Ein Jahr ist es her, dass sich auf der Leipziger Straße in Berlin-Mitte ein grauenvoller Unfall ereignete, der eine 41-jährige belgische Touristin und ihren vierjährigen Sohn das Leben kostete. Jetzt soll sich der mutmaßliche Unfallverursacher, der inzwischen 84-jährige Peter R., wohl ab Juni vor Gericht verantworten. Ihm werden zweifache fahrlässige Tötung, fünffache Körperverletzung und ein gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr zur Last gelegt. Trotzdem wird der Fall nicht vor dem Landgericht, sondern vor dem Amtsgericht Tiergarten verhandelt. Nur, warum?
Am 9. März 2024 war die belgische Familie zu einem Städtetrip in Berlin, berichtet die „Berliner Zeitung“ über den Fall. Gegen 10 Uhr wollte sie die Leipziger Straße auf Höhe eines Einkaufszentrums überqueren. Dort gilt eine Geschwindigkeitsbegrenzung von Tempo 30. Der Verkehr in Richtung Potsdamer Platz staute sich, wodurch sich die Familie offenbar sicher fühlte. Zeugenaussagen zufolge sollen Autofahrer ihnen sogar Lichtzeichen gegeben haben, um die Fahrbahn zu queren.
Dann der Crash: Laut Anklage raste Peter R. mit seinem Ford Mondeo mit einer Geschwindigkeit zwischen 70 und 90 km/h auf die Busspur, heißt es in der „Berliner Zeitung“, zog weiter auf den markierten Radweg und erfasste mit 89 km/h die Mutter und ihr Kind im Buggy. Beide starben. Der Wagen prallte noch in einen Skoda, der in den stockenden Verkehr eingebunden war, und schob diesen gegen einen an einer roten Ampel stehenden BMW.
Nach einem Gutachten zur Unfallrekonstruktion erhob die Staatsanwaltschaft im Januar Anklage vor dem Amtsgericht Berlin-Tiergarten. Dieses gab das Verfahren mit der Begründung an das Landgericht ab, dass der Fall eine besondere Bedeutung habe – nicht nur wegen der medialen Aufmerksamkeit, sondern auch aufgrund der angekündigten Prüfung der Schuldfähigkeit des Angeklagten. Zudem sollte mit Blick auf die Zeugen nur eine Tatsacheninstanz durchlaufen werden.
Das Landgericht Berlin lehnte die Übernahme jedoch Anfang Februar ab, so die „Berliner Zeitung“ in ihrem Bericht. Nach Einschätzung der Richter sei der Fall nicht so umfangreich, dass er eine Verhandlung vor dem Landgericht rechtfertige. Die Belastung der Zeugen durch zwei Instanzen – das Amtsgericht und eine potenzielle Berufung – sei zudem nicht außergewöhnlich hoch. Auch komme es an Amtsgerichten häufig vor, dass Schuldfähigkeitsgutachten eingeholt werden.

Die Strafkammer hielt zudem fest, dass der Fall keine besondere Bedeutung habe, die ihn von anderen Fällen fahrlässiger Tötung abhebe. Auch die große mediale Aufmerksamkeit sei kein Kriterium für eine Verhandlung vor dem Landgericht. Zudem sei nicht zu erwarten, dass eine mögliche Strafe über vier Jahren liege – die höchste Haftstrafe, die vor einem Amtsgericht verhängt werden kann.
Anderer Totraser-Fall landete vor dem Berliner Landgericht
Interessanterweise hatte dasselbe Landgericht vor drei Jahren den Fall eines Fahrers verhandelt, der in der Invalidenstraße vier Menschen tötete, nachdem er am Steuer seines SUVs einen epileptischen Anfall erlitten hatte. Er wurde wegen fahrlässiger Tötung und Gefährdung des Straßenverkehrs zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Warum wurde dieser Fall vom Landgericht behandelt, während der aktuelle Fall dort nicht verhandelt wird, fragt die „Berliner Zeitung“?
Laut Inga Wahlen, Sprecherin des Landgerichts, unterliegt die Entscheidung der richterlichen Unabhängigkeit und erfolgt immer im Einzelfall. Derzeit steht noch kein Prozesstermin für Peter R. fest. Berichten zufolge hat er sich bisher nicht zu den Vorwürfen geäußert und gibt an, sich an den Unfall nicht erinnern zu können.
Am ersten Jahrestag des Unglücks wird es wohl keine Mahnwache an der Leipziger Straße geben. Der Aktivisten-Verein Changing Cities, der nach dem Unfall eine solche organisiert hatte, verweist darauf, dass es in Berlin einfach zu viele tödliche Unfälle gibt.
Besonders irritierend: An der Unfallstelle hat sich bis heute nichts geändert. Der Radweg ist weiter nur durch eine weiße Markierung von der Fahrbahn getrennt. Dabei hatte der Verein bereits Wochen vor dem Unfall beim Senat gefordert, den Radweg mit Pollern oder Schwellen zu sichern. Wäre dieser Schutz vorhanden gewesen, hätte es das Unglück vielleicht nie gegeben.