In Berlin-Karlshorst

Anwohner in Aufruhr: Kleingärten weg für Spielplatz, Garagen weg für den Bundeskanzler

„Schlimm wird es werden, wenn die Bagger kommen. Wenn ich daran denke, könnte ich heulen“, erzählt eine Pächterin. Anfang nächstens Jahres soll alles weggebaggert werden. 

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Regina (80) und Hans-Joachim Krüger (76) bewirtschaften seit 50 Jahren ihr kleines, grünes Paradies in Karlshorst. Anfang des Jahres soll alles weggebaggert werden.
Regina (80) und Hans-Joachim Krüger (76) bewirtschaften seit 50 Jahren ihr kleines, grünes Paradies in Karlshorst. Anfang des Jahres soll alles weggebaggert werden.Stefan Henseke

Es ist ein Idyll, nahe der U-Bahnstrecke zwischen Tierpark und Biesdorf. Ein Idyll am Rande von Karlshorst, in dem man wunderbar leben kann. Viel Grün, wenig Verkehr auf kleinen Nebenstraßen. Ein Mix aus Ein- und Zweifamilienhäusern und Viergeschossern aus den 60er-Jahren. Aber viele Karlshorster, die in der Nachbarschaft zwischen Zwieseler und Kötztinger Straße wohnen, sind sauer. Weil knapp 200 ihrer Garagen abgerissen werden. Weil Kleingärten für den Spielplatz eines Neubauviertels plattgemacht werden sollen.

Bögen aus Efeu, gestutzte Zier-Nadelbäume, verschlungene Wege, ein Teich, irgendwo versteckt im Grünen eine weiße Bank: Regina (80) und Hans-Joachim Krüger (76) haben aus ihrem Garten in 50 Jahren ein kleines Paradies gezaubert. „Jeden einzelnen Stein hat mein Mann gesetzt, alles hat mein Mann alleine gemacht“, erzählt Regina Krüger. „Wir sind hier jeden Tag von morgens bis abends. Und jetzt soll alles weggebaggert werden.“

„Ich bin ein alter DDR-Bürger, der kämpft“

Ohne jede Vorwarnung kam am 25. Juli 2023 die Kündigung durch die BIM, erzählt die 80-Jährige. Die Firma, die die landeseigenen Immobilien verwaltet, wollte, dass die Krügers innerhalb von drei Monaten ihr 580 Quadratmeter großes Gärtchen verlassen. Weil gegenüber neue Wohnungen gebaut werden, weil der Platz gebraucht werden würde.

Aber die BIM hatte die Rechnung ohne Frau Krüger gemacht. Sie nervte die Politiker im Bezirk. Die einen versuchten zu helfen (CDU, SPD), die anderen (Die Linke) weniger, sie nahm Einsicht in Flächenpläne und Bauunterlagen. „Ich bin ein alter DDR-Bürger, der kämpft“, sagt die 80-Jährige selbstbewusst. Mit Erfolg: Ein gutes Jahr Verlängerung hat sie herausgeholt, bis zum 31. Dezember 2024.  Nicht nur für sich, auch für ihre Nachbarn. Insgesamt acht Parzellen am Waldrand sollen nach Ablauf der Frist plattgemacht werden.

Zu den vom Abriss bedrohten Pächtern der acht Kleingärten gehören auch Ingeborg und Peter Strunze, die gleich nebenan in einem der Viergeschosser aus DDR-Zeiten wohnen. „Schlimm wird es werden, wenn die Bagger kommen. Wenn ich daran denke, könnte ich heulen“, sagt Ingeborg Strunze zum KURIER. Drei Kinder seien in 50 Jahren in diesem Garten groß geworden, viele Nichten und Neffen. Ein kleiner Garten mit Pool, Grill und Teich, inzwischen etwas verwildert. „Wir machen in diesem Jahr weniger, es lohnt sich ja nicht mehr“, sagt sie traurig. 

Auf der anderen Seite der Zwieseler Straße soll gebaut werden. Ein altes Gewerbegebiet, das zurzeit noch wie eine verwilderte Mondlandschaft aussieht. Tiefe Gruben, hohe Sandhaufen. Auf einem 22.500 Quadratmeter großen Grundstück sollen 321 Wohnungen errichtet werden, wie auf den Bau-Absperrungen zu lesen ist. Ende 2026 soll alles fertig sein.  

