Ecke Eberswalder Straße

Berliner Spätis in Not: Jetzt gibt der Kiosk-Besitzer von der U2 auf

Ein Besuch in Berlin-Prenzlauer Berg, unter der Hochbahn: Späti-Besitzer Bengin erzählt von Stammkunden, und warum er den Laden bald abgeben wird.

Author - Veronika Hohenstein
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Bengin (50) ist Spätibesitzer unter der U2. Sein Kiosk liegt im Schatten des „Magistratsschirms“ – so nennt der Berliner die Hochbahn, weil sie die Fußgänger bei Regen trockenen Fußes durch Prenzlauer Berg laufen lässt.
Bengin (50) ist Spätibesitzer unter der U2. Sein Kiosk liegt im Schatten des „Magistratsschirms“ – so nennt der Berliner die Hochbahn, weil sie die Fußgänger bei Regen trockenen Fußes durch Prenzlauer Berg laufen lässt.Veronika Hohenstein

Die U2 fährt in den U-Bahnhof Eberswalder Straße im Prenzlauer Berg ein, piept, hält. Es ist kurz vor neun, ein regnerischer Donnerstag Ende Juli. Graue Wolken hängen schon seit Tagen über der Stadt. Berlin wacht heute spät auf. 

Ein paar Leute hasten zur Arbeit, krümmen sich gegen den Regen. Aber dennoch scheint mir dieser Morgen müde. Vor einem Späti sitzt ein Mann auf einem Holzhocker, mit einem dampfenden Becher in der Hand. Ich schlendere rüber, vielleicht kann er mir ja erzählen, wie das Leben hier unter der Brücke so ist? Denn diesem Alltag will ich heute nachspüren. Wir plaudern drauflos. Der Mann heißt Bengin, ist 50 Jahre alt. Schon seit mehreren Jahren ist er in der Späti-Branche tätig, ist hier Betreiber im Kompakt-Kauf. „Magst Kaffee?“ Eine kleine Kaffeemaschine brummt los.

„Hier einen Späti zu betreiben, lohnt sich leider nicht mehr“

„Es ist eine harte Zeit für Spätis“, sagt er. Die Ladentheke ist voll gestapelt: Da Marlboro-Zigaretten, die gehen am besten weg. Dort„Berliner Luft für die Touristen“, genau wie die kleinen Schneekugeln, in denen es über dem Brandenburger Tor schneit. Links Kaugummis und Co. Und dann natürlich alle möglichen Getränke. „Mal gucken, wie lange es noch läuft. Hier einen Späti zu betreiben, lohnt sich leider nicht mehr.“ Dann: „Milch oder Zucker?“

Eine Frau kommt rein, sie kauft drei Fläschchen Pfefferminzlikör und zwei Tässchen Espresso. „Für den Geburtstag meines Vaters“, sagt sie. Bengin lächelt, nimmt das Geld entgegen. Ständig hört man das dumpfe Grummeln der U-Bahnen über uns. „Ich kenne die Leute hier.“

Sein Späti ist ein fester Bestandteil unterm Viadukt – jetzt gibt Bengin ihn auf. „Lohnt sich nicht mehr.“
Sein Späti ist ein fester Bestandteil unterm Viadukt – jetzt gibt Bengin ihn auf. „Lohnt sich nicht mehr.“Veronika Hohenstein

Dann setzt er fort: „Alles ist teurer und die Kunden kaufen weniger. Bei Rewe kriegste eh alles günstiger.“ Er zuckt mit den Schultern. „Früher war es besser, da lief das Späti-Geschäft noch gut. Und dann kam Corona, und dann der Ukraine-Krieg.“ Er grüßt vorbeilaufende Passanten. „Viele Spätis werden zumachen.“

Du bist ein guter Menschenkenner, oder? frage ich. Er lächelt: „Ich nehme an, ich komme gut mit den Leuten klar.“ Aber natürlich komme es auch zu unschönen Situationen. „Die Leute sind mal gut gelaunt, mal betrunken, mal sauer. Ich sehe und erlebe viel. Man muss halt wissen, wo man Grenzen zieht. Und Stress machen bringt nichts, ich bleibe immer ruhig.“

Dann tritt ein Mann mit Hut und Bart herein: „Ich hab Geburtstag!“, ruft er. Bengin holt ein beschlagenes Fläschchen Rotkäppchen- Sekt aus dem Kühlschrank. „Alles Gute dir“, sagt er und stellt sie auf den Tresen. Der Stammkunde freut sich, ist aber eigentlich für Jägermeister hier, und will auch uns einladen. Bengin und ich winken ab: „Arbeit …“ Wir gehen raus, beobachten das Stadtgeschen, weiter weg sind Zelte zu sehen.

