Grußonkel Erich Honecker

Vor 40 Jahren: Was die DDR am 15./16. September 1984 bewegte

Wir reisen zurück ins Jahr 1984. Von Politik über Sport bis hin zu Kleinanzeigen: Was damals in den DDR-Zeitungen gedruckt wurde, lesen Sie hier. 

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Erich Honecker, der Generalsekretär des Zentralkomitees der SED und Vorsitzende des Staatsrates der DDR, musste nicht nur viel reden, sondern auch Unmengen an Grußbotschaften absetzen.
Erich Honecker, der Generalsekretär des Zentralkomitees der SED und Vorsitzende des Staatsrates der DDR, musste nicht nur viel reden, sondern auch Unmengen an Grußbotschaften absetzen.Sommer/imago

Der 15. September 1984. Ein Sonnabend vor 40 Jahren. Schaut man in die Zeitungen von damals, fühlt sich das wirklich wie Nachrichten aus einem anderen Jahrtausend an. Nicht nur, weil die Zeitungen noch in Schwarz-Weiß gedruckt wurden. Es war eine andere Zeit, ein anderes Gesellschaftssystem. Ost und West standen sich gegenüber. Wir wollten wissen, was die DDR vor 40 Jahren bewegt hat.

Was schon auf Seite 1 der Wochenendausgabe der Berliner Zeitung vom 15./16. September auffällt: Die DDR sollte als Land der guten Nachrichten verkauft werden. Da wird von der DDR als stabilen Faktor im Kampf um den Frieden geschrieben, von neuen Impulsen für die weitere Zusammenarbeit. Erich Honecker kam in zwölf verschiedenen Texten vor. Und die Zeitungen von damals waren viel dünner, alles aus der DDR und der weiten Welt musste auf 16 Seiten passen. Lesen Sie hier, was damals als berichtenswert galt.

Erich Honecker als Grüßonkel

Seite 1: Aufmacher war der von der Nachrichtenagentur ADN übernommene Text  „Parteilehrjahr wurde in den Bezirken eröffnet“. Da heißt es dann: „In dieser Woche fanden in den Bezirken Parteiaktivtagungen der SED zur Eröffnung des Parteilehrjahres 84/85 statt. Sie gestalteten sich zu einem eindrucksvollen Bekenntnis der Kommunisten zur Politik der Partei. Einheitlich und geschlossen, in festem Vertrauen zum Zentralkomitee und seinem Generalsekretär, Erich Honecker, verwirklichen sie die Parteibeschlüsse und vollbringen gemeinsam mit allen Werktätigen große Leistungen, um das 35. Jahr der DDR zum erfolgreichsten ihrer Geschichte zu machen. Auf den Beratungen sprachen die 1. beziehungsweise 2. Sekretäre der Bezirksleitungen vor 15.730 Parteiaktivisten und Propagandisten über die Aufgaben der Parteiorganisationen bei der weiteren Stärkung der Deutschen Demokratischen Republik und beim Kampf um die Sicherung des Friedens.“

Willi Stoph, der Vorsitzende des Ministerrates, empfing Teilnehmer der Hochschulministerkonferenz sozialistischer Länder, in Rostock wurde die Zentrale Wissenschaftliche Konferenz zum 35. Jahrestag der DDR beendet. Es wird darüber berichtet, dass die Vereinigten Staaten und Israel haben die Stationierung von nuklearen USA-Mittelstreckenraketen in der Negev-Wüste vereinbart haben, DDR-Leichtathleten den Acht-Nationen-Cup in Tokio gewonnen haben. „Sie stellten vor 80.000 Zuschauern in zwölf der 28 Wertungswettbewerbe die Sieger und behaupteten sich mit 183 Punkten vor der UdSSR (171), Großbritannien (149), den USA (121,5), Ungarn (113), Italien (93,5), Japan (92) und der Asien-Auswahl (75).“

Seite 2: Die erste Politikseite liest sich in weiten Teilen wie eine Grußseite. Gleich drei Artikel beschäftigen sich mit Grußtelegrammen von Erich Honecker zu den Nationalfeiertagen von Mexiko, Kostarika und Papua-Neuguinea. Und drei andere Länder (CSSR, Rumänien, Vietnam) danken für die Grußtelegramme, die sie erhalten haben.

