76.000 Alkoholkranke

Alarm-Studie: Berlin, wie es säuft und leidet! Experte ist für Alkoholverbot

Die Barmer-Krankenkasse schlägt Alarm, dass viele Berliner extrem alkoholabhängig sind. Zu leicht kommt man an den Stoff. Doch was kann man dagegen tun? Sind Verbote eine Lösung?

Author - Norbert Koch-Klaucke
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Teufel Alkohol: Tausende Berliner sind alkoholabhängig, sind in ärztlicher Behandlung.
Teufel Alkohol: Tausende Berliner sind alkoholabhängig, sind in ärztlicher Behandlung.Patrick Pleul/dpa

Ein Bierchen in Ehren kann keiner verwehren. Solchen Spruch hört man oft. Genauso wie diesen: Saufen bis der Arzt kommt. Bei vielen Berliner ist das leider so. Ob Bier, Schnaps, Wein oder alles durcheinander: Über 76.000 Berliner sind extrem alkoholkrank, befinden sich in medizinischer Behandlung. Die Experten sagen, die Zahl der Suchtkranken liegt noch viel höher. Kein Wunder: Alkohol ist in Deutschland leicht zu haben. Hilft da nur noch ein Alkoholverbot?

Die Zahl der Alkoholkranken in Berlin hat jetzt das Institut für Gesundheitssystemforschung der gesetzlichen Barmer-Krankenkasse veröffentlicht. Dabei wurden Patientendaten aus dem Jahr 2023 bundesweit ausgewertet. Demnach waren etwa 53.000 Männer und 23.000 Frauen schwer alkoholkrank.

Wer glaubt, dies seien vor allem Jugendliche, die hier stets zur Flasche greifen, der irrt. Laut der Studie sind es vor allem Berliner in der zweiten Lebenshälfte. Bei den 55- bis 64-Jährigen wurde im Jahr 2023 bei rund 14.800 Männern und 5700 Frauen eine Alkoholsucht diagnostiziert.

„Die tatsächliche Zahl der Betroffenen dürfte wesentlich höher liegen“, sagt Gabriela Leyh, Barmer-Chefin in Berlin/Brandenburg. Viele Menschen trauen sich nicht, ihre Sucht zu erkennen und zuzugeben, sich dann von Ärzten und Suchtberatern helfen zu lassen. „Noch immer wird Alkohol verharmlost“, sagt Leyh.

Das Problem sieht die Krankenkasse darin, dass Alkohol leicht zugänglich und in der Gesellschaft weit verbreitet ist. Dies erschwert auch, eine Abhängigkeit frühzeitig zu erkennen und zu behandeln. „Der Pfad vom Feierabendbier oder Gläschen Wein in die Abhängigkeit kann kürzer sein, als sich viele Menschen eingestehen wollen“, sagt Leyh.

„Der Pfad vom Feierabendbier in die Sucht kann kürzer sein, als viele glauben“

Von Bier und Wein nicht mehr lassen können: „Eine Alkoholsucht ist eine zerstörerische Krankheit mit tiefgreifenden Folgen für Gesundheit, Psyche, soziale Bindungen und berufliche Perspektiven“, sagt Leyh.

Zu den häufigsten körperlichen Langzeitfolgen von Alkohol zählen Herz- Kreislauferkrankungen sowie Schädigungen der Leber, des Verdauungstrakts, des Nervensystems und der Muskulatur. Zudem kommt es zu einem erhöhten Risiko für Krebserkrankungen, Schlaganfälle und Demenz.

Und doch schreckt das alles nicht ab. Keiner hinterfragt sein Trinkverhalten. Dabei sollte man sich laut Experten genau diese Fragen stellen: Ist das Verlangen nach Alkohol groß? Werden immer größere Mengen benötigt, um die gewohnte Wirkung zu spüren? Wird Alkohol weiterhin konsumiert, obwohl dies bereits zu Konflikten im Privaten oder im Beruf geführt hat?

Werden diese Fragen mit Ja beantwortet, bestehen bereits erste Anzeichen für eine Sucht. Der Hausarzt beziehungsweise die Hausärztin, Suchtberatungsstellen und Selbsthilfegruppen sind dann die richtigen Ansprechpartner, so die Barmer-Krankenkasse.

Dazu gehört in der Hauptstadt die Anonyme Alkoholkrankenhilfe Berlin, der vor 50 Jahren gegründet wurde. Heiner Wallukat (56) ist einer der dortigen Berater in der Suchtsoforthilfe, unterstützt Menschen, von ihrer Alkoholabhängigkeit loszukommen. Er fordert: „Ich bin für ein Alkoholverbot.“ Denn nur anzuprangern, dass in der Gesellschaft Alkohol leicht zugänglich und weit verbreitet sei, hilft nicht, das Problem zu lösen.

Würde ein Alkoholverbot in Berlin helfen, die Sucht zu bekämpfen?

Wallukat weiß aber auch, dass ein Alkoholverbot schwer durchsetzbar ist – nicht nur, weil es in der Gesellschaft und in der Politik keine Mehrheiten dafür gibt. Denn selbst Behörden scheitern, wenn sie ein solches Verbot aussprechen wollen.

So hatte vor drei Jahren das Bezirksamt Mitte über den Monbijoupark und den James-Simon-Park ein Alkoholverbot verhängt, um dort nächtliche Partys zu verhindern. Dagegen wurde geklagt. Das Amtsgericht Mitte kippte das Verbot.

Heiner Wallukat von der Anonymen Alkoholkrankenhilfe Berlin wünscht sich einen anderen Weg, der den Griff zur Flasche erschweren soll. „Zunächst muss das sogenannte ,begleitende Trinken‘ abgeschafft werden“, sagt er. „Dies erlaubt, dass Kinder im Alter von 14 bis 16 Jahren in Begleitung von Eltern oder anderen Sorgeberechtigten ganz legal Alkohol in der Öffentlichkeit trinken dürfen. Das ist für mich schon der Beginn, Menschen in die Sucht zu führen.“

Diese Regelung gibt es tatsächlich. Seit 1952 steht sie im Jugendschutzgesetz. Und sie erlaubt auch, dass Mädchen und Jungen in diesem Alter in Gaststätten Wein und Bier trinken dürfen, wenn die Eltern oder andere Erwachsene dabei sind.

Die zweite Forderung, die der Wallukat von der Anonymen Alkoholkrankenhilfe Berlin stellt: „In Deutschland müsste der Alkoholverkauf wie in skandinavischen Ländern eingedämmt werden.“ In Norwegen etwa ist Bier nicht nur teuer. Es wird in Supermärkten nur zu bestimmten Tageszeiten verkauft.

Wein und Schnaps gibt es in Norwegen nur in Spezialläden. Von denen gibt es wahrlich nicht viele. Der Grund: In den skandinavischen Ländern gab es ein großes Alkoholproblem. Dank strenger Regulierungen gehört der Alkoholkonsum in Dänemark, Finnland, Island, Norwegen und Schweden heute zu den niedrigsten in der EU.

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