Bluttat an Grundschule

Sohn (12) wurde gemobbt! Eltern von Messer-Opfer klagen Schule an

Ein 13-Jähriger nimmt ein Küchenmesser mit in seine Berliner Grundschule und tötet beinahe Max. Im Berliner KURIER spricht der Junge über die brutale Attacke.

Author - Veronika Hohenstein
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Maximilian findet nach dem schrecklichen Messer-Angriff auf ihn in seiner Grundschule in Spandau Trost bei seinen Eltern.
Maximilian findet nach dem schrecklichen Messer-Angriff auf ihn in seiner Grundschule in Spandau Trost bei seinen Eltern.Veronika Hohenstein/ Berliner KURIER

Auf den ersten Blick wirkt Maximilian wie ein ganz normaler 12-Jähriger. Er hat ein verschmitztes Lächeln, daddelt auf dem Handy. Doch dann sieht man die weißen Pflaster an seinem Hals, um sein Ohr und den Gips-Arm. Seine linke Gesichtshälfte ist gelähmt. Dass Max noch am Leben ist, grenzt an ein Wunder.

Als der KURIER die Familie Mihalic auf dem Charité-Campus trifft, ist es erst 19 Tage her, dass Max von seinem Klassenkameraden an einer Berliner Grundschule mit zehn Messerstichen beinahe getötet wurde.

Rückblick: Es ist der 22. Mai. Franziska (47) und Sascha (44) Mihalic warten vor dem OP. Drinnen kämpft ein Ärzteteam um das Leben ihres 12-jährigen Sohnes. Sie stehen unter Schock. Der Gedanke, dass Max sterben könnte, ist kaum auszuhalten.

Maximilian (12) wurde bei einem Messer-Angriff an einer Berliner Grundschule schwer verletzt. Wie geht es ihm heute?
Maximilian (12) wurde bei einem Messer-Angriff an einer Berliner Grundschule schwer verletzt. Wie geht es ihm heute?Veronika Hohenstein/ Berliner KURIER

Attacke in Spandauer Grundschule: „Messer direkt in den Rücken gestochen“

Nur wenige Stunden zuvor: Es ist ein gewöhnlicher Donnerstagmorgen im Haus der Familie. Max wird von seiner Mutter geweckt, isst sein Butterbrot. Dann geht’s in die Schule. Heute hat die 6. Klasse der Grundschule in Spandau einen kurzen Tag: „Englisch, Deutsch, dann zwei Stunden Sport“, zählt Max auf. Sport ist sein Lieblingsfach. Eigentlich. Doch heute muss er um die Rieselfelder laufen. Das mag er wiederum nicht. „Ich wollte nach Schulschluss direkt nach Hause, denn es gab Fisch, Kartoffeln und Couscous zu Mittag in der Schule. Und Couscous schmeckt mir gar nicht.“

Bevor er sich auf den Heimweg macht, verabredet sich Max noch mit einem Mitschüler, der ihm etwas zeigen will. Max zieht sich um, packt seine Sachen zusammen. Er schluckt, ihm fällt es schwer, über den Angriff zu reden. Er bittet Mutter Franziska, weiterzuerzählen: „Als Max sich umdrehte, um seine Tasche aufzuheben, wurde ihn ein Messer direkt in den Rücken gestochen“, erzählt Franziska. Max sitzt neben ihr, nickt: „Und dann war er über mir, sticht auf mich ein.“ Max ist zittrig, seine Stimme bricht.

Ein 13-Jähriger stach mit einem Küchenmesser an einer Berliner Grundschule auf seinen Mitschüler ein. Maximilian (12) wurde dabei lebensgefährlich verletzt.
Ein 13-Jähriger stach mit einem Küchenmesser an einer Berliner Grundschule auf seinen Mitschüler ein. Maximilian (12) wurde dabei lebensgefährlich verletzt.Veronika Hohenstein/ Berliner KURIER

Seine Mitschüler helfen ihm nicht. „Alle sind weggerannt.“ Nur Lilly (11) eilt zu ihm. Sie kniet sich vor Max und drückt mit ihrer kleinen Hand auf seine Halswunde, aus der das Blut strömt und ruft um Hilfe. „Alles wird gut“, versucht sie, ihn zu beruhigen.

Max Stimme stockt. Er guckt auf seine Hände. Sie sind mit Pflastern übersät. Er zittert. Mutter Franziska erzählt weiter: „Lilly rettete Max durch das Blutstoppen wohl sein Leben.“

Die Tatwaffe, ein Küchenmesser, wurde noch auf dem Schulgelände gefunden. Der Täter floh und wurde erst am nächsten Tag am U-Bahnhof Rathaus Spandau von der Polizei gefasst. Da der unter 14 ist, ist er nicht strafmündig.

In der Grundschule am Weinmeisterhorn in Spandau wurde Max durch einen Messerangriff schwer verletzt.
In der Grundschule am Weinmeisterhorn in Spandau wurde Max durch einen Messerangriff schwer verletzt.Pressefoto Wagner

Max in Grundschule niedergestochen: Nachricht auf Papas Mailbox

Um 11.43 Uhr ist Papa Sascha, Objektleiter im Sicherheitsdienst, mitten bei der Arbeit. Er guckt auf sein Handy und sieht eine Nachricht auf der Mailbox: „Ihr Sohn ist angegriffen worden.“ Er erzählt: „Die Schulleitung sagte zu mir, dass Max eine kleine Verletzung am Hals hat. Mit viel Blut, aber nicht zu schlimm. Und, dass er gerade ins Krankenhaus gebracht wird.“

An die Fahrt in die Klinik erinnert sich Max noch gut: „Ich war schwach und konnte nur schwer atmen. Es fühlte sich an, als würden wir fliegen, so schnell fuhren wir.“ Während Max mit Blaulicht in die Klinik gebracht wird, suchen seine Eltern auf dem Krankenhausgelände nach einem Parkplatz. Sie wissen da noch nicht, dass ihr Sohn um sein Leben kämpft. Dass ein Messerstich Max’ Herz nur um zwei Millimeter verfehlt hat.

