Tarifaufwüchse, Bedarfe, Nicht-Täter: Verstehen Sie bei diesen Begriffen auch nur Bahnhof? Geht mir auch so. Immer mehr Wörter aus der Behördensprache schleichen sich in unseren Alltag und machen die eigentlich so schöne deutsche Sprache kaputt. Behördenmitarbeiter und Politiker reden so, Agenturen geben die sperrigen Begriffe weiter und ja, leider auch Journalisten, übernehmen oftmals den Mumpitz, weil es einfach schnell-schnell gehen muss.
Ein Wort nervt mich seit Monaten. Bedarfe. Die Artikel der Nachrichtenagentur dpa sind voll davon, immer öfter taucht die Mehrzahl von Bedarf aus. Es gibt „Bedarfe eines Bündnis- oder Verteidigungsfalls“, „die eigenen Erwartungen und Bedarfe“ oder die „Bedarfe für Investitionen“. Kein Mensch redet so. In Archivsystem des Berliner Verlages taucht dieses Wort erstmals im April 2019 auf – in dem Satz „Brandenburg kann diese Bedarfe in keiner Weise befriedigen“.
Kein Bedarf für das Wort Bedarfe
Liest man den Satz genau, weiß man sofort, wie er eigentlich heißen müsste: „Brandenburg kann diesen Bedarf in keiner Weise befriedigen.“ Den Plural braucht es überhaupt nicht. Das Wort Bedarfe kommt ursprünglich aus dem Bereich der Wirtschaftswissenschaften und setzt sich nach und nach im Alltag fest. Mein Bedarf am Wort Bedarfe ist jedenfalls mehr als gedeckt.
Gelernt habe ich vor wenigen Tagen auch, dass „Aufwuchs“ nicht unbedingt etwas mit Kindererziehung oder einer Baumschule zu tun haben muss. Durch eine Pressemitteilung zur drohenden Insolvenz des Berliner Theaters Schaubühne. Gleich der erste Satz: „Zusätzlich zu den Kürzungen von 1,8 Millionen Euro sollen Tarifaufwüchse in Höhe von 700.000 € nicht ausgeglichen werden.“
Tarifaufwüchse? Ein Anruf in der Presseabteilung der Schaubühne: „Ich bin da in dem Text über ein Wort gestolpert ...“ Die Kollegin von der Pressestelle: „Ich auch.“ Meine Frage: „Soll Tarifaufwüchse Tarifsteigerungen bedeuten?“ Ja, so hätte sie es auch verstanden, sagt die Kollegin. Unklar bleibt aber, warum ein Theater, in dem Worte doch so wichtig sind, so etwas unredigiert durchgehen lässt.
Auch in der Politik ist ein Aufwuchs des Wortes Aufwuchs festzustellen. Der Berliner Finanzsenator Stefan Evers (CDU) wächst zum Beispiel gerne über sich hinaus. Vor wenigen Tagen sprach er über den Kulturetat, der in Berlin zusammengestrichen wird. „Ich habe bereits darauf hingewiesen, dass dort ein Aufwuchs von Mitteln kaum zu erwarten ist ...“ Ja, klar, wir wissen natürlich auch, dass in Berlin das Geld nicht auf den Bäumen wächst ...
Das, was Politiker von sich geben, haben sie vorher von ihren Mitarbeitern, aus den Behörden gehört. Damit sich die Sprache der Behörden nicht immer mehr von der Sprache der Bürger unterscheidet, gibt es sogar die Broschüre „Bürgernahe Verwaltungssprache“ vom Bundesverwaltungsamt. Und da lernen Behördenmitarbeiter dann, dass man Absätze nicht fortlaufend benummert, sondern nummeriert. Oder dass ein Satz wie „Gibt es eine manifeste Symptomatik für verdichtungsorientierte Migrationsprozesse?“ doch schwer verständlich wäre. Gemeint ist nämlich: „Gibt es deutliche Anzeichen für eine Zuwanderung in Ballungsgebiete?“

Die Stadt Leipzig kürt auf Ihrer Internetseite das „Amtsdeutsch des Monats“. Im November auf Platz 1: der Nichtstörer. Das Polizei- und Ordnungsrecht kennt verschiedene Arten von Störern. Also Personen, die die öffentliche Sicherheit und Ordnung beeinträchtigen. Es gibt Verhaltens- und Zustandsstörer, Handlungsstörer oder Mitstörer. Für das Pendant gibt es allerdings nur einen Begriff, heißt es dort: Menschen, die nicht mit dem Gesetz in Konflikt treten, heißen einfach und unverblümt Nichtstörer.
