Geschwindigkeit ist keine Hexerei, sagt man. Manchmal aber doch. Als Fan des 1. FC Union erinnern sich alle noch an Sheraldo Becker, bis zu seinem Wechsel vor einem Jahr nach Spanien einer der schnellsten Spieler der Bundesliga. Seine Höchstgeschwindigkeit betrug einst 36,57 km/h. Außerdem ist Becker, sein Tempo hat dazu maßgeblich beigetragen, mit 18 Treffern nach Taiwo Awoniyi, der 20-mal traf, der zweitbeste Torschütze der Eisernen in Deutschlands höchster Spielklasse.
Während der Profikarriere von Steffen Baumgart gab es derartige Messungen höchstens im Training. Tatsächlich aber konnte der neue Trainer des 1. FC Union mit den Sprintern gut mithalten. Auch er war bei den Läufen zwischen den Lichtschranken im Becker-Speed unterwegs. Es hat damit nichts zu tun, aber fast könnte man meinen, dass Spieler mit den Initialen SB – hier Sheraldo Becker, da Steffen Baumgart – einen eingebauten Turbo besitzen.
Steffen Baumgart bleibt beim 1. FC Union wenig Zeit
Seine Schnelligkeit als Stürmer nutzt dem Coach der Eisernen nun nicht mehr. Dafür muss er anderweitig auf die Tube drücken. In null Komma nichts muss er das Team um Kapitän Christopher Trimmel auf Vordermann bringen. Zwischen Trainingsauftakt am 2. Januar und Bundesliga-Wiederbeginn, der die Köpenicker am Sonnabend nach Heidenheim führt, liegen gerade anderthalb Wochen. In zehn Tagen muss es von null auf hundert gehen. Auch für den Tempomacher und einstigen Publikumsliebling eine anspruchsvolle Aufgabe.

Es gibt nicht viele Trainer, die ihr erstes Punktspiel mit den Eisernen gewannen. Heinz Werner, der sein Amt wie Baumgart einst im Januar antrat, ist es 1976 mit einem 2:0 bei Stahl Finow gelungen. Werner „Pico“ Voigt hat 1990 mit einem 2:0 gegen Aktivist Schwarze Pumpe begonnen, Eckhard Krautzun mit einem 3:0 bei TeBe, Georgi Wassilew mit einem 1:0 in Erfurt, Christian Schreier mit einem 1:0 gegen Ludwigsfelde, Andre Hofschneider mit einem 2:1 gegen Karlsruhe und Urs Fischer mit einem 1:0 gegen Erzgebirge Aue. Aber erste Liga war das alles nicht, eher teils weit darunter.
Steffen Baumgart muss beim 1. FC Union Blockaden lösen
Nicht einmal Übungsleiter, die im Geschäft einen Namen haben oder bekannte Fußballer waren, konnten die Anfangshürde überspringen. Karsten Heine nicht mit einem 2:2 gegen den FC Vorwärts Frankfurt (Oder) und nicht einmal Frank Pagelsdorf in der damals drittklassigen NOFV-Oberliga mit einem 0:2 bei Hertha Zehlendorf. Nicht Frank Engel und nicht Hans Meyer, nicht Mirko Votava, Aleksandar Ristic und Jens Keller. Selbst Uwe Neuhaus kann mit seinem Debüt-Spiel, einem 0:1 gegen Fortuna Düsseldorf, nicht groß was anfangen.
Nun also Baumgart. Er brennt. Das war, völlig klar, bei allen anderen natürlich auch der Fall. Er bereitet jedes Spiel bis aufs letzte i-Tüpfelchen vor. Auch das, ebenso klar, haben seine Vorgänger mindestens genauso gehandhabt. Er kennt den jeweiligen Gegner aus dem Effeff. Auch hier, gläsern, wie die Bundesliga geworden ist, kein Unterschied zu allen anderen. Er ist mit jeder Faser dabei. Als ob die anderen das nicht gewesen wären. Na gut, er trägt eine Mütze mit der Nummer 72, seinem Geburtsjahr. Das haben andere Trainer, so Udo Lattek und Eduard Geyer, mit Pullovern, die sie nach Siegen immer wieder trugen, ohne sie zu waschen, auch getan. Bis die angebliche Magie irgendwann doch verflogen war.
Folgt Steffen Baumgart beim 1. FC Union auf Nenad Bjelica?
Dennoch gibt es einen Unterschied: Baumgart lässt alle an seiner Freude teilhaben. Aber auch an seinem Ärger. Er spart nicht mit Emotionen. Im Gegenteil. Er schürt sie. Vielleicht löst gerade das eine Blockade. Dass Fehler auch mal weggelächelt werden. Das ist in den kommenden Wochen wichtiger denn je, wenn es in Heidenheim, gegen Augsburg, Mainz und am Millerntor bei St. Pauli schon um eine ganz entscheidende Weichenstellung geht.
Übrigens: Einen Coach gibt es doch, der sein erstes Punktspiel in der Ersten Liga mit dem 1. FC Union gewonnen hat. Sogar in der Bundesliga. Zumal als einer, der gleichfalls mitten in der Saison gekommen ist. Aber erst, nachdem es in der Champions League bei Sporting Braga ein 1:1 gegeben hatte, die Partie bei Bayern München ausfiel und danach zu Hause ein 3:1 gegen Mönchengladbach glückte: Nenad Bjelica. Nur sollte der Weg des Kroaten in Köpenick lieber nicht als nachahmenswertes Beispiel herhalten. ■