Seitdem Hertha im deutschen Profifußball eine Etage tiefer gefallen ist, hat mein Interesse an der Ersten Bundesliga ein wenig gelitten. Zwar schaue ich immer zuerst, wie sich der 1. FC Union schlägt, auch Bayer Leverkusen verfolge ich mit steigendem Interesse, weil das Team von Trainer Xabi Alonso oft einen wunderbaren Fußball spielt und meiner Meinung nach am Saisonende unter den Top drei landen wird.
Aber Duelle wie Hoffenheim gegen Darmstadt oder Wolfsburg contra Heidenheim können mich wirklich nicht vom Hocker reißen. Nicht umsonst machte nach dem Abstieg von Hertha samt dem alten Rivalen Schalke 04 und dem Aufstieg der vermeintlich „Kleinen“ Darmstadt 98 und 1. FC Heidenheim das geflügelte Wort von der „Verzwergung“ der Ersten Liga die Runde. Das ist natürlich eine abschätzige Titulierung.
Auch dank Hertha BSC: Zuschauerboom in der Zweiten Liga
Aber Fakt ist: Spiele wie etwa Hamburger SV gegen den FC St. Pauli oder eben Schalke contra Hertha – zugegeben zwei stark angeschlagenen einstigen Branchen-Riesen – besitzen eine ganz andere Anziehungskraft. Das mag ungerecht gegenüber Heidenheim & Co. sein, ist aber die Realität.
Ich stehe mit meinen Gedanken nicht allein da, wie der Zuschauerboom in Liga zwei zeigt, an dem auch Hertha BSC einen großen Anteil besitzt. In den ersten vier Heimspielen pilgerten im Schnitt 46.251 Zuschauer ins Olympiastadion mit dem Highlight von 66.113 Fans gegen den FC St. Pauli, darunter 13.000 Anhängern vom Millerntor. Sensationell! Fast alle Duelle, in denen Hertha in fremden Stadien antrat, waren ausverkauft, allein 57.000 verfolgten das Spiel der Berliner beim Hamburger SV und 62.271 Zuschauer sahen den jüngsten Auftritt auf Schalke.
Zweite Liga: Elf von 18 Klubs waren Deutscher Meister
Man kann diese Spielklasse ohne Übertreibung als „Boom-Liga“ bezeichnen. Diese enormen Zuschauerzahlen erreichen oft nicht einmal Duelle in Italiens Serie A oder in Spaniens La Liga. Es ist wohl die Verbindung von Tradition mit meist modernen Infrastrukturen und großen Arenen, die diese Anziehungskraft hervorruft.
Und auch die Tatsache, dass jeder jeden schlagen kann, erhöht die Attraktivität und Spannung. Eine Etage höher scheinen viele Dinge in Stein gemeißelt zu sein: Meister wird sowieso der FC Bayern und ein meist sehr kleiner Kreis versucht sich als Verfolger.
Fans kommen bei Hertha auch in der Zweiten Liga
Ein weiteres Pfund der Zweiten Liga ist die Historie. Allein elf der 18 Vereine haben in ihrer Geschichte den Titel des Deutschen Meisters errungen – auch wenn das meist sehr lange zurückliegt. In der ersten Bundesliga tummeln sich lediglich acht Klubs, die bereits den Meistertitel feiern konnten.
Was mich immer wieder erstaunt: Gerade bei Hertha BSC hat sich gezeigt, dass die Vereinsliebe der Fans nicht von der Ligazugehörigkeit abhängig ist. Nach dem Abstieg 2010 sorgte etwa der neu verpflichtete Trainer Markus Babbel für Aufbruchstimmung und sagte noch vor dem ersten Spiel: „Warum sollte es uns nicht gelingen, gegen Paderborn, Osnabrück, Aue oder wie die Gegner alle heißen, 70.000 Zuschauer ins Olympiastadion zu bringen?“
Das Derby gegen den 1. FC Union fehlt jedem Hertha-Fan
Im April 2011 – es war der 28. Spieltag – sahen tatsächlich 70.621 Hertha-Anhänger einen 2:0-Sieg gegen den SC Paderborn, der damals noch als Inbegriff für eher langweiligen Zweitligafußball galt. Im Schnitt pilgerten 46.131 Zuschauer zu den Heimspielen der Hertha, die den Sofortaufstieg schaffte und am letzten Spieltag beim 2:1-Sieg gegen den FC Augsburg mit 77.116 Fans einen neuen Zweitligarekord aufstellte, seitdem 1981 die eingleisige Zweite Liga eingeführt wurde.
Dennoch: bei allem Lob für die Attraktivität der Zweiten Liga, die längst aus dem Schatten der ganz Großen getreten ist: Hertha BSC sollte so schnell wie möglich wieder den Aufstieg packen. In der Beletage ist die Chance, sich wirtschaftlich zu konsolidieren, dank der üppigen Sponsoren-und TV-Einnahmen wesentlich größer. Abgesehen von diesem wichtigen Fakt: Allein das brisante Stadtderby gegen den 1. FC Union vermisse ich schon jetzt.