Ein Spaziergang unter der Hochbahn: Von der Eberswalder Straße zur Schönhauser Allee – Alltag im Schatten der U2.
Ein Spaziergang unter der Hochbahn: Von der Eberswalder Straße zur Schönhauser Allee – Alltag im Schatten der U2.Veronika Hohenstein

„Sie wohnen mit ihrer Familie unter der Brücke“, erzählt er mir später. „Die Familie kommt aus Rumänien. Bleiben drei Monate, fahren dann wieder heim. Kommen irgendwann wieder. Ruhige und nette Leute. Machen keine Probleme.“ Aber es gibt hier halt nichts, kein Klo, keine Dusche.“ Wenn es so nach Pipi riecht, ist es nicht ekelig, Kaffe zu trinken? „Doch.“ Dann zeigt er auf die Fassade rund um den Späti. „Ich wasche jeden Morgen die Ecken hier, damit Kunden auch hier verweilen möchten.“

Ein paar hundert Meter unter der U2, viel Berlin auf kurzer Strecke. Wir treffen auf Späti-Besitzer Bengin.
Ein paar hundert Meter unter der U2, viel Berlin auf kurzer Strecke. Wir treffen auf Späti-Besitzer Bengin.Veronika Hohenstein

Musik wird aufgedreht. Zwei Männer lassen die Nacht ausklingen. Fußgänger machen um zwei torkelnde Typen einen Bogen, verständlich, sie pöbeln auch herum. Eine Taube sitzt auf dem Dach, schüttelt sich, das Gefieder staubt. Eine Frau will Pfandflaschen einlösen. „Das machen wir nicht“ sagt Bengin. „Ich muss nach München! Ich kann die nicht mitnehmen.“ Sie hat zittrige Hände. Er zahlt ihr Pfand für die drei Flaschen und wünscht ihr eine gute Reise. Dann flüstert er: „Das sagt sie immer, aber ich bezweifle, dass sie fährt.“ Gerade nachts ist hier viel los, wenn die Clubs öffnen. Im Sommer finden auch viele Touristen in den Späti. Dennoch: „Das ist mein letzer Monat, dann gebe ich den Laden ab.“

Durch Prenzlauer Berg: Ein Spaziergang unter dem Schirm der U2

Jemand kommt und will Zeitungen kaufen. „Das habe ich nicht“, sagt er und erklärt, dass es sich nicht mehr lohnt. „Zeitungen, das kaufen die Leute mir zu selten. Wenn überhaubt den KURIER." Wir lachen. „Ich liebe diese Stadt“, sagt er plötzlich. „Hier die Gegend im Prenzlauer Berg ist auch einfach schön.“ Und unter der Brücke der U2 „helfen wir uns und achten aufeinander“, fügt Bengin hinzu.

Oben auf dem Dach schüttelt sich eine Taube. Feiner Staub löst sich vom Gefieder. Die Brücke der U2 bietet ihnen Schutz.
Oben auf dem Dach schüttelt sich eine Taube. Feiner Staub löst sich vom Gefieder. Die Brücke der U2 bietet ihnen Schutz.Veronika Hohenstein

Ich beschließe, unter der U2 zur nächsten Station, der Schönhauser Allee zu laufen. Ein Weg unter der Hochbahn, vorbei an Pfützen, improvisierten Schlaflagern und weiteren Spätis. Erbrochenes auf dem Weg, Taubenfedern kleben darin. Sonnenblumenkerne, Bierdeckel, eine nasse Zeitung, durchweicht. Ein Bettlaken hängt über einem Fahrradständer zum Trocknen, es regnet drauf. Es ist dennoch ein schöner Spaziergang.

Und dann gelange ich zur Schönhauser Allee. Im Tunnel zur Ringbahn kommt mir ein schwerer Geruch entgegen. Ich ziehe den Mantel enger, atme durch den Stoff. Der Geruch vermischt sich mit meinem Parfüm. Fußspuren führen durch eine dunkle Urin-Pfütze. Von der Schönhauser Allee geht’s heim. Eigentlich war der Spaziergang ziemlich nett.