Kreuzberg-Reportage

Anwohnerin erklärt: Darum ist der Görli-Zaun eine Schnapsidee!

Der Görlitzer Park soll nachts geschlossen werden. Eine Ladenbesitzerin aus der Nähe verrät dem KURIER, wie diese Maßnahme dem Kiez schaden wird.

Author - Sharone Treskow
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Justyna Wahl betreibt ihr Spielwarengeschäft Lilofee direkt am Görlitzer Park.
Justyna Wahl betreibt ihr Spielwarengeschäft Lilofee direkt am Görlitzer Park.Benjamin Pritzkuleit

Menschen werden ausgeraubt und belästigt. Drogen werden vertickt und konsumiert. Das ist leider Alltag im Görlitzer Park in Berlin-Kreuzberg. Um der immer weiter steigenden Kriminalität entgegenzuwirken, soll der Görli voraussichtlich Anfang nächsten Jahres eingezäunt und über Nacht geschlossen werden.

Als Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) und Innensenatorin Iris Spranger (SPD) diesen Plan vorgestellt haben, hatten viele Anwohner den Gedanken: Wird das Problem so nicht bloß in den umliegenden Kiez verlagert? Zu ihnen gehört auch Justyna Wahl, die direkt am Görlitzer Park einen Laden hat. Im KURIER-Interview berichtet sie von ihren Erfahrungen – und wieso sie den geplanten Zaun für eine Fehlentscheidung hält.

Ein Spielwarengeschäft direkt neben dem Görli

Der Görlitzer Park liegt in unmittelbarer Nähe zum Laden der 57-Jährigen – das bekommt sie auch täglich zu spüren.
Der Görlitzer Park liegt in unmittelbarer Nähe zum Laden der 57-Jährigen – das bekommt sie auch täglich zu spüren.Benjamin Pritzkuleit

Justyna Wahl hat den Kinderspielwarenladen Lilofee vor rund vier Jahren übernommen. Er liegt am Spreewaldplatz, direkt am Görli. Den Kiez kennt sie aber schon deutlich länger: Seit 1999 wohnt sie in Kreuzberg. Für unser Interview treffe ich die 57-Jährige in ihrem Geschäft. „Ich schließe mal ab. Man kann die offene Tür hier nicht aus den Augen lassen, man weiß nie, was kommt. Das ist nicht so angenehm“, erklärt sie mir während unseres Gesprächs. Justyna kann aus erster Hand berichten, wie schlimm die Lage im Görlitzer Park und in den umliegenden Straßen ist. Sie bekommt die Kriminalität beinahe täglich zu spüren.

„Hier wird rechts und links vom Laden konsumiert. Und du kannst mit denen kein klares Wort reden, die nicht wegschicken, die reagieren gar nicht“, schildert die Ladenbesitzerin. „Da kommen meine Kunden, die hier im Laden einkaufen wollen, und sehen das! Das ist natürlich nicht von Vorteil für ein Geschäft.“ Justyna kann mir genau zeigen, wo die Dealer aus dem Park noch vor einer Weile ihre Drogen versteckt haben: direkt gegenüber von ihrem Laden. Aktuell würden sie zum Glück andere Stellen nutzen.

Drogen und Kinderspielzeug – das passt natürlich überhaupt nicht zusammen. Trotzdem ist das der Alltag der 57-Jährigen: „Ich arbeite hier mit Müttern und Kindern und weiß nie, wann einer von denen austickt. Man muss sich das mal vorstellen: Ich betreibe einen Laden für Spielwaren und musste hier schon mehrfach Leute rausschmeißen.“

Justyna wurde in ihrem Laden schon mit einem Messer bedroht

Ein süßer Laden mit lauter Produkten für leuchtende Kinderaugen. Man würde nicht denken, dass die Besitzerin hier schon mit einem Messer bedroht worden ist.
Ein süßer Laden mit lauter Produkten für leuchtende Kinderaugen. Man würde nicht denken, dass die Besitzerin hier schon mit einem Messer bedroht worden ist.Benjamin Pritzkuleit

Justyna erzählt mir von einer Situation, die ihr besonders im Gedächtnis geblieben ist: „Einmal ist ein Mann hier reingelaufen, der von einem drogenabhängigen Obdachlosen bedroht wurde: ‚Ich bringe dich jetzt um‘, meinte der zu ihm. Die standen plötzlich hier in der Ecke meines Ladens – ich war nur kurz hinten, hatte zum Glück meinen Hund hier. Ich kam raus und meinte: ‚Was ist hier bitte los?‘ Der Mann bat mich nur: ‚Bitte rufen Sie die Polizei an, ich werde bedroht.‘“

Der Wohnungslose habe nicht von dem Passanten abgelassen. „Zuerst habe ich ihm gesagt, er soll rausgehen, dann habe ich meinen Taschenalarm rausgeholt und der Typ meinte nur: ‚Ja, ein Messer habe ich auch!‘“ Zur Erklärung: Mit ihrem Taschenalarm kann Justyna per Knopfdruck einen sehr lauten, schrillen Ton erklingen lassen, der abschreckend auf potenzielle Angreifer wirken soll. Das Sicherheits-Gadget trägt sie in ihrem Laden immer bei sich. „Daraufhin habe ich ihm zu verstehen gegeben: ‚Mit dem Messer wird in diesem Laden nicht herumgefuchtelt, tut mir leid.‘ Dann konnte ich ihn endlich raustreiben und habe abgeschlossen. Während ich ihn rausgetrieben habe, hat der Bedrohte die Polizei gerufen.“

