46 Jahre lang waren sie ein Paar, 38 Jahre davon verheiratet: Klaus-Detlef Krahn und Anita Kupsch (†85) waren füreinander die ganz große Liebe. Dann kam Alzheimer. Und die Schauspielerin begann zu vergessen: zuerst die Worte, dann ihre Erinnerungen, zuletzt das Schlucken.
„Und dann ist sie an dem einen Tag im Juli einfach eingeschlafen“, sagt Klaus-Detlef Krahn mit brüchiger Stimme, als der KURIER den Witwer zu Hause in seiner Dreizimmerwohnung im Berliner Stadtteil Wilmersdorf besucht.
Im Flur riecht es noch nach frischem Teppichboden. „Den habe ich gerade erst neu verlegen lassen. Der alte war durch die Pflege meiner Frau ganz löcherig und dreckig geworden“, erklärt der pensionierte Innenausstatter beinahe entschuldigend. „Ich brauche noch ein neues Bett, ein Boxspringbett. Bei dem, das ich jetzt habe, ist, seit Anita nicht mehr da ist, die linke Seite leer.“

Schon im Flur der 93 Quadratmeter großen Wohnung erinnert noch alles an Anita Kupsch, die ihr Witwer liebevoll „meine Mulle“ nennt. An den Wänden hängen Fotos der Schauspielerin. Im Esszimmer, auf dem alten Holzschrank, steht rund ein halbes Dutzend ihrer Preise: der Bambi von 1990, der Theaterpreis „Goldener Vorhang“, der Kulturpreis.
„Jetzt ist sie nicht mehr da. Ja, wer fängt mich jetzt auf?“
Vor einem gerahmten Foto seiner verstorbenen Frau im Flur bleibt Krahn stehen. Seine Augen werden wässrig. „Jetzt ist sie nicht mehr da. Ja, wer fängt mich jetzt auf?“ Er atmet tief. „Ich mich selbst wahrscheinlich. Die Situation ist, wie sie ist. Und das muss ich nun annehmen.“
Annehmen und weitermachen – das wurde für Klaus-Detlef Krahn in den letzten Jahren zum Lebensmotto. Denn Anita Kupsch blickte dem Tod immer wieder ins Gesicht: zweimal besiegte sie den Brustkrebs, einmal trotzte der zierliche TV-Star (u.a. „Praxis Bülowbogen“), der Zeit seines Lebens nicht mehr als 45 Kilogramm wog, dem Unterleibskrebs. Dann kam die Demenz.

„Die Diagnose haben wir 2020 vom Neurologen bekommen. Anita hat sich immer tapfer gegen ihr Schicksal gestemmt. Die Diagnose Alzheimer konnte sie nicht mehr umhauen.“ Er hält kurz inne. „Aber mich hat das erst mal umgekippt.“ Er schweigt kurz. „Dann habe ich das alles so angenommen, wie es auf mich zukam.“
In guten wie in schlechten Zeiten füreinander da zu sein – das hatte sich das Paar bei seiner Hochzeit versprochen. Ein Versprechen, das bis zuletzt galt. Die guten Zeiten, dazu gehört zum Beispiel der Tag, an dem sich Krahn in seine Anita verliebte.

„Wir hatten uns über einen Freund kennengelernt“, erinnert er sich. „Das muss Ende der 70er-Jahre gewesen sein.“ Der gemeinsame Freund empfahl Anita einen Zahnarzt in Hermsdorf. „Weil sie dort aber allein nicht hingekommen wäre, habe ich sie gefahren.“
Auf dem Rückweg kehrten sie zum Abendessen beim Italiener ein – da war es um beide geschehen. Erst tauschten sie nur ihre Telefonnummern, dann ging alles ganz schnell: Anita, die mit dem Journalisten Henno Lohmeyer (†94) Tochter Daniela bekommen hatte, trennte sich von ihrem damaligen Partner, dem französischen Produktionsleiter François Chevreui, und zog nach Wilmersdorf. Kurz darauf kündigte Krahn seine Wohnung in der Altensteinstraße und zog bei den Kupschs ein.

