Wut in Hellersdorf

„Wie bei den Schildbürgern“: Abwasser‑Farce in Hellersdorf

Anwohner einer idyllischen Straße in Hellersdorf warten schon lange auf den Anschluss ans Abwasser. So bald werden die Fäkalgruben nicht ersetzt werden.

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Rougé Lüloff vor seinem Haus in der Straße Am Barnim in Hellersdorf.
Rougé Lüloff vor seinem Haus in der Straße Am Barnim in Hellersdorf.Alexander Reich

Seit 25 Jahren wartet Rougé Lüloff auf einen Abwasseranschluss. Sein Haus in der Straße Am Barnim bei den Kaulsdorfer Seen liegt idyllisch zwischen Feldern und Bungalows – doch in der Idylle stinkt’s: Die Anwohner sind auf Fäkalgruben angewiesen, die regelmäßig per Saugwagen geleert werden. Lüloff bringt die Stimmung nach dem jahrzehntelangen Hickhack mit den Wasserbetrieben auf den Punkt, wenn er sagt: „Es ist wie bei den Schildbürgern.“

Das Problem: Die 3,20 Meter schmale Fahrbahn gehört jeweils bis zur Mitte zu den angrenzenden Grundstücken. Deshalb kann die Stadt nicht einfach den Anschlusszwang durchsetzen; für Leitungsgräben braucht es die Zustimmung der Eigentümer. Von 33 Grundstücksbesitzern in der kleinen Straße haben 30 bereits die Genehmigung ins Grundbuch eintragen lassen – drei Besitzer blockieren. Zwei davon haben Wochenendgrundstücke. Der dritte Fall ist eine Rentnerin, die sich früher für den Anschluss eingesetzt hat, heute fehlt ihr dafür das Geld.

Wer füllt hier bitte Abwassergruben mit Bier auf?

Die Entleerung der Gruben wird immer teurer. „Früher habe ich drei Euro pro Kubikmeter bezahlt, heute sind es 14,60 Euro plus Mehrwertsteuer“, klagt eine Anwohnerin. Sie hat weitere Stories parat: „Beim Abpumpen wird beschissen ohne Ende“, sagt sie unverblümt. Fahrer würden schon mal sechs statt 4,5 Kubikmeter abrechnen – und behaupten, die Gruben würden schließlich mit Bier und Wein „aufgefüllt“. Dazu kommt bei einigen die Angst um das Naturschutzgebiet, in dem sie wohnen: Biokläranlagen sind hier verboten, doch bei Überflutung droht das unbehandelte Abwässer in die Landschaft zu laufen.

Über die Jahre wurden Gelegenheiten verpasst, das Problem zu klären. Grundstücke wechselten den Besitzer, Erben nahmen erteilte Genehmigungen zurück. Angeblich sollen sogar Forderungen in der Preisklasse eines Mittelklassewagens erhoben worden sein. Eine ordnungsgemäße Enteignung der Straßenstreifen wäre denkbar, doch die Wasserbetriebe sehen kein „öffentliches Interesse“, das eine solche Maßnahme rechtfertigen würde.

Die geteilte Straße: Links wurden Trinkwasserleitungen gelegt, rechts ist alles beim Alten.
Die geteilte Straße: Links wurden Trinkwasserleitungen gelegt, rechts ist alles beim Alten.Alexander Reich

Die städtischen Versorger brüten nun über einem anderen Kompromiss: Leitungen könnten auf Grundstücken auf der gegenüberliegenden Straßenseite verlegt werden – dafür müssten Zäune abgerissen, Bäume gefällt, Straßenlaternen vorübergehend entfernt werden. Lüloff ist skeptisch: Werden seine 25 Jahre alten Bäume nach Abschluss der Arbeiten wirklich ersetzt oder nur Setzlinge gepflanzt? Wird sein massiver Zaun originalgetreu wieder aufgebaut? Die Versprechen, den „Ursprungszustand“ wiederherzustellen, klingen wenig verlässlich.

Kurios wurde es im Sommer: Die Wasserbetriebe legten Trinkwasserleitungen und entfernten den Asphalt auf einer Straßenseite. Wo sich die Eigentümer querstellen, wichen die Arbeiter auf die andere Hälfte der Straße aus – der Mehraufwand hat einiges gekostet. Immerhin müssen die Anwohner ihr Trinkwasser nun nicht mehr aus den eigenen Brunnen schöpfen.

Vielleicht hat das Bezirksamt die Lösung gefunden

Einige Anwohner fordern eine Enteignung der Straßenflächen, notfalls über eine juristische Auseinandersetzung. Aktuell prüft das Bezirksamt, ob die nicht dauerhaft bewohnten Grundstücke als Kleingärten eingestuft werden können. Dann könnten private Kleinkläranlagen erlaubt werden – und die Blockierer wären von den Anschlusskosten befreit. Das wäre eine politische Lösung, die viele in der Nachbarschaft für fairer halten.

Eines steht fest: Selbst bei klarem politischem Willen ist kein schneller Anschluss zu erwarten. Die Wasserbetriebe rechnen nach Abschluss der rechtlichen Klärungen mit weiteren vier bis fünf Jahren Planungszeit. Rougé Lüloff ist also erstmal weiter auf die Saugwagen angewiesen, die seine Grube leeren.