Und wie ging es weiter mit dem Täter? „Wie mir die Polizei später gesagt hat, wurde der nur vernommen, seine Personalien wurden aufgenommen und der wurde wieder frei laufen gelassen.“ Mehr werde in solchen Fällen in der Regel auch nicht getan, so Justyna. „Ich habe schon von vielen Vorfällen gehört, bei denen die Polizei gar nicht erst einschreiten konnte. Das hier wird so langsam zu einem rechtsfreien Raum. Und das wird nur schlimmer.“

„Die Leute im Park haben keinen Raum mehr, wo die durchdrehen können“

Der Görlitzer Park. Hier geschehen täglich Straftaten, die sich mit dem Zaun in der Nacht künftig auf den Kiez verlagern könnten.
Der Görlitzer Park. Hier geschehen täglich Straftaten, die sich mit dem Zaun in der Nacht künftig auf den Kiez verlagern könnten.Benjamin Pritzkuleit

Trotzdem – oder gerade deswegen – hält sie den geplanten Zaun und die nächtliche Schließung des Parks für einen großen Fehler. „In Berlin gibt es die Kultur mit eingezäunten Parks nicht und das hat einen Grund: Das funktioniert hier nicht!“, beteuert die 57-Jährige. Sie ist überzeugt: „Wenn die den Park jetzt einzäunen und nachts dichtmachen, wird das nur schlimmer. Die haben keine Alternativen, die Menschen. Diese Menschen haben oft keine Papiere, wenig bis gar keine Bildung. Denen bleibt leider oft nichts anderes übrig, als Drogen zu verkaufen im Görlitzer Park. Aber diesen Menschen muss man helfen! Und sie nicht aus dem Park schmeißen, das bringt doch nichts.“

Ihre große Sorge ist, dass der Zaun die Dealer und Drogensüchtigen aus dem Görli in ihren Kiez verdrängen wird: „Die Leute im Park drehen durch, die haben sonst keinen Raum mehr, wo sie durchdrehen können. Denen bleibt dann nur noch die Straße. [...] Das wird sich auf die Umgebung auswirken! Es ist eh schon schlimm hier: Hier gibt es viele kleine Kinder, die schon Drogenreste oder Utensilien aus den Büschen gepult haben.“

Sammelunterkünfte und Legalisierung wären besser als der Zaun

In den Hauseingängen rund um Justynas Geschäft wird schon jetzt viel konsumiert. Das dürfte mit dem Zaun nur schlimmer werden.
In den Hauseingängen rund um Justynas Geschäft wird schon jetzt viel konsumiert. Das dürfte mit dem Zaun nur schlimmer werden.Benjamin Pritzkuleit

Außerdem argumentiert die Ladenbesitzerin: „So ein Zaun kostet auch Geld. Dieses Geld sollten sie lieber dafür verwenden, Sammelunterkünfte für diese Menschen zu bauen.“ Justynas Gegenvorschlag zum Zaun lautet: Eine ganzheitliche Kampagne, die die Kriminalität am Schopf packt und die Leute abholt. „Bei Themen wie Drogen oder Obdachlosigkeit bedarf es einfach eines überparteilichen Konsenses. Konzepte werden immer nur für Wahlprogramme vorgestellt, da erzählen sie was. Aber sobald sie gewählt sind, gibt es kein Konzept mehr, die verschwinden und werden nicht umgesetzt“, kritisiert die 57-Jährige. „Wenn man das Thema nicht groß angeht, wird das nicht gelingen.“

Was Justynas Meinung nach die Lage im Görlitzer Park – und im Rest der Stadt – erheblich verbessern könnte: „Warum entkriminalisieren sie die Drogen nicht, weiche und harte? Man könnte sich Portugal als Beispiel nehmen, die haben rückläufige Zahlen bei allen Drogen, dort hat es wunderbar funktioniert. Aber nein, man weiß es besser in Berlin.“

Wenn der Zaun kommt, muss ihr Laden vielleicht umziehen

Wenn sich die Lage durch den Zaun tatsächlich verschlimmert, muss Justyna vielleicht mit ihrem Spielwarengeschäft umziehen.
Wenn sich die Lage durch den Zaun tatsächlich verschlimmert, muss Justyna vielleicht mit ihrem Spielwarengeschäft umziehen.Benjamin Pritzkuleit

Wie sieht denn Justynas Beziehung zum Görlitzer Park heute aus, will ich zum Schluss wissen. Geht sie hier auch mal spazieren? „Ich gehe noch in den Park, ja. Aber nicht mehr oft, weil ich keine Lust mehr habe, mir das anzuschauen. Wie schlimm die Lage dort ist. Ich fahre da nur mit dem Rad durch“, beteuert die 57-Jährige. „Ich will auch nicht, dass meine Kinder da durchlaufen. Wenn, dann nur mit unserem Hund. Und nur bei Tageslicht, die dürfen nicht in der Dunkelheit durch den Park latschen, das geht gar nicht.“

Ob sie ihr Spielwarengeschäft noch lange an diesem Standort halten kann – halten will, weiß Justyna nicht. Sollten sich durch den geplanten Görli-Zaun die Vorfälle in und um ihren Laden tatsächlich häufen, muss sie vielleicht umziehen. ■