Im fernen Russland gibt es ein ganz besonderes Lied. „Vorwärts, Dynamo – wir sind bei dir!“ heißt der Titel ins Deutsche übersetzt, seit Jahren die Stadion-Hymne der Fans des Fußballklubs Dynamo Moskau. Aber hey, den Song kennen wir doch! Die Melodie klingt doch haargenau wie „Hey, wir wollen die Eisbärn sehn“! Und so rätseln seit Ewigkeiten Musikfans in Deutschland: Hat der Russen-Klub den Puhdys-Hit geklaut?
Vor 27 Jahren war es, als die Vereins-Hymne „Hey, wir wollen die Eisbären sehen“ das erste Mal erklang. Puhdys-Sänger Dieter „Maschine“ Birr hatte den Song im Auftrag des Hauptstadt-Eishockeyklubs „Eisbären Berlin“ geschrieben. Bis heute erklingt der Hit bei jedem Spiel – und die Fans singen kräftig mit.
Dass der Song, der 1997 als Single aufgenommen wurde, eines Tages für weltweite Begeisterung sorgen würde, damit hatte damals keiner gerechnet. Schon gar nicht, dass auch Sportvereine ihn ungefragt für sich nutzen könnten – wie möglicherweise Dynamo Moskau.
Seit mehr als zehn Jahren gibt es bei dem russischen Verein die Hymne mit Eisbären-Melodie und mit russischem Text, der sich auf die Moskauer Kicker bezieht. Im Studio wurde sie von einer Gruppe namens „The World Band“ aufgenommen. So steht es jedenfalls im Musik-Internetportal Spotify. Als Komponist wird ein Michail Sokolow angegeben. Ein Hinweis auf die Puhdys gibt es nicht.

Nachdem das Lied bei YouTube oder anderen Portalen im Internet aufgetaucht war, wurden Puhdys-Fans stutzig und rätseln nun bis heute, wie die Berliner Eisbären-Hymne zur Moskauer Fußballvereins-Hymne wurde. Ihre Frage: Hat der Russen-Verein das Lied geklaut?
Puhdys-Hit bei Russen-Klub? Maschine sagt: „Bei uns hat keiner offiziell gefragt“
Dass die Puhdys zu DDR-Zeiten in der einstigen Sowjetunion beliebt war, ist kein Geheimnis. Viele Konzerte gab die Band in dem Land, auch Alben wurden von ihnen bei der staatlichen Plattenfirma „Melodia“ veröffentlicht. Sogar jetzt noch sind die Puhdys, die sich 2016 trennten, bei den Russen beliebt.
Und offenbar auch die Sport-Hymne der Kultband. Der einstige Puhdys-Frontmann ist sich da ganz sicher, dass die Eisbären-Melodie für die Fußballfan-Hymne von Dynamo Moskau geklaut wurde. „Die haben sie sich einfach genommen“, sagt Maschine (80) dem KURIER. „Bei uns hat damals jedenfalls keiner offiziell gefragt.“ Auch der einstige Puhdys-Mitstreiter Dieter „Quaster“ Hertrampf (80) kann sich daran nicht erinnern, dass der russische Verein die Band gefragt hätte, wie er dem KURIER sagt.
Der Erfolg der Eisbären-Hymne der Puhdys: „Viele Vereine hätten sie gerne gehabt, vor allem Fußballklubs“, sagt Maschine. „Und es gab auch offizielle Anfragen. Ich erinnere mich, wie Borussia Dortmund vor Jahren uns bat, ob sie den Song haben könnten. Doch wir haben abgelehnt. Das Lied war nun einmal nur für die ,Eisbären‘ bestimmt und so soll es auch bleiben.“
Doch wie steht es nun mit Dynamo Moskau? 1923 wurde der Klub gegründet, war elf Mal in der Sowjetunion Meister, der sowjetische Fußball-Star Lew Jaschin spielte 1950 bis 1970 in dem Verein. Heute gehört Dynamo Moskau zu den Spitzenvereinen in der russischen Premium League.
Hat so ein Traditionsklub es nötig, ein Lied der Puhdys zu klauen? Der KURIER fragte bei der Pressestelle von Dynamo Moskau nach. Wir konfrontieren sie damit, dass die Melodie ihrer Stadion-Hymne, auch die Präsentation des Songs, sehr dem Eisbären-Hit der Puhdys gleicht.
Der KURIER fragt: Wurden die Puhdys oder ihr Management gefragt, ob Dynamo Moskau dieses Lied/Melodie als Hymne verwenden darf? Wenn ja, wann und mit wem? Wird die Hymne weiter verwendet?
Die Fragen schickten wir in russischer, englischer und deutscher Sprache per Mail an die Pressestelle von Dynamo Moskau. Das war im Oktober. Bis heute bekam der KURIER keine Antwort.
Puhdys-Hit geklaut? So manche Künstler haben es getan
Der ehemalige Puhdys-Manager Rolf Henning erklärt dem KURIER, dass Dynamo Moskau auch nicht bei ihm wegen des Eisbären-Hits nachgefragt hatte, um eine Genehmigung zu bekommen. „Der Song hatte damals europaweit einen echten Hype hervorgerufen“, sagt er. Und es gab auch Versionen, die illegal entstanden.
Der Manager erinnert sich noch an zwei Fällen in England und an zwei Fällen in Skandinavien. „Wir haben damals überlegt, dem rechtlich nachzugehen“, sagt Henning. „Aber der Aufwand und die Kosten dafür wären höher gewesen, als das Ganze dann eingebracht hätte.“
Etwa 25 bis 30 Versionen von „Hey, wir wollen die Eisbären sehen“ gibt es, schätzt Ostrock-Experte Uwe Bayer (68), Autor des ersten Puhdys-Buches. „Sechs bis sieben davon stammen allein schon von den Puhdys, etwa als Live-Versionen oder als akustische und klassische Versionen. Die meisten Cover-Stücke sind echte Après-Ski-Hits geworden.“ Also Songs, die in den Ski-Gebieten Europas bei Partys jede Berghütte zum Krachen bringen.
Wie die Version von Schlagersänger Jürgen Drews, der den Eisbären-Song mit den Puhdys neu aufnahm. Das war der Wunsch der Plattenfirma, die damals den „König von Mallorca“ und die Kultband aus dem Osten unter Vertrag hatte. Im Januar 2011 präsentierten sie den Song auf einer Eisbahn, die auf dem Berliner Alexanderplatz aufgebaut war. „Eigentlich sollte DJ Ötzi das Lied mit den Puhdys neu aufnehmen. Doch er sprang ab und Jürgen Drews sprang ein“, sagt Ostrock-Experte Uwe Beyer.

Die „Eisbären“ der Puhdys dienten sogar als Anfeuerungshymne für holländische Fußball-Fans. Das Duo De Dikdakkers aus den Niederlanden hatten die Melodie für ihre Hymne „Schreeuw voor de Oranje leeuw“ genommen, die als Schlachtruf für die „Oranje-Löwen“, der holländischen National-Elf, diente.
Eisbär-Hit der Puhdys: Auch Holländer feuern mit dem Song ihre Fußballer an
Das Lied erschien zur Fußball-WM 2006 in Deutschland, war in den Niederlanden der WM-Hit. Auf dem Singlecover wurden zunächst die Puhdys nicht erwähnt. Beim Aufrufen des Liedes bei Spotify sieht man nun auch die Puhdys in der Autorenzeile.
Schwer verliebt in ihren Eisbären-Hit muss offenbar auch David Hasselhoff gewesen sein. Der „Knight Rider“-Star liebt Partykracher. 2011 erschien sein Album „A real good feeling“. Darauf ist der Song „Hey, we wanna rock the world“. Man muss noch nicht einmal genau hinhören, um festzustellen, dass dieses Lied verdammt dem Puhdys-Hit ähnelt.
Und so kann man auf Live-Videos des Hasselhoff-Liedes auf YouTube auch die Fans hören, die frech auf den Refrain lautstark „Hey, wie wollen die Eisbärn sehen“ singen. Vielleicht passiert so etwas eines Tages, wenn bei Dynamo Moskau die Stadion-Hymne gespielt wird. Schön wäre es. ■