Als Nichtstörer wird im Polizei- und Ordnungsrecht eine „nicht verantwortliche Person“ bezeichnet. Der Nichtstörer ist also eine Person, die nichts Gesetzwidriges tut und von der keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Warum ausgerechnet diese wohlgesonnene Personengruppe mit einem negativen Umkehrwort bedacht wurde, bleibe in den geheimen Regularien der behördensprachlichen Wortschöpfung verborgen, heißt es auf der Internetseite.

Bürokratisch-Deutsch/Deutsch-Bürokratisch
Wie gut können Sie Bürokratisch-Deutsch/Deutsch-Bürokratisch? Im Nachhinein hat man sich ja viel über Begriffe aus der DDR lustig gemacht – wie Erdmöbel (Sarg) oder Jahresendflügelfigur (Engel für die Weihnachtsbaumspitze). Das können wir heute viel besser. Wir stellen hier ein paar irre Begriffe aus der Welt der Bürokratie vor.
Abstandseinhaltungserfassungsvorrichtung: Das lieben deutsche Behörden. Die Aneinanderreihung von Substantiven. Vier Substantive, 40 Buchstaben, die für Querstreifen auf der Autobahn stehen.
Bedarfsgesteuerte Fußgängerfurt: Der Leser sieht Rot, die Behörde meint eine Ampel.
Beelterung: Bürokratisch für Adoptionsverfahren, wenn für ein Kind neue Eltern gesucht werden.
Bestallung: Nix Tierisches, eher die Vorstufe zur Beelterung. Hier geht es um eine Vormundschaft.
Einachsiger Dreiseitenkipper: Klingt nach dem nächsten großen Ding im Transportwesen. Falsch. So wird in der Behörde eine Schubkarre bezeichnet.
Fliegende Bauten: Hat nicht mit Aladin und dem fliegenden Teppich zu tun. Das sind Bauten, die man schnell auf und wieder abbauen kann. Zirkuszelte, Karussells oder auch Konzertbühnen.
Lautraum: Wir Journalisten denken da an den Großraum, in dem wir unserer Arbeit nachgehen müssen. Das Amt meint aber eine Discothek.
Lebensberechtigungsbescheinigung: Haben Sie so eine? Alles gut, Sie dürfen auch ohne weiteratmen. Gemeint ist das Stammbuch.
Luftverlastung: Man denkt jetzt an Abgase, an Feinstaub, an Umweltverschmutzung. Nein, nein, nein. Hier sollen Lasten, also Fracht, durch die Luft bewegt werden. Per Flugzeug, Hubschraubern oder Luftschiffen.
Nutzen Sie Zeitinseln?
Nicht lebende Einfriedung: ein Zaun, also keine Hecke als Grundstücksgrenze, keine Bäume.
Personenvereinzelungsanlage: Damit ist keine Scheidung gemeint, sondern eine Drehtür oder ein Drehkreuz.
Raumübergreifendes Großgrün: 26 Buchstaben, die durch vier ersetzt werden können – Baum.
Sanitärhieb: Ein Griff ins Klo? Der Sanitärhieb trifft alte Bäume. Gemeint ist das Fällen von absterbenden oder toten Bäumen beziehungsweise Baumgruppen.
Sekundenereignis: Es geht um „Hundekotliegenlasser“, „Kurzzeitfalschparker“ oder „Kaugummipapierfallenlasser“. Also Täter, die auf frischer Tat ertappt werden müssen, um sie zur Verantwortung zu ziehen.
Überlaufparkplatz: Hier finden Autos auch dann noch Platz, wenn der reguläre Parkplatz „überzulaufen“ droht, schreibt die Stadt Leipzig. Meist fungiert eine Wiese oder eine nicht genutzte Fläche als Überlaufparkplatz und bietet so vor allem bei Großveranstaltungen eine Reserve und verschafft akuter Parkplatznot ein wenig Linderung.
Verschubung: Man denkt an Akten, an Aktenschränke voller Schubfächer. Falsch. So wird der Transport eines Häftlings von einem Gefängnis zu anderen genannt.
Verselbstständigkeitsanalyse: Nein, hier machen sich keine Akten selbstständig. Hier wird durch ein Amt geprüft, ob ein behinderter Mensch fremde Hilfe benötigt.
Wahllichtbildvorlagen: Hat nichts mit Passfotos oder Wahlen zum Bundes- oder Landtag zu tun. Es geht um die Personenfotos, die die Polizei Zeugen vorlegt, um einen Täter zu finden.