Die Berliner Zeitung vom 15./16. September 1984.
Die Berliner Zeitung vom 15./16. September 1984.Berliner Zeitung/Archiv Berliner Verlag

Unten links versteckt findet sich dann der brisanteste Artikel: „Protest gegen Willkürakt gegenüber DDR-Bürger in der BRD“ – wieder von ADN übernommen. „Die ständige Vertretung der DDR in Bonn protestierte im BRD-Bundeskanzleramt entschieden gegen einen Willkürakt gegenüber einem DDR-Bürger während eines besuchsweisen Aufenthaltes in der BRD und forderte, solche den Reiseverkehr belastende Aktivitäten zu unterlassen. Der Bürger der DDR, Rinaldo Berger, der kürzlich zu Besuch in der BRD weilte, wurde dort unter der Anschuldigung angeblicher ‚geheimdienstlicher Tätigkeit‘ festgenommen, entwürdigenden Verhören unterzogen und an der fristgemäßen Rückkehr in die DDR gehindert. Berger wunde im entkleideten Zustand einer Leibesvisitation unterworfen, sein Reisegepäck wurde durchsucht. Von ihm wurde die Anfertigung eines Lebenslaufes gefordert. Nachdem sich nach mehreren Verhören die völlige Haltlosigkeit der Anschuldigungen erwiesen hatte, mußte der DDR-Burger Berger freigelassen werden und konnte in die DDR zurückkehren.“

Seite 3: Die Blickpunkt-Seite befasst sich mit „befasst sich mit sozialen Tatbeständen, die in den zurückliegenden dreieinhalb Jahrzehnten in unserem Land geschaffen wurden und die unter kapitalistischen Verhältnissen nicht realisierbar sind. Diese Tatbestände illustrieren die Feststellung im Aufruf zum 35. Jahrestag der DDR: „Niemals zuvor in unserer Geschichte haben sich im Verlaufe nur zweier Generationen die Lebensbedingungen der Menschen so grundlegend zum Guten gewandelt.“

Eindrucksvolle Feldparade beendet Manöver

Diesmal das Thema: „Das Recht auf Arbeit ist bei uns verbrieft und verwirklicht. Sozialistische Planwirtschaft garantiert allen dieses grundlegende Menschenrecht. Ein von uns selbst erarbeiteter und mit Leistung abgesicherter Vorzug unseres Lebens“. Eingeklinkt in den Text Zahlen und Fakten: „In der DDR ist jedem ein Arbeitsplatz sicher. In der BRD sind gegenwärtig 3,5 Millionen Menschen von der Arbeitslosigkeit betroffen: 2,2 Millionen registrierte Arbeitslose und mehr als eine Million resignierende Beschäftigungssuchende, die nicht oder nicht mehr von den Arbeitsämtern erfasst sind.“

Seite 4: Hier wird seitenfüllend die Zentrale Wissenschaftliche Konferenz in Rostock und die Hochschulkonferenz sozialistischer Länder fortgesetzt. „Anschaulich schilderte Heide Hinz, Sekretär der Bezirksleitung Schwerin der SED, die Entwicklung von Wissenschaft, Volksbildung und Kultur in ihrem Bezirk. ‚Wo vor der Befreiung vom Faschismus das Holzpantoffelgymnasium vorherrschte, kommen gegenwärtig auf 1000 Beschäftigte 60 Hoch- und Fachschulkader, die zunehmend in betrieblichen Zentren der Forschung und Entwicklung für moderne Erzeugnisse und Technologien sorgen‘, betonte sie.“

Seite 5: Auf der vierten Politikseite kommt wieder der Glückwunschschreiber Erich Honecker zum Zuge. Zwei verdienten Genossen wird zum 80. bzw. 85. Geburtstag gedankt. Großer Aufmacher war aber der Bericht zu Militärübung des Warschauer Pakts in der CSSR: Eindrucksvolle Feldparade beendete Übung ‚Schild 84‘. Zitiert wird die Frankfurter Rundschau, die die Forderung von USA-Präsident Reagan nach der Produktion moderner chemischer Waffen verurteilt, unter der Überschrift „Neuauflage des alten Aggressionsregimes“ wird über Start der neuen israelischen Koalitionsregierung unter Ministerpräsident Shimon Peres berichtet.