Im Krankenhaus angekommen, wird Max sofort in den OP-Saal gebracht. „Die Ärzte mussten mich schnell operieren, sonst hätte ich es nicht geschafft“, sagt Max. Sein Blick wird unruhig. Er steht auf, setzt sich auf die gegenüberliegende Bank und spielt mit seinem Handy. Mama Franziska beobachtet ihn, erklärt: „Manchmal kann er reden, manchmal nicht. Ich glaube, die größten Narben sind die auf seiner Seele.“

Um 11.43 Uhr ist Papa Sascha, Objektleiter im Sicherheitsdienst, mitten bei der Arbeit. Er guckt auf sein Handy und sieht eine Nachricht auf der Mailbox:„Ihr Sohn ist angegriffen worden.“
Um 11.43 Uhr ist Papa Sascha, Objektleiter im Sicherheitsdienst, mitten bei der Arbeit. Er guckt auf sein Handy und sieht eine Nachricht auf der Mailbox:„Ihr Sohn ist angegriffen worden.“Veronika Hohenstein/ Berliner KURIER

Etliche Operationen nach Messer-Attacke

Nach 14 Tagen im Krankenhaus und etlichen, stundenlangen Operationen haben die Ärzte seinen Körper wieder zusammengeflickt. Max kann das Krankenhaus endlich verlassen. Man sieht ihm die Schmerzen noch an: Max bewegt sich vorsichtig, langsam. Oft hält er die rechte Hand auf seine Wunden am Brustkorb. Sein linker Arm schmerzt noch. Den Gips wird er noch Monate tragen müssen. Ob er jemals wieder ganz gesund wird, weiß niemand. „Die Ärzte sagen, er ist kräftig und jung – aber eine Garantie, dass er wieder ganz der Alte wird, gibt es keine“, sagt Papa Sascha.

Max linke Gesichtshälfte ist noch gelähmt. Das Essen und Trinken fällt ihm schwer. „Er will zurück in die Schule“, sagt sein Papa. Aber: Die Erinnerungen an die Sporthalle und den brutalen Angriff lösen bei Max Ängste aus. „Wie es weitergeht, wird die Zeit zeigen.“

Nach dem Gespräch mit dem KURIER folgen die Fotos. Für die Kamera setzt Max sein Lächeln auf. Doch jeder kann sehen, wie viel Kraft den Jungen die vergangenen zweieinhalb Wochen gekostet haben. Max setzt sich neben seinen Papa, zieht seine Schultern hoch und lehnt sich an ihn. Papa und Sohn umarmen sich fest, reden leise miteinander. „Wir versuchen endlos viel Liebe, Halt und Sicherheit zu geben“, sagt Sascha und zieht Max noch näher an sich.

Max’ Eltern haben keinen Hass: „Der Täter ist auch ein Opfer! Er ist ein Kind!“

Was fühlt die Familie, wenn sie an den Täter denkt? „Er ist auch ein Opfer! Er ist ein Kind! Ihn für die Tat zu hassen, wäre fatal. Kein Kind wird böse geboren“, sagt Sascha. Die Verantwortung sieht er woanders: „Es war lange absehbar, dass der Junge professionelle Hilfe braucht. Aber niemand hat reagiert. Dem Kind konnte nicht rechtzeitig geholfen werden und Max ist jetzt der Leidtragende.“

Über Wochen, so sagen es Max’ Eltern, soll der Täter zuvor angekündigt haben, dass er „jemanden abstechen“ wollte. Papa Sascha weiter: „Wir sind sehr enttäuscht von der Schule. Dass sie nichts unternommen haben, können wir nicht verstehen.“ Der KURIER fragt bei der Grundschule am Weinmeisterhorn an. Die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie antwortet: „Die Schule hat auch nach dem Vorfall schnell und verantwortungsvoll gehandelt, so wie es im Notfallplan für die Berliner Schulen vorgesehen ist.“ Und: „Die Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie die Jugendhilfe sind hier unterstützend tätig.“

Ein schwacher Trost für Max. Seit dem brutalen Angriff quält ihn immer wieder die Frage nach dem Warum. Mutter Franziska schüttelt dann mit dem Kopf. Ihr fehlen die Worte. „Wir können ihm keine Antwort darauf geben. Manchmal passieren Dinge, weil sie passieren. Max war wohl zur falschen Zeit am falschen Ort.“

Der Familie ist es wichtig, seine Geschichte mit der Öffentlichkeit zu teilen, zu sensibilisieren. Mama Franziska zum KURIER: „Wir wollen, dass kein Kind das erleiden muss, was unserem Sohn passiert ist. Dass aus der Tat Konsequenzen gezogen werden. So etwas darf nie wieder passieren!“

Nach der Messer-Attacke an einer Berliner Grundschule retteten Ärzte Maximilian in einer Not-OP das Leben.
Nach der Messer-Attacke an einer Berliner Grundschule retteten Ärzte Maximilian in einer Not-OP das Leben.Veronika Hohenstein/ Berliner KURIER