Die offene Trainerfrage schwebt weiter über Hertha BSC und verbreitet vor allem eins: Unsicherheit! Seit dem 30. Spieltag steht fest, dass Hertha ein zweites Jahr in der Zweiten Bundesliga bestreiten muss. Sportdirektor Benjamin Weber aber hält sich total zurück und beantwortet die drängenden Nachfragen in Sachen Cheftrainer stets mit den gleichen Worten: „Wir haben einen klaren Zeit-und Fahrplan, den wir nicht in der Öffentlichkeit diskutieren. Wir lassen uns nicht von Spekulationen treiben.“
Vielleicht will man die Klub-Ikone Dardai nicht als „Lame Duck“ erscheinen lassen, sollte man die mögliche Trennung noch vor dem Saisonende verkünden? Oder man streitet intern, wer der mutmaßliche Nachfolger werden soll? Kandidaten werden in den Medien jeden Tag durch Dorf getrieben. Oder: Die Dardai-Befürworter setzen sich durch und warten ab, was der Ungar an Rahmenbedingungen für die Mission Aufstieg fordert?
Hertha-Trainer Dardai: Maza-Wutanfall und PK-Eklat
Welchen Einfluss die intern kritisierten emotionalen Ausbrüche von Pal Dardai (vorzeitiges Verlassen einer Pressekonferenz, öffentliche Schelte von Ibrahim Maza auf dem Rasen in der Halbzeitpause) auf die Trainer-Entscheidung von Weber samt des Präsidiums haben, ist nicht bekannt.
Ich will an dieser Stelle daran erinnern, wie positiv Hertha einst die Trainerfrage gelöst hatte, als die Mannschaft nach 13 Jahren in der Erstklassigkeit 2010 und 2012 jeweils abgestiegen war, aber beide Male sofort den Wiederaufstieg schaffte. Die Abstiege wurden später als „Betriebsunfälle“ deklariert.
Hertha BSC: Lösung der Trainerfrage befreit
In der Saison 2009/10 war die Mannschaft unter den Trainern Lucien Favre (der Schweizer wurde nach dem siebten Spieltag entlassen) und Nachfolger Friedhelm Funkel am vorletzten Spieltag und einem 1:1 bei Bayer Leverkusen am 1. Mai abgestiegen. Nach der Hinrunde hatte Hertha klägliche sechs Punkte auf dem Konto! Schon am 16. Mai sickerte durch, dass der Europameister von 1996, Markus Babbel, die Mannschaft in Liga zwei übernehmen soll. Manager Michael Preetz gelang ein guter Schachzug: Er hatte die Trainerfrage blitzschnell gelöst und aus Enttäuschung und Tristesse wurde schnell eine Aufbruchstimmung, die auch Babbel entfacht hatte. „Ich bin angetreten, um den sofortigen Wiederaufstieg zu schaffen“, sagte Babbel voller Inbrunst und machte sofort seine Visionen öffentlich: „Warum sollte es uns nicht gelingen, gegen Paderborn, Osnabrück, Aue oder wie die Gegner alle heißen, 60.000 oder 70.000 Zuschauer ins Olympiastadion zu bringen?“
Hertha ging mit dem höchsten Etat aller Zweitligisten – rund 40 Millionen Euro – in die Saison, stieg souverän auf und am 28. Spieltag sahen tatsächlich 70.621 Zuschauer einen 2:0-Sieg gegen den SC Paderborn, der damals als Synonym für Zweitliga-Fußball galt.
Babbel und Luhukay feierten Wiederaufstieg mit Hertha BSC
Noch früher als 2010 klärte Preetz die Trainerfrage sogar nach dem dramatischen Abstieg im Mai 2012 in der unsäglichen Relegation gegen Fortuna Düsseldorf. Noch vor dem Ende der beiden Relegationsspiele (1:2/2:2) am 10. Und 15. Mai hatte der erfahrene Niederländer Jos Luhukay seine Zusage gegeben – unabhängig von der künftigen Spielklasse. Das brachte ihm große Anerkennung im Verein und bei den Fans ein. Das Team stieg unangefochten auf und brach dabei viele Rekorde. Sage und schreibe 21 Spiele in Serie blieb man ungeschlagen, war die beste Heim-und die beste Auswärtsmannschaft.
Natürlich gibt es krasse Unterschiede zwischen den Bedingungen unter denen Babbel und Luhukay einst die Zweite Liga dominierten und der aktuellen Situation. Die Hertha-Mannschaften 2010 und 2012 waren qualitativ besser und mit mehr erfahrenen Profis besetzt, die Fluktuation nach den Abstiegen nicht so krass wie im Sommer 2023, die Zweite Liga nicht so stark und ausgeglichen wie heute, die finanziellen Probleme im Klub nicht so heftig wie im Moment. Egal, wie der künftige Cheftrainer für die kommende Spielzeit heißen wird, die Entscheidung muss zu 100 Prozent sitzen und sollte bald fallen. Sportdirektor Benjamin Weber beneide ich jedenfalls nicht.