Ob Haris Tabakovic und Marc-Oliver Kempf den spektakulären Auftritt ihrer ehemaligen Hertha-Teamkameraden am zurückliegenden Wochenende auf dem Betzenberg von Kaiserslautern – einem 4:3-Sieg - am Fernseher verfolgt haben, ist nicht bekannt. Beide bewegen sich seit einigen Tagen in einem neuen Umfeld, was sicher viel Aufregung mit sich bringt.
Kempf residiert nun in Como, einer schönen Stadt, die am südlichen Ende des idyllischen Comer Sees liegt. Dort hat der 29-Jährige einen Dreijahres-Vertrag bei Como 1907 unterschrieben, nachdem er seit 2022 die Abwehr der Hertha verstärkt hatte. Inter Mailand und Juventus Turin als Gegner statt SV Elversberg oder Preußen Münster, Bella Italia statt deutsche Krisenszenarien. Gründe für Kempf zu wechseln, gibt es viele. Für Hertha aber stellt der Transfer sportlich einen Verlust dar, der mit einer Ablöse von rund 2,5 Millionen Euro nicht komplett aufzuwiegen ist.
Der zweite prominente Abgang – Torjäger Tabakovic – kam beim 1:3 seiner TSG 1899 Hoffenheim bei Eintracht Frankfurt in den letzten fünf Minuten zu seinem Debüt in der Beletage des deutschen Fußballs. Hoffenheim ist natürlich nicht Como, aber ein finanzkräftiger Erstliga-Standort.
Millionen-Einnahmen helfen Hertha

Ich hatte wegen der kurzfristigen Abgänge der zwei Führungsspieler durchaus bedenken, wie Herthas Mannschaft diese Verluste an fußballerischer Qualität wegstecken würde und ob das Ziel „Wiederaufstieg“ in weite Ferne rückt. Sportdirektor Benjamin Weber wollte beide Profis nicht abgeben, stimmte aber mit dem „Blick auf die Gesamtsituation“, sprich die finanzielle Lage des Vereins, schweren Herzens zu. Im Transfersommer wandelte Weber auf einem schmalen Grat.
Schon häufig in der Historie der Hertha mussten starke Spieler verkauft werden, um die Kasse zu füllen. Krass war das etwa am Ende der meist erfolgreichen 1970er Jahre. Um die Lizenz vom DFB zu erhalten musste Hertha 1978/79 mindestens einen Betrag von einer Millionen Mark durch Spielerverkäufe erwirtschaften. Peanuts im Vergleich zur heutigen Zeit – damals aber eine heftige Auflage. Das Unterfangen gelang – für die Verkäufe von Keeper Norbert Nigbur, Hanne Weiner , Erich Beer und Karl-Heinz Granitza – allesamt Anführer auf dem Platz - kamen 1,9 Millionen Mark zusammen. Bei Hertha aber begann danach der Abstieg auf Raten, 1979/80 folgte der Sturz in Liga zwei.
Noch frisch in Erinnerung ist die Situation zu Beginn der Spielzeit 2023/24. Trainer Pal Dardai hatte nur einen Torso, statt einer Mannschaft zur Verfügung, weil zuerst gute Spieler verkauft werden mussten, ehe man neue Profis verpflichten konnte. Stattliche rund 25 Millionen Euro an Transferüberschuss erwirtschaftete Sportdirektor Weber, aber sportlich blieb nur der enttäuschende Platz 9.
Das 4:3 in Kaiserslautern macht Mut
Und nun? Der jüngste, spektakuläre 4:3-Sieg der Hertha auf dem berühmten Betzenberg von Kaiserslautern hat meine Bedenken vorerst vom Tisch gewischt. Es war ein Erfolg, der durch unbändigen Kampfgeist, enorme individuelle Klasse einiger Protagonisten und die nun sichtbare Spielidee von Cheftrainer Cristian Fiel möglich wurde. Es scheint, als ob sich nach den schmerzhaften Abgängen der beiden Führungsspieler Tabakovic und Kempf andere Profis in den Vordergrund drängen, die nun ihre Chance sehen und ergreifen.
Ich denke etwa an Jonjoe Kenny, Michael Cuisance, Ibrahim Maza, Luca Schuler und Derry Scherhant. Neue Hierarchien werden entstehen und Fiels Philosophie („Ich will mutigen und dominanten Fußball spielen lassen“) scheint immer besser zu greifen. Der Auftritt in Kaiserslautern hat Hoffnung gemacht, muss aber nun seine kontinuierliche Fortsetzung finden - irgendwann auch wieder mit Fabian Reese, der lukrativen Offerten widerstand.
Nach dem Abpfiff des Krimis auf dem „Betze“ musste ich an meinen ersten Besuch als Reporter in Kaiserslautern denken. Im September 1998 führte Hertha mit Jolly Sverrisson, Andy Thom, Pal Dardai und Michael Preetz schon 3:1, ehe Lautern das Spiel drehte und gewann – mit 4:3! Schön, dass sich wenigstens diese Zeiten geändert haben. ■