Die AfD fordert die Aufhebung der Russland-Sanktionen, Abgeordnete der Partei fahren mitten im Angriffskrieg nach Russland und stellen den dortigen Scheinwahlen Blankoschecks aus, zugleich hetzen nicht wenige in der Partei gegen die Ukraine und die Nato – doch die AfD-Vorsitzende Alice Weidel sieht in alledem kein Problem.
Weidel hat in einem Interview den Vorwurf zurückgewiesen, ihre Partei pflege ein ungutes Näheverhältnis zum Kreml. „Mir ist es einfach wichtig, dass hier eine sehr ausgewogene Sicht auf die Dinge nicht verwechselt wird mit einer angeblichen Nähe zum russischen Präsidenten, Wladimir Putin“, sagte Weidel der Deutschen Presse-Agentur.
Alice Weidel setzt Ukraine und Russland gleich
Mit Blick auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine sagte Weidel, die als Co-Vorsitzende gemeinsam mit Tino Chrupalla die Partei und die Bundestagsfraktion leitet: „Die Glorifizierung einer Kriegspartei und die Dämonisierung der anderen Seite bringt uns zu keiner Lösung.“ Sie würde sich wünschen, „dass die Bundesregierung mehr auf Ausgleich setzt“. Mit den Worten stellt die AfD-Co-Vorsitzende die angegriffene Ukraine und Russland auf eine Stufe – ein typisches Muster russischer Propaganda.
Das Gespräch folgt auf Äußerungen des Leiters der Abteilung Recht und Organisation im Verteidigungsministerium, Jan Stöß. Der hatte am Freitag bei einem Symposium gesagt: „Wir haben Spionageaktivitäten, wir haben Verratsfälle und wir haben innenpolitisch eine Situation einer politischen Radikalisierung“, so Stöß. Die Spuren dafür führten zum „politischen Radikalismus, zu einer bestimmten auch im Bundestag vertretenen Partei, die durch eine besondere Nähe zu Russland aufgefallen ist“. Damit meinte er die Alternative für Deutschland.

AfD-Mitarbeiter mit Geheimdienstkontakten und bei Brandanschlägen
Denn immer wieder kommt es zu Vorfällen mit Mitgliedern der Partei. Nicht wenige Abgeordnete der Rechtspopulisten äußern sich positiv über Russland und dessen Diktator Putin. Hans-Thomas Tillschneider hatte im Landtag von Sachsen-Anhalt vor einigen Tagen gesagt, er habe Putin zur Wiederwahl gratuliert, weil dieser in den vergangenen Jahren „für Stabilität und Wohlstand in Russland gesorgt“ habe. AfD-Co-Chef Chrupalla hatte im vergangenen Mai Kritik auf sich gezogen, als er ungeachtet des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine an einem Empfang in der russischen Botschaft teilnahm.
Im Februar wurden Recherchen des Nachrichtenmagazins Spiegel veröffentlicht, die Hinweise auf einen direkten Kontakt des Mitarbeiters eines AfD-Bundestagsabgeordneten zum russischen Geheimdienst FSB hinwiesen. Im Jahr 2018 soll ein anderer Mitarbeiter eines weiteren AfD-Abgeordneten einen Brandanschlag auf ein polnisches Konsulat im ukrainischen Uschhorod verübt haben. Die russische Propaganda schlachtete den Vorfall zuvor als Beweis für angebliche antipolnische Ressentiments in der Ukraine aus. Der Verdächtige starb 2021 unter mysteriösen Umständen in Moskau an einem Herzinfarkt.
Anfang März waren drei AfD-Politiker aus Bayern zu den Präsidentschaftswahlen nach Russland gefahren und hatten trotz Berichten von massiven Wahlbeeinflussungen, der Streichung von vermeintlichen Gegnern von den Wahlzetteln, dem Wählen mit durchsichtigen Urnen und den Hausbesuchen von bewaffneten Soldaten zusammen mit Mitgliedern der Wahlkommission bei Bürgern die Wahlen als sehr gut organisiert bezeichnet.

AfD fühlt sich ähnlich verfolgt wie russische Opposition
Auf die Frage, ob sie froh sei, dass die Opposition in Deutschland nicht so behandelt werde wie in Russland, antwortete die AfD-Co-Chefin Alice Weidel: „Das will ich nicht bewerten, weil das ein innenpolitisches Thema ist.“ Sie wolle zwar keine Vergleiche ziehen, doch auch in Deutschland gebe es „Schwachstellen“ beim Umgang mit der Opposition. In Russland starb gerade der Oppositionspolitiker Alexej Nawalny in einer Haftanstalt, nachdem er nach seiner Rückkehr nach Russland und einem vermutlich durch den russischen Geheimdienst durchgeführten Vergiftung lange Zeit in einem Berliner Krankenhaus behandelt werden musste. Zuvor wurden auch andere Oppositionelle wie der ehemalige russische Vizeministerpräsident Boris Nemzow in Russland ermordet.
Zu den kürzlich in Russland durchgeführten Präsidentschaftswahlen hatte der Kreml nicht einmal Politiker zugelassen, die zwar in der Opposition sind, aber sehr nah an der Politik des Kremls liegen. Experten sehen in Russland immer mehr Züge eines totalitaristischen Staates.
Die AfD hingegen beklagt beispielsweise, dass bislang keiner ihrer Abgeordneten in das geheim tagende Bundestagsgremium zur Kontrolle der Geheimdienste gewählt wurde. Die anderen Parteien fürchten, dass die Abgeordnete geheime Informationen durchstechen könnten. Der Verfassungsschutz beobachtet die AfD als rechtsextremistischen Verdachtsfall, was in erster Instanz gerichtlich bestätigt wurde und aktuell Gegenstand eines Berufungsverfahrens vor dem Oberverwaltungsgericht Münster ist.

Probleme mit anderen europäischen Rechtspopulisten wegen Russland-Nähe
Weidel räumte ein, dass die unterschiedliche Sicht auf Russland die Fraktionsbildung im rechten Lager nach der Europawahl erschweren könnte. Sie sagte: „Da ist momentan viel Bewegung drin, auch hinsichtlich der Positionierung zu Russland.“ Die AfD ist aktuell Mitglied der Fraktion Identität und Demokratie (ID). Die meisten Abgeordneten der Fraktion gehören der rechten italienischen Lega und der französischen rechtsnationalen Partei Rassemblement National an.
Neben der ID-Fraktion sind andere rechte Parteien in der Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) organisiert. Zu ihr gehören die polnische PiS und die Partei der italienischen Premierministerin Giorgia Meloni, die Fratelli d’Italia. Fast alle der Fraktionen pflegen ein deutlich distanzierteres Verhältnis zu Russland. ■