Seite 6: Auf der Außenpolitikseite lernt man, dass Kambodscha damals noch Kampuchea hier, das schon damals mit Wetterkatastrophen zu kämpfen hatte. „Kampuchea kämpft gegen Hochwasser des Mekong. Über 17.000 Menschen evakuiert. Schwere Schäden“. 15.000 Menschen flohen auf den Philippinen vor einem Vulkanausbrauch, drei sowjetische Kosmonauten waren seit 220 Tagen im Weltraum. Schlagzeile: „Reagan verfügt Aufstockung der NATO-Arsenale“. „Reagan fordere, dass ‚der Prozeß der Modernisierung‘ der nuklearen und konventionellen Rüstungen des Nordatlantikpakts fortgesetzt wird. Wie der Chef des Weißen Hauses betont, müsse das Schwergewicht auf die Festigung der nuklearen Streitkräfte der NATO, vor allem auf deren ‚Uberlebensfähigkeit‘, gelegt werden.“

Seite 7: Vorbei mit der großen Politik, weiter ging es mit Kulturpolitik. Berichtet wurde über eine Ausstellung von DDR-Glaskunst in Finnland, einen Kunstkritiker-Kongress in Griechenland und über Show „Lachen und lachen lassen“ des Eulenspiegelverlags im Palast der Republik: „Schon als er die Überschrift ‚Der Tag, an dem der Westbesuch kam‘ vorlas, erhielt Ottokar Domma alias Otto Häuser spontan Beifall. Seit Jahrzehnten ist sein Schüler Ottokar das Sinnbild eines aufgeweckten Pioniers, der sich vor nichts und niemand fürchtet, der genauso denkt, wie er redet und handelt“. Dazu kam Teil 15 eines Forsetzungskrimis von Klaus Möckel.

In der Langhansstraße mit der Kneipe „Zur gemütlichen Klause“ wurde 1984 die 350. modernisierte Wohnung übergeben.
In der Langhansstraße mit der Kneipe „Zur gemütlichen Klause“ wurde 1984 die 350. modernisierte Wohnung übergeben.Seeliger/imago

Seite 8: Dass in der Langhansstraße in Weißensee die 350 modernisierte Wohnung übergeben wurde, ist der Lokal-Aufmacher. „Dieses Wochenende beginnt in Weißensee mit einer Neuigkeit: Vom stadtbezirksgeleiteten Bauwesen wird heute in der Langhansstraße 51/52 die 350. modernisierte Wohnung seit Januar übergeben. Eine von vielen eingelösten Verpflichtungen bis zum 35. Jahrestag unserer Republik. Das strahlende Gelb der Fassade macht die Langhansstraße um einen Farbtupfer reicher. Viele Häuser in diesem größten Modernisierungsgebiet des Stadtbezirks werden noch einer gründlichen Verjüngungskur unterzogen. Immerhin konzentrieren sich hier 80 Prozent aller Wohnungen mit Außentoilette“.

