Es war die DDR-Antwort auf James Bond: Mitte der 70er war die Agenten-Serie „Das unsichtbare Visier“ der große Hit im DDR-Fernsehen – mit Einschaltquoten von weit über 50 Prozent. Stasi statt MI6, Armin Mueller-Stahl statt Sean Connery. 16 Folgen á 75 Minuten, 16 Mal Hochspannung. Wohl das einzige Mal, dass Agenten des Ministeriums für Staatssicherheit so gefeiert wurden.
In der ersten Staffel war Armin Mueller-Stahl als Agent Werner Bredebusch unterwegs. Im Westen. Er schlüpft in die Identität eines gefallenen Jagdfliegers aus dem Zweiten Weltkrieg und unterwandert Bundeswehr und das Bonner Verteidigungsministerium, klärt Kriegsverbrechen auf und jagt in Südamerika eine Organisation, die deutschen Nazigrößen Unterschlupf gewährt hat.
Das zweite Drehbuch schrieb die Stasi selbst
Schneidiger Blick, kluger Kopf: Mueller-Stahl spielt einen Agenten, der häufiger seinen Verstand als seine Fäuste benutzt, er muss nicht durch die Betten schöner Frauen turnen, um an sein Ziel zu kommen. Die Frauen sind hier nicht nur hübsches Beiwerk, sondern selbst Agentinnen. Und einen Fiesling wie bei Bond gibt es nicht. Das Böse ist hier das System im Westen. Überall Nazis, ein System aus Faschisten, Rüstungsfanatikern und CIA-Spitzeln, das den Weltfrieden bedroht.
Der Kalte Krieg aus DDR-Sicht, spannend in Szene gesetzt. Gut gefilmt, mit der Musik von Walter Kubiczeck, mit hervorragenden Schauspielern besetzt. Nicht nur Armin Mueller-Stahl. Auch Wolfgang Greese, Jesse Rameik, Jürgen Heinrich, Rolf Hoppe und Gerry Wolff bekamen Rollen in den 16 Folgen der zwei Staffeln. Albert Hetterle, Thomas Langhoff oder Annekatrin Bürger waren in Nebenrollen zu sehen. Heute ist die Agenten-Serie aus der DDR bei ARD Plus zu sehen.
Eine Serie über die Stasi? Da war es nur natürlich klar, dass auch die Stasi nicht tatenlos zuguckte. Die Helden, die gefeiert wurden, sollten nach ihrem Willen geformt werden. Die komplette Serie entstand in Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Staatssicherheit und Erich Mielke. Wie tief Horch & Guck seine Finger im Spiel hatte, erfuhr man damals allerdings nicht. Denn die Bücher von Staffel 2 (1976 bis 1979) schrieb Michel Mansfeld. Nur ein Pseudonym. Mansfeld hieß eigentlich Günter Halle und war Oberst in der Abteilung Agitation des MfS. Und schon in Staffel 1 (1973 bis 1975) war er der fachliche Berater der Serie. Ohne ihn ging nichts.
Und die Stasi und die SED nahmen auch bei der Besetzung Einfluss. In Staffel 2 war Armin Mueller-Stahl draußen, weil er 1976 einen Brief unterschrieb, der gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns aus der DDR protestierte.
Armin Mueller-Stahl: 1980 reiste der in der DDR gefeierte Schauspieler dann nach West-Berlin aus, weