Es ist DAS Berlin-Musical schlechthin, wird in der Hauptstadt seit mehr als 20 Jahren aufgeführt: „Cabaret“. Unzählige Zuschauer haben es im Tipi am Kanzleramt gesehen – aber wussten Sie schon, dass hier auch ein Künstler auf der Bühne steht, der als der letzte Märchenprinz der DDR in die Filmgeschichte einging? Dirk Schoedon (61) spielte den Prinzen im letzten DEFA-Märchen „Rapunzel oder der Zauber der Tränen“ von 1988, machte danach gesamtdeutsch Karriere – nun ist das Cabaret sein Zuhause. KURIER hat ihn getroffen.
„Rapunzel oder der Zauber der Tränen“: Dirk Schoedon war der letzte Märchenprinz der DEFA
Seit 2017 spielt Schoedon in „Cabaret“ den jüdischen Obsthändler Herr Schultz, gehört damit zum Berliner Theatersommer. Und in den Herzen vieler Menschen im Osten hat er einen festen Platz als letzter DEFA-Märchenprinz! „Die Bezeichnung wurde mir irgendwann übergeholfen – ich finde es toll“, sagte er dem KURIER im Interview. Er selbst habe das lange nicht gewusst. Aber: Tatsächlich wurde nach „Rapunzel und der Zauber der Tränen“ kein DEFA-Märchen mehr gedreht, denn die Mauer fiel.
Schoedon wurde in Finsterwalde geboren, zog mit seiner Familie nach Ost-Berlin, als er sechs Jahre alt war. Als Jugendlicher sammelte er erste Schauspielerfahrungen an der Studiobühne Friedrichshain. Nach der Schule ließ er sich an der Theaterhochschule „Hans Otto“ in Leipzig zum Schauspieler ausbilden. Schon kurz danach folgen Auftritte in gleich zwei DEFA-Märchen – „Der Eisenhans“ und „Rapunzel und der Zauber der Tränen“. Entdeckt wurde Schoedon dafür auf der Bühne. „Es gab eine zentrale Besetzungsstelle für alle Schauspieler, die im Osten tätig waren. Wenn die einen bestimmten Typ suchten, gingen sie in die Theater und sahen sich die Leute an.“

Bekannt machte ihn vor allem die Rapunzel-Verfilmung – an den Dreh im Jahr 1987 erinnert sich Schoedon noch heute. „Es war sehr aufregend“, sagt er. „Ich hatte vorher etwas Reitunterricht, aber die wichtigsten Dinge musste ich mir selbst beibringen.“ Schon am frühen Morgen ging er zum Pferd in den Stall, um sich mit dem Tier anzufreunden. „Die anderen sagten: Schoedon, ihr Künstler wollt doch immer lange ausschlafen?“ Doch das Vertrauen zwischen ihm und dem Tier wurde dadurch so groß, dass er selbst schwierige Reitszenen selbst drehen konnte – und die Kaskadeure, die Stuntmänner der DEFA, konnten früher Feierabend machen.
Dreh von „Rapunzel“: Der letzte Märchenprinz der DEFA hatte es nicht leicht
In Erinnerung blieb dem Schauspieler auch die Ausstattung. „Allein der Zopf von Rapunzel. Der war acht Meter lang, wurde in Handarbeit hergestellt.“ Er kam im Jahr 2009 übrigens bei einer anderen Rapunzel-Verfilmung noch einmal zum Einsatz – die Handarbeit aus der DDR hielt und überzeugte. „Und auch das Essen und Trinken im Film: Alles wurde aus den ortsnahen Konditoreien geholt, alles war echt.“ Er selbst stand aber noch am Anfang der Karriere, traute sich nicht alles. „Ich musste als Prinz ein Schwert tragen, das ständig beim Reiten aus der Hülle rutschte. Ich hätte natürlich sagen können: Klebt das mal fest. Aber dafür war ich viel zu aufgeregt.“ Letztlich sei er dann unbewaffnet geritten.

Das Talent zum Reiten brachte ihm später eine ganz besondere Rolle ein: „Bei den Karl-May-Festspielen im Jahr 1994 im Sauerland war ich der ,Quoten-Ossi‘“, sagt er und lacht. „Die hatten zwar viele Bewerbungen, aber offenbar konnte von denen keiner wirklich reiten.“ Bei der Recherche nach Darstellern stießen die Macher auf Schoedon. „Sie fragten mich, ob ich reiten kann – und ich sagte, dass ich das erst sagen kann, wenn ich mit dem Pferd eine halbe Stunde zusammen war.“ Die Reaktion: „Kommen Sie sofort her – endlich mal einer, der bescheiden ist.“ Beim Dreh gab’s dann auch mal Witze. „Wenn irgendwo angestanden wurde, etwa beim Essen, hieß es dann: Der Schoedon freut sich, der ist Schlange-Stehen gewöhnt. Aber es war immer liebevoll gemeint.“
Letzter Märchenprinz der DEFA: Dirk Schoedon machte auch nach der Wende Karriere
Dirk Schoedon machte nach der Wende gesamtdeutsche Karriere, stand unter anderem als Kommissar Jens Hoffmann in „Polizeiruf 110“, bei „In aller Freundschaft“ und in zahlreichen anderen Serien und Filmen vor der Kamera. Seit 2017 ist aber das Berliner „Cabaret“ im Sommer sein Zuhause. Die Story des Kult-Musicals dreht sich um den Schriftsteller Clifford Bradshaw, der in den 30er-Jahren das Berliner Nachtleben entdeckt und sich in die Tänzerin Sally Bowles verliebt. Zugleich wird die Geschichte des jüdischen Obsthändlers Herr Schultz erzählt, der die Pensionswirtin Fräulein Schneider heiraten will – doch das Erstarken der rechten Mächte verändert die Gesellschaft und das Leben aller.
Das Stück ist aktueller denn je – das merke man auch den Reaktionen des Publikums. „Es gibt bestimmte Szenen, die mittlerweile mit Applaus bedacht werden. Wenn Clifford Bradshaw etwa sagt ,Wenn man nichts gegen diese Rassisten-Politik unternimmt, dann ist man dafür‘, dann gibt es regelmäßig Zwischenapplaus, der Darsteller muss sogar Pause machen. An anderen Tagen Totenstille und Schweigen, was ich aber auch als eine Form von Nachdenklichkeit und Zustimmung sehe“, sagt Schoedon. „Die Leute sind nicht ahnungslos – sie wissen schon, was gemeint ist.“
