Es war nur eine Frage der Zeit, dass so etwas passiert. Auch dass es einem derart erfahrenen Schlussmann wie Frederik Rönnow, der schon langjährigen Nummer 1 des 1. FC Union, unterläuft. Der völlig missratene Pass nämlich, der zum 2:3 beim VfB Stuttgart führte und letztlich die Niederlage dort besiegelte, ist neben Kullerbällen durch die Beine oder flutschenden Schüssen durch die Hände das Trauma eines jeden Torhüters.
So etwas passiert gar nicht mehr selten, und zwar in allen Ligen und in allen Ländern. Es passiert mittlerweile so oft, dass es sich kaum noch lohnt, mit derartigen Szenen einen Jahresrückblick zu bestücken. Es wäre fast schon langweilig. Tore, per Fallrückzieher oder direkt aus einer Ecke erzielt, sind inzwischen deutlich seltener. Spektakulärer sowieso. Aber dieser Gegentreffer vom Freitagabend, als Rönnow nahezu sehenden Auges in sein persönliches Dilemma rutschte und sein Team dorthin mitriss, gilt fast schon als alltäglich. Auf diversen Kanälen gibt es so etwas und Ähnliches nahezu in Endlosschleife.
Moderner Fußball für Torhüter immer schwieriger
Das hat seinen Grund. Einen durchaus gewollten. Je besser die Spieler trainiert, je athletischer, schneller, zweikampfhärter sie sind, desto mehr neutralisieren sie sich. Das sehr wohl auf hohem Niveau. Weil es manchmal dabei zu reinem Hin- und Hergeschiebe der Bälle und der Reihen verkommt, haben nicht einmal alle Trainer ihren Spaß daran. Es sei denn, sie sind reinste Taktik-Junkies.
Wie immer geht es um mehr Spannung, mehr Turbulenz, mehr Action in den Strafräumen und vor den Toren. Deshalb wurden die Regeln verändert und mit ihnen das Spiel insgesamt. Vor allem für Torhüter. Ältere Jahrgänge werden sich erinnern, dass Schlussmänner, hatten sie den Ball erst einmal sicher gefangen, ihn endlos lange auftippten, sich mit ihm bis zur vorderen Strafraumgrenze mogelten, um ihn mit aller Kraft bis zur Mittellinie (kaum weiter, die Pille war deutlich schwerer als heute) zu wuchten. Zeitbegrenzung? Keine.

Was danach kam, dazu in immer kürzeren Zeitabständen, sind: Rückpassregel, nach der ein Schlussmann den von einem Mitspieler kontrolliert gespielten Ball, zu dem auch ein Einwurf zählt, nicht mehr ungestraft mit der Hand aufnehmen darf; Vier-Schritte-Regel, bei der der Torhüter mit dem Ball in der Hand nur vier Schritte gehen durfte, aber wenn er stand, machte er ja keine Schritte; deshalb: Sechs-Sekunden-Regel, bei der der Keeper den Ball nicht mehr tippen muss, dafür so viele Schritte wie zeitlich möglich machen darf, nur eben das Zeitlimit nicht überreizen sollte. Letzteres wird allerdings eher großzügig ausgelegt, weil ein Überschreiten mit Gelb für den Torhüter und einem indirekten Freistoß für den Gegner geahndet wird, was selbst den strengsten Regelhütern als unverhältnismäßig erscheint.
Moderner Fußball für Torhüter immer schwieriger
Was die Sache für einen Schlussmann nun auf eine noch höhere Gefahrenstufe gelegt hat, ist die Tatsache, dass der Ball bei einem Abstoß nicht erst dann im Spiel ist, wenn er den Strafraum verlassen hat. In jedem Spiel ist zu sehen, dass der Abstoß kurz ausgeführt wird, häufig nur wenige Meter und damit deutlich innerhalb des Strafraumes, hin und wieder sogar innerhalb des Torraumes. Kaum hat der Ball jedoch den Fuß verlassen, dürfen auch Gegenspieler, die sich zunächst wie zuvor außerhalb des 16ers aufhalten müssen, eingreifen.
Dazu kommt, dass jedes Team, das auch nur halbwegs etwas auf sich hält, auf Ballbesitzfußball gepolt ist. Galt früher das von den Engländern hinten, also im Verteidigungsdrittel, geprägte „Safety first“, wird diese „Sicherheit zuerst“ hin und wieder für den Besitz des Balles geopfert. Für manchen Geschmack sogar ziemlich leichtfertig. Oft geht so etwas gut, weil die Spieler geschult sind, sich selbst auf engstem Raum aus einer kniffligen Situation spielerisch zu befreien und das bis an den Rand der Perfektion üben.
Glänzt Union-Keeper Frederik Rönnow wieder gegen Bochum?
Mit den Jahren ist ein Torhüter immer stärker zum Mitspieler geworden, der nicht allein mit Händen und Fäusten gut können, sondern sich ein zugleich veritables technisches Repertoire mit den Füßen angeeignet haben sollte. Trotzdem bleibt ein Rest Leichtsinn, den Beobachtern dabei manchmal fast das Herz stehen und der Atem auch. Meist geht es ja gut. In diesem speziellen Fall jedoch ist es Frederik Rönnow zum Verhängnis geworden.
Das Gute daran ist, dass es kaum zweimal passiert und schon gar nicht in zwei Spielen nacheinander. Das zumindest lässt für das durchaus richtungsweisende Match am Sonnabend gegen Schlusslicht Bochum (15.30 Uhr, Sky) hoffen. Mit einer weißen Weste, seiner fünften in dieser Saison, würde Rönnow die beste aller möglichen Antworten geben. ■