„Daniela war damals 14 Jahre alt. Ein ganz schwieriges Alter. Sie ist oft abgehauen. Anita und ich hatten viele schlaflose Nächte deshalb.“
Das Paar machten sich dann zusammen auf die Suche nach dem Teenager. Das schweißte die drei nur noch enger zusammen. „Daniela hat sich damals ordentlich die Hörner abgestoßen. Heute ist sie eine vernünftige Frau und eine tolle Mutter.“

Wie selbstverständlich spricht Krahn bei Daniela von „meiner Tochter“. „Auch wenn ich nicht ihr biologischer Vater bin: Für mich ist sie mein Kind.“ Auch auf dem Papier wurden sie bald eine Familie: am 12. Dezember 1986 gaben sich Kupsch und Krahn das Jawort. Kurz darauf feierte Anita Kupsch als Arzthelferin Gabi Köhler in „Praxis Bülowbogen“ ihren großen Durchbruch. „Ich war so stolz auf sie“, sagt Krahn. „Ich habe es geliebt, sie spielen zu sehen.“
Ab 2009, als der Innenausstatter sein Geschäft in Neukölln aufgab und in Rente ging, begleitete er seine Frau zu ihren Theaterauftritten quer durch das Land. 2017 stand Kupsch noch im Theater am Dom in Köln auf der Bühne. Dort spielte sie in „Golden Girls“ die Rose. „Das war ihre letzte Rolle“, erinnert sich Krahn. Dann fing alles an, schwerer zu werden. „Es ging mit der Wortfindung los, dass Anita die Worte nicht mehr hatte, die sie zum Sprechen brauchte.“

Klaus-Detlef Krahn übernahm ihre Pflege: wusch sie, zog sie an, bügelte, kochte. Zuletzt pürierte er ihr das Essen und fütterte seine Frau, weil sie mit dem Löffel ihren Mund nicht mehr finden konnte. „Ich habe mich immer weiterentwickelt in der Pflege und mich dem angepasst, was meine Frau brauchte.“
Obwohl er jeden Tag mit seiner Frau verbrachte, wurde Krahn immer einsamer. „Sie war zwar jeden Tag bei mir. Aber ich war am Ende trotzdem allein. Es kam keine Rückantwort mehr von ihr. Ich habe nur noch versucht, für Anita da zu sein, damit sie den Tag gut übersteht.“
„Das ist das Schlimmste: dabei zuzusehen, wie sie langsam zerfällt“
Doch gegen die tückische Krankheit war jeder Kampf aussichtslos. In Gesprächen bekam er kein Echo mehr. Krahn zeigte der Schauspielerin ihre alten Filme und Serien, vom „Tatort“ bis hin zu „Praxis Bülowbogen“. Doch irgendwann erkannte Anita Kupsch sich selbst nicht mehr. „Ich habe mich so machtlos gefühlt. Das ist das Schlimmste: dabei zuzusehen, wie sie langsam zerfällt.“
Anitas Zustand verschlechterte sich von Tag zu Tag. Immer wieder stürzte sie zu Hause. Oder Krahn musste nachts den Notarzt rufen, weil Anita drohte, zu ersticken. Er gestand sich ein: „Jetzt ist Schluss, es geht nicht mehr. Nun bin ich als Ehemann nicht mehr die richtige Person, um sie zu pflegen. Jetzt muss ein Profi her.“

Er gab sie in das Pflegeheim in der Fechnerstraße. Die Schauspielerin hatte im Voraus verfügt, dass sie an keine Geräte angeschlossen werden wollte. Vier Wochen später, am 3. Juli, wachte Anita Kupsch einfach nicht mehr auf. „Als der Anruf kam, bin ich sofort hingefahren. Aber da war es schon zu spät. Ich konnte mich nur noch von ihr verabschieden.“
Krahn wird still, seine Hand greift ins Leere. Dann räuspert er sich und schaut auf das gerahmte Bild seiner Frau auf der Vitrine im Wohnzimmer.




