop-Ballade aus dem „L.O.V.E.“-Album, auf der man Ex-Puhdys-Frontmann Dieter „Maschine“ Birr (80) hört. Dass er Andy Birrs Vater ist, ist längst kein Geheimnis. Genauso wenig, dass Hendrik Röder der Sohn von Puhdys-Keyboarder Peter „Eingehängt“ Meyer (84) ist.

Das ist auch ein Fluch und Segen zugleich, wie Andy Birr sagt. Obwohl es sogar gemeinsame Auftritte gab, wollen Bell, Book & Candle nicht ständig als die Band der Puhdys-Söhne angesehen und darauf angesprochen werden. „Das nervt auf Dauer, weil man selber etwas zu sagen hat. Wir sind stolz auf unsere Väter. Aber alles, was bei uns passiert, was wir machen und uns erarbeitet haben, das ist allein Bell, Book & Candle.“ Und das seit 30 Jahren.
In dieser Zeit hat sich so manches verändert. So spielt nun Tom Groß, der Sohn von Jana Groß und Henne Röder, die 15 Jahre ein Paar waren, in der Band mit. Und die vorletzte Platte, „Wie wir sind“ (2018) nahm Bell, Book & Candle auf Deutsch auf. „Ein Ausflug“, wie Jana Groß sagt. Nun wird wieder auf Englisch gesungen. „Weil diese Sprache für mich wie ein Instrument ist.“
In den 30 Jahren hat sich auch die Heimatstadt der Band verändert. „Mit dem Mauerfall ist für mich Berlin größer, bunter und spannender geworden“, sagt Jana Groß. Doch so manches hat sich auch zum Nachteil gewandelt.
„Die Kieze haben sich verändert. Viele alteingesessene Läden sind verschwunden, die man aus der Kindheit kannte, auch hier an der Bölschestraße, so ist der Lauf der Dinge“, sagt Henne Röder. „Zum Glück gibt es dort noch die Dresdner Feinbäckerei, in der ich sogar meine Schrippen holte, als ich in Marzahn wohnte. Für mich ist Bäckermeister Rainer Schwadtke der beste Bäcker von Berlin.“

Jana Groß hat das Gefühl, dass man zwar in Berlin viel baut, aber auch so manches verfallen lässt oder sogar abgerissen hat – wie den Palast der Republik. Er sei mehr gewesen, als nur der Ort für die DDR-Volkskammer oder für SED-Parteitage.
Hier fand Kultur statt, er war ein Treffpunkt für die Menschen. Man hätte den Palast stehen lassen sollen, darin ist sich jeder in der Band einig. „Das hat mit Ostalgie gar nichts zu tun“, sagt Groß. „Es geht darum, dass auch der Erhalt der DDR-Architektur seine Berechtigung hat.“

Dazu gehört auch das SEZ, das der Senat abreißen will. Andy Birr erinnert sich, wie er dort Federball spielte oder sich im Spaßbad vergnügte. Jana Groß sagt: „Wie soll denn die Nachwelt erfahren, wie es zu DDR-Zeiten in einem Teil Berlins war, wenn die baulichen Zeitzeugen verschwinden?“
Vergangenheit und Zukunft – für Bell, Book & Candle ist jetzt erst einmal die Gegenwart wichtig. Und da wird auf den „Exclusive“-Konzerten kräftig mit den Fans der 30. Bandgeburtstag gefeiert. „Das wird ganz intim, denn zum ersten Mal werden nur wir drei ganz ohne Bandbegleitung auf der Bühne stehen“, sagen sie. Mit alten und aktuellen Songs, die im völlig neuem Gewand erklingen. Natürlich auch mit „Rescue me“, dem Mega-Hit, mit dem ihre Erfolgsgeschichte begann.