Volkssolidarität: Ein Herz für die Älteren

Seite 9: Platz für die große Lokal-Reportage. Über die Kunstgießerei Lauchhammer, in der das Thälmann-Denkmal für Berlin entsteht. Berichtet wird, „dass eigens Lehrlinge für diese Arbeit ausgebildet worden sind, ein Lehrgang für ein neues Schweißverfahren be- sucht wurde und das am kommenden Wochenende ein Brigadeausflug nach Berlin geplant ist, um den künftigen Standort des Denkmals für den großen deutschen Arbeiterführer zu besichtigen.“

Seite 10: Hier erzählt der DDR-Schriftsteller Benno Pludra über seine Anfänge als Journalist. „Das Schreiben war damals relativ leicht: es ging um Brot und warme Stuben, immer dabei die Sorge um den eben gewonnenen Frieden. Die Fronten waren klar, Hoffnung und Gewißheit waren groß, das Leben schon jeweils morgen schöner zu haben als heute.“

Seite 11: Die Rubriken „Frau und Familie“ sowie „Bildung und Erziehung“ auf einer Seite. Aufmacher ist die Reportage „Sie haben ein Herz für die Älteren“ über die Volkssolidarität. „Unter den 19 Haushaltshelferinnen der Brigade sind jetzt auch zwei Männer, die 35 Stunden arbeiten, nebenbei ihr Abitur machen, um später studieren zu können. „Die Bürger, zu denen ich die beiden schickte, waren zuerst skeptisch. Aber die beiden Jungs verstanden es so gut, mit den Menschen umzugehen und waren so tüchtig im Haushalt, dass sie schnell sehr beliebt wurden.“

Kondome für 15 Mark, goldene Uhr für 7000 Mark

Seite 12: In den Kleinanzeigen steht „Hyg. Gummischutz“ (3 Dutzend für 15 Mark, feucht 24 Mark) neben einem eleganten violetten Kleid für 300 Mark und einem Korbkinderwagen für 480 Mark. Eine goldene Sprungdeckeluhr Longines wird für 7000 Mark angeboten.

Seite 13: Ein Interview mit Professor Dr. Friedrich Jung von der Akademie der Wissenschaften macht Werbung für den Urania-Vortrag „Eine neue technische Revolution durch die Biologie?“ Er sagt: „Die Medizin unserer Tage ist ohne Rückgriff auf Erkenntnisse und praktische Ergebnisse der Biotechnologie einfach undenkbar.“

Seite 14: Hier findet sich die damals wohl wichtigste Kleinanzeigenrubik – Wohnungstauschanzeigen. Hier wurde kreativ versucht, trotz Wohnungsnot die passende Wohnung zu finden. Da wurde eine 5-Raum-Vollkomfortwohnung mit 6-Meter-Balkon in Prenzlauer Berg angeboten. Gesucht wurden zwei Wohnungen mit jeweils 2 1/2 Zimmer, Bad Bedingung.

Marlies Göhr war jahrelang die weltweit schnellste 100-Meter-Läuferin. Sie gewann nicht nur in Tokio, sondern auch zweimal Olympiagold.
Marlies Göhr war jahrelang die weltweit schnellste 100-Meter-Läuferin. Sie gewann nicht nur in Tokio, sondern auch zweimal Olympiagold.Teutopress/imago

Seite 15: Auf der Sportseite gab es den kompletten Bericht zum Acht-Nationen-Cup von Seite 1. „Marlies Göhr gewann das Duell mit Ludmilla Kondratjewa (UdSSR), der Olympiasiegerin von 1980. Mit 10,97 s blieb sie zum zehnten Mal in diesem Jahr unter elf Sekunden. Marlies führte auch das 4 x 100-m-Quartett zum ungefährdeten Sieg, während Marita Koch in 22,22 die 200 m gewann.“ Dazu gab es Vorberichte zu den Fußballspielen vom Wochenende – unter anderem zum Spiel BFC Dynamo gegen den 1. FC Magdeburg. „Die Gäste hoffen auf das Mitwirken ihres Torhüters Heyne, der einen Fingerbruch überwunden hat. Auch der lange verletzt gewesene Pommerenke steht bereit.

Seite 16: Ein bisschen Spaß muss sein. Hier war Platz für Humor und Satire. Zum Beispiel für diesen Witz: „Meine reizende Strandbekanntschaft hat mich täglich mit Sonnenöl eingerieben, bis ich grün und blau war.“ „Grün und blau, wieso denn das?“ „Ihr Mann kam plötzlich.“ ■