Wiedersehen macht Freude – und wie! Da war ich in dieser Woche auf dem einstigen Stasi-Gelände in Lichtenberg, dem heutigen Campus der Demokratie, um mir im Haus 22, dem einstigen MfS-Casino, den Aufbau der neuen DDR-Fotoschau „Blickwechsel“ anzuschauen. Und wer steht da plötzlich vor mir? Meine einstige Kollegin Marion Klemp (68), die vor Jahren als KURIER-Reporterin unterwegs war und vor allem aus Brandenburg viele schöne Geschichten für die Leser aufschrieb.
Eine Ewigkeit ist das her! Ich bin überrascht, hier in einem Galerie-Raum Marion zu treffen. Wir liegen uns in den Armen. Will sie etwa auch einen neugierigen Blick in die Schau der Agentur DDR Fotoerbe werfen, die nun die Werke von vier Pressefotografinnen mit ihrem Blick auf den Osten Berlins und der DDR präsentiert? „Nein“, sagt Marion und lacht. „Ich bin eine der vier Fotografinnen.“

Das haut mich nun wirklich um. Da arbeiteten wir in den 90ern bis in die 2010er-Jahre fast 16 Jahre lang am Alex zusammen, quatschten beruflich und privat über alles Mögliche – und da hatte Marion doch noch ein Geheimnis vor mir! Ich kannte sie ja nur als schreibende Kollegin, die mal ganz beiläufig erwähnte, dass sie auch fotografiert.
Aber dass sie es in der DDR hauptberuflich machte, sogar von 1980 bis 1984 die erste Fotografin des KURIER-Vorgängers BZ am Abend (BZA) war, das alles hat sie mir doch glatt „verschwiegen“. Nicht aus böser Absicht. Wir kamen einfach nie darauf zu sprechen.

Nun sehe ich in dem Galerie-Raum zum ersten Mal eine kleine Auswahl von Marions Werken aus jener Zeit. 18 Bilder, die in Schwarz-Weiß zeigen, wie bunt der DDR-Alltag war.

Von der Wand lachen mich zwei Eisenbahner aus einer Dampflok an. Auf einem anderen Bild bemalen Kinder auf einem Straßenfest in der Sophienstraße in Berlin-Lichtenberg einen weißen Trabi mit Farbe. Einfach köstlich. Die Besitzer, die sich gelassen an ihr Auto lehnen, scheint es nicht zu stören.
Ja, das Leben war bunt in der DDR, wie auch eine andere Aufnahme von Marion zeigt. Es entstand in einer Lichtenberger Werkhalle, als dort eine südamerikanische Musikgruppe beim „Festival des politischen Liedes“ kostenlos vor Arbeitern spielte. Heute wäre so etwas undenkbar.

Schau auf einstigem Stasi-Gelände: Fotografinnen zeigen, wie bunt der DDR-Alltag sein konnte
Am meisten amüsiere ich mich über ein Bild, das Marion bei einem Kiez-Fest in Treptow in den 80er-Jahren aufnahm. Da steht ein Punk, der gut als Billy-Idol-Doppelgänger durchgehen könnte, schiebt mit seiner Frau einen Kinderwagen und steckt ganz frech die Zunge heraus. „Ich glaube, bei einem Mann als Fotografen wäre es zu diesem ungewöhnlichen Bild nicht gekommen. Manchmal können Frauen ganz andere Momente mit der Kamera festhalten als Männer“, meint Marion.

Wie sie zur Fotografie gekommen ist, will ich wissen. Marion erzählt, wie sie sich 1975 für ein Volontariat für ein anschließendes Journalistik-Studium bewarb. Man riet ihr, sich für die Agentur-Fotografie zu melden. Denn die DDR-Nachrichtenagentur ADN/Zentralbild suchte damals Frauen, die die Männerdomäne in diesem Job aufbrechen sollten. Eines ihrer ersten Fotos, das genommen wurde, war ein Torschuss-Bild, das 1976 beim Europapokal-Halbfinalspiel BSG Sachsenring Zwickau gegen RSC Anderlecht (endete 0:3) entstanden ist.
Marion Klemp war die erste Fotografin des KURIER-Vorgängers BZ am Abend

1980 wurde Marion Klemp die erste Bildreporterin der BZA, blieb vier Jahre. Einige ihrer Bilder in der Schau entstanden in dieser Zeit. Wie die Arbeiterinnen einer Jugendbrigade des Herrenbekleidungsbetriebes VEB Fortschritt in Lichtenberg, die mit ihrer Fröhlichkeit auch den Betrachter anstecken.
Ein weiteres Bild aus jener Fotografenzeit für die BZA hat mir Marion mitgebracht, das ein Kollege von ihr machte. Da steht sie doch bei einem Frühschoppen in einer Zirkusmanege mit einem Glas Bier neben einem Löwen. Nee, Angst vor Menschen und gefährlichen Tieren hatte sie als Fotografin nicht.

Sie ging einfach drauflos. So dokumentierte sie den Wiederaufbau des vom Krieg zerstörten Deutschen Doms und des Schauspielhauses auf dem Gendarmenmarkt, damals Platz der Akademie. Der Platz sei ihre große Liebe geworden, erzählt mir Marion. Und so kam sie als Fotografin ans Schauspielhaus. Dort hielt sie Stars wie Peter Schreier, Kurt Masur oder Leonard Bernstein mit ihrer Kamera für die Ewigkeit fest. Leider sind davon so manche Bilder in der Ausstellung nicht zu sehen.

Dafür aber ihre Fotos von den DDR-Auftritten von Udo Jürgens, Miriam Makeba – und Herman van Veen. Den niederländischen Entertainer durfte sie sogar auf seiner DDR-Tour in den 80ern begleiten. Tja – und das alles hat mir meine Kollegin nie erzählt.
Zum Glück haben Sandra Neumann und Heike Betzwieser dafür gesorgt, die mit ihrer Agentur DDR Fotoerbe die fotografischen Schätze der Fotografen des Ostens bewahren, dass in dieser Schau Marion Klemps Bilder für mich kein Geheimnis mehr bleiben und nun für Sie, liebe Leser, wieder zu sehen sind.

„Die DDR gibt es nicht mehr. Doch da sind von Fotografen und Fotografinnen auf Bildern konservierte unwiederbringlichen Momente dieses verschwundenen Landes. Die sind es wert, in ihrem Facettenreichtum zu überdauern und gezeigt zu werden“, sagt mir Marion beim Abschied. Das Gesagte gilt auch für die Werke der DDR-Pressefotografinnen Gabriele Senft, Martina Kaiser und Waltraud Grubitzsch, die ebenfalls in der Schau zu sehen sind. Glauben Sie mir, ein Besuch lohnt sich.
„Blickwechsel: Ost-Berlin und die DDR aus der Sicht von Pressefotografinnen“, Campus für Demokratie, Ruschestraße 103, Haus 22. Die Schau ist bis 31. August 2024 täglich von 10 bis 18 Uhr geöffnet, der Eintritt ist frei.