Kleingärten in Berlin

„Grüne Lunge in Gefahr!“ – Chef des Kleingartenverbands schlägt Alarm

Am Sonnabend wird die schönste Kleingartenanlage gewählt. Wer es wird, ist noch geheim. Aber wir verraten, nach welchen Kriterien ausgewählt wurde.

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Kleingärtnern ist nicht spießig, sagt der Vizechef des Berliner Verbandes. Immer mehr junge Leute wollen gärtnern.
Kleingärtnern ist nicht spießig, sagt der Vizechef des Berliner Verbandes. Immer mehr junge Leute wollen gärtnern.Patrick Pleul/dpa

Am Sonnabend ist es wieder so weit: Berlin kürt seine schönste Kleingartenanlage. Nur alle vier Jahre wird der Garten-Oscar der Hauptstadt vergeben – im Rahmen des Wettbewerbs „Natur pur – bereit für die Zukunft“. Doch neben Blütenpracht und Gartenglück liegt ein dunkler Schatten über der Kleingartenidylle: Abrissdrohungen, Wohnungsnot und politische Versprechen, die nicht gehalten werden.

Wir haben mit dem Mann gesprochen, der es wissen muss: Thorsten Fritz, Vizechef des Landesverbandes der Gartenfreunde und Vorsitzender der Jury. Einer, der die Hauptstadt-Kleingartenwelt wie seine Westentasche kennt – und sie kämpferisch verteidigt.

Welcher ist Berlins schönster Garten?

„Ich kann Ihnen das leider noch nicht verraten. Das ist derzeit das bestgehütete Geheimnis, das wir haben“, sagt Fritz und lacht. Klar ist: Es ist eine Berliner Anlage – mehr darf der Jurychef nicht sagen. Acht Gärten waren im Rennen, am Sonnabend fällt die Entscheidung. Alle vier Jahre nur? „Das hat mit dem Bundesverband zu tun. Da wird auch alle vier Jahre gewählt – vorher küren wir in den Ländern die Sieger.“

Hunderte Kleingärten sind gefährdet: in der Kleingartenanlage Britzer Allee im Späthsfelder Dreieck.
Hunderte Kleingärten sind gefährdet: in der Kleingartenanlage Britzer Allee im Späthsfelder Dreieck.Markus Wächter/Berliner Kurier

Berlin ist vorne mit dabei: 2022 holte ein Charlottenburger Verein immerhin Platz zwei im Bundeswettbewerb. Doch was macht eine Top-Anlage eigentlich aus? „Wichtig ist, dass die Regeln des Bundeskleingartengesetzes eingehalten werden: 30 Prozent kleingärtnerische Nutzung – also Obst, Gemüse, Kräuter. Aber wir schauen auch auf Nachhaltigkeit, Umweltschutz, Artenvielfalt, Vereinsleben und städtebauliche Einbindung.“ Zehn Kriterien, je zehn Punkte – der Sieger holte 87 von 100 Punkten.

Es geht auch um Protest: Gegen Abriss, gegen Verdrängung

Neben den harten Fakten geht es aber auch um die schönen Dinge: Es gibt sogar einen Sonderpreis der Senatsverwaltung namens „Beetfreundschaften fördern“  – da geht’s um besonders hübsche Parzellen. „Die Kleingartenwelt ist immer wieder bedroht. Vor allem durch Wohnungsbauprojekte“, warnt Fritz. „Die Politik sagt immer, wir wollen die Kleingärten erhalten. Aber die Realität sieht leider anders aus.“

Es gibt Fakten, die wehtun: Vor 20 Jahren gab es 79.059 Parzellen. Heute nur noch 70.702 – ein Minus von fast zwölf Prozent. Flächenmäßig sind es sogar 14,5 Prozent weniger. 700 Vereine stemmen sich derzeit gegen den Trend – gegen die Verdrängung.

„Kleingärten werden als Bauerwartungsland gesehen“, kritisiert Fritz. „Dabei sind sie überlebenswichtig für Berlin.“ Warum? Ganz einfach: Sie kühlen die Stadt, bieten Rückzugsorte für Mensch und Tier, schaffen Lebensräume und soziale Kontakte. „Im Hochsommer ist es in einer Kleingartenanlage erheblich kühler als auf einer zubetonierten Fläche. Diese Anlagen sind wie grüne Lungen in der Stadt.“

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Verlag W. Wächter
Der Chef der Jury
Thorsten Fritz (62), gelernter Industriekaufmann, früher Industriemakler, ist heute Vizechef im Berliner Kleingärtnerverband und Vorsitzender in Reinickendorf. Seit 30 Jahren ist er selbst leidenschaftlicher Kleingärtner.

Und es geht auch um das Zusammenleben: „Im sozialen Bereich wird viel über Vereinsamung in der Großstadt geredet, bei uns wird dagegen gearbeitet, das sind wichtige Treffpunkte“, betont Fritz.

Und das Klischee vom spießigen Gartenzwerg?

„Ich denke, wir werden immer cooler. Das Klischee vom Gartenzwerg hängt uns nun mal an, aber ich glaube, wir machen eine ganze Menge.“ Immer mehr junge Familien wollen gärtnern. Doch das heißt auch: lange Wartelisten. In seiner Anlage in Reinickendorf stehen 80 Bewerber für 40 Parzellen auf der Liste. „Alle ein bis zwei Jahre wird mal eine frei.“

Aber warum nicht einfach raus nach Brandenburg? „Es geht nicht um das Können oder Könnten. Wir wollen nicht weg – nicht nur, weil in jeder Parzelle viel Geld, Zeit, Arbeit und Herzblut drinsteckt. Die Stadt Berlin braucht Kleingärten.“ Und: „Der Senat hat selbst ein Gutachten in Auftrag gegeben, das bestätigt, wie wichtig Kleingärten für die Klimaresilienz Berlins sind.“ Stichwort Durchlüftungsschneisen und Hitzeinseln – gerade für ältere Menschen lebenswichtig!

Und was wächst bei Thorsten Fritz im Garten? „Ich finde alte Obstsorten wichtig. Bei mir wächst zum Beispiel die Goldrenette Freiherr von Berlepsch – ein wunderbar aromatischer Apfel.“ Geerntet im Oktober, genussreif ab Dezember. Fritz lacht: „Klingt doch super, oder?“ Die Forderung von Thorsten Fritz an die Politik ist klar: „Wir wollen, dass sie ihre Versprechen hält – und endlich das Kleingartenflächensicherungsgesetz verabschiedet, wie es richtig und sinnvoll ist.“