Ein kleiner Bierdeckel fällt auf den Pflasterstein. Ein kleines metallisches Klirren zwischen Gelächter und Gitarrenmusik. Strahlen der noch kühlen Februarsonne locken Menschen der Stadt – Studenten, Touristen und Musiker – auf die Admiralbrücke. Sie sitzen auf den runden Pollern, auf dem Geländer, auf den Kantsteinen, lehnen an Laternen … Autos und Radfahrer bahnen sich nur im Schritttempo ihren Weg durch das Getümmel.
Über dem Fraenkelufer und Planufer, auf der uralten Admiralbrücke in Berlin-Kreuzberg, findet man hier Großstadtromantik. Aber das war nicht immer so. In einem Café, unweit der Brücke, trifft der KURIER auf Jörg S.– der die Admiralbrücke noch verlassen und leer kannte. Heute gilt die Brücke als eines der berühmtesten Sehenswürdigkeiten der Stadt gilt.
Im baden-württembergischen Pforzheim, dem Tor zum Schwarzwald wurde der heute 61-Jährige in eine Großfamilie geboren. Früh lehnte er sich gegen die religiösen Ansichten seiner Familie auf. Zum Studium der Psychologie und Philosophie kam Jörg im Frühjahr 1985 ins wilde Westberlin. Er erzählt: „Der Erste Mai war eines meiner ersten Erlebnisse hier in Berlin. Das waren andere Zeiten ...“
So wurde die Admiralbrücke zum Hotspot!
Jörg erinnert sich zurück an die 80er in Berlin und an die Kontraste zwischen Dorf und Hauptstadt. „Ich war recht privilegiert. Ich habe mich gewundert, wie schlecht vieles hier in Berlin war.“ Er erzählt weiter: „In den Vor-Wende-Zeiten war das Leben so hart hier und der Wohnungsmarkt brutal.“ Auch waren die Wohnungen kalt und ungemütlich, weswegen man sich in Kneipen traf.

Jörg, jung und engagiert, mischte in der linken Szene mit und wollte was bewirken. „Nicht das Individuum war krank, sondern die Gesellschaft …“ Das war sein Ausgangspunkt, den er mit anderen Politik- und Philosophieinteressierten teilte. Und genau in diesen Kreisen wurde auch die Admiralbrücke zum Thema.
Jörg gehörte zu denjenigen, die sich für Mini-Strukturen und die Gesellschaft einsetzten: „Man sollte sein Geld in der Nachbarschaft ausgeben, in seinem Kiez, nicht in großen, anonymen Kaufzentren“, erklärt er. Zunehmend entdeckte er seine Leidenschaft für die Kiez-Politik. „Wir wollten gegen Einsamkeit was tun und für mehr Kontakt in der Großstadt.“
Das damalige Kreuzberg war ruppig. Jörg wohnte bei der Admiralbrücke. Von seinem Balkon schaute er immer runter auf den Landwehrkanal und die Idee, diesen Platz zu einem Treffpunkt umzuwandeln, entstand in seinen Freundeskreisen in den späten 1990ern, so erzählt er es dem KURIER.

Das damalige Kreuzberg war ruppig
Das Treffpunkt-Projekt verselbständigte sich schließlich– immer mehr suchten die Admiralbrücke zu Sonnenuntergangszeiten auf. Auch um die Brücke wurde der Kiez immer lebendiger. Und mittendrin war Jörg: „Sich ständig in der Kneipe zu treffen, ging ja auch ins Geld.“ Man ging am Späti vorbei, nahm sich ein gutes Bier mit zur Brücke – und so macht man es bis heute.
Manchmal musste die Polizei kommen, es gab Beschwerden von Nachbarn, manchmal wurde nicht auf Rettungskräfte geachtet, die sich ihren Weg über die Brücke bahnen wollten. „Klar, unschöne Situationen gab es auch.“ Jörg erzählt, wie die Brücke über die Jahre immer mehr zum Kult wurde. Menschen aller Welt wollten Berlin genau so erleben. „Dass die Admiralbrücke mal so ein Touristenmagnet würde, und somit ein Hotspot des Austausches, das hätten wir nie gedacht.“

Was liebst du an Berlin? „Hier bin ich Zuhause, in Berlin bleibt man jünger“, sagt Jörg und lächelt. Er schaut den Schwänen zu, die sich unter der Brücke, im Landwehrkanal um ein Stück Brot zoffen.
Ein Schlaganfall, der das Leben änderte!
Von Sozialarbeit im ZiK, Segellehrer, Busfahrer bis zu Bootsprojekten – er beschäftigte sich mit vielem – bis zu jener Weihnachtsnacht 2013, die sein Leben komplett umkrempelte, als er mit einem kribbelnden Bein aufwachte, es gehorchte ihn einfach nicht. Er war in Süddeutschland bei seiner Familie, um Weihnachten zu feiern. Er robbte zum Badezimmer, beruhigte sich mit dem Gedanken, falsch gelegen zu sein. Erst mehrere Stunden später, am Frühstückstisch, bemerkte die Familie Jörgs Zustand. Der Schlaganfall war verheerend.
Die darauffolgenden Wochen, Monate und Jahre forderten Jörg auf unterschiedlichste Art. Er war gelähmt, kämpfte mit Depressionen und einer schlechten Prognose. Ob er jemals wieder seinen Körper, seine Hand bewegen können würde? Die Ärzte machten ihm keine großen Hoffnungen. „Der Kopf will zurück zu den Fähigkeiten, die man vor dem Schlaganfall hatte.“ Erst mit der Krankheitseinsicht, konnte Jörg anfangen, nach vorne zu schauen, sich zu rehabilitieren. „Ich brauchte einen Willen, auch um Hilfe anzunehmen.“

Jörg will Menschen, die einen Schlaganfall erlitten haben, Mut machen!
Er erzählt, wie er durch den Schlaganfall das Leben noch einmal ganz anders kennenlernen durfte: „Ich habe eine neue Einstellung bekommen, heute freue ich mich über Kleinigkeiten. Ganz anders als damals.“ Ich werde nie wieder der Alte werden, ich bin neu geworden. Jörg will Menschen, die einen Schlaganfall erlitten haben, Mut machen, nicht aufzugeben. Über die Jahre hat Jörg nie mit der Rehabilitierung aufgehört, heute hat er um die 70 Prozent seiner alten Körperfähigkeiten zurück trainieren können.