Der wenig genutzte Spielplatz an der Roßmäßlerstraße.
Der wenig genutzte Spielplatz an der Roßmäßlerstraße.Stefan Henseke

Aber warum müssen dann die acht Kleingärten auf der anderen Seite der Straße weg? „Wenn sie auf unserem Grundstück eine Schule oder dringend benötigte Wohnungen bauen würden, hätte ich den Abriss verstanden“, sagt Regina Krüger. Doch bei ihrem Studium der Pläne kam etwas anderes heraus. Die Kleingärten sollen einem Spielplatz weichen. Sie habe auch nichts gegen Spielplätze, sagt sie, aber 200 Meter weiter gebe es schon einen Spielplatz, der aber kaum genutzt werde. „Der ist 1750 Quadratmeter groß, das weiß ich aus den Unterlagen“, sagt sie. Hier gibt es einen kleinen Fußball- und einen Streetballplatz, eine Torwand, eine Tischtennisplatte, Rutsche, Klettergerüst, Schaukel und Liegeflächen – nur Kinder sind bei unserem Besuch am Nachmittag nicht zu sehen.  

197 DDR-Garagen für Bundeskanzleramt weg

Regina Krüger befürchtet, dass es ihren acht Parzellen wie den benachbarten Garagen ergeht. 197 Garagen aus DDR-Zeiten, in vier Reihen gebaut, mit einem Kopfsteinpflasterweg verbunden. Den Pächtern wurde gekündigt, zum 31. August 2022 mussten sie geräumt werden. Doch: „Die Garagen stehen jetzt seit zwei Jahren leer – und nichts passiert“, sagt Regina Krüger. Garagen, die auch für Zündstoff im Kiez sorgen. Denn die sollen weg, weil der Bundeskanzler und seine Mitarbeiter im Bundeskanzleramt in Tiergarten nicht mehr genug Platz haben.

197 Garagen aus DDR-Zeiten werden für das Bundeskanzleramt abgerissen.
197 Garagen aus DDR-Zeiten werden für das Bundeskanzleramt abgerissen.Stefan Henseke

Klingt irre, ist aber so. Weil für 400 neue Kanzleramts-Büros und einen Hubschrauberlandeplatz ein Wäldchen aus rund 180 Pappeln und Robinien gefällt wurde, muss ein gesetzlich vorgeschriebener Grün-Ausgleich geschaffen werden. Und der wurde angeblich nur im 15 Kilometer entfernten Karlshorst gefunden. Die Garagen sollen abgerissen, der Boden entsiegelt werden.

„Auf den frei werdenden Flächen sollen Biotope entstehen, die für die Öffentlichkeit zugänglich sein werden“, so die CDU-Abgeordnete Lilia Usik, die vom Senat wissen wollte, wie es in Karlshorst weiter geht. „Dies ist ein wichtiger Schritt für den Naturschutz, doch viele Anwohner sind verständlicherweise besorgt über den Verlust von Parkmöglichkeiten.“ Nach der Antwort des Berliner Senats sollen die Abrissarbeiten nun im ersten Quartal 2025 beginnen. Und aus der bisherigen Zufahrt für die Garagen wird eine temporäre Wendeschleife für die Baustelle gegenüber, wie Regina Krüger aus den Planungsunterlagen entnommen hat. 

Ein letzter Sommer in ihrem Garten-Paradies: Hans-Joachim und Regina Krüger haben die Hoffnung aufgegeben, dass sie vom Abrissbagger verschont bleiben.
Ein letzter Sommer in ihrem Garten-Paradies: Hans-Joachim und Regina Krüger haben die Hoffnung aufgegeben, dass sie vom Abrissbagger verschont bleiben.Stefan Henseke

Die Hoffnung, dass sich nebenan der Abriss ihres kleinen, grünen Paradieses vermeiden lässt, haben die Krüger inzwischen aufgegeben. „Da würde wohl nur noch eine seltene Kreuzkröte in meinem Teich helfen“, sagt Hans-Joachim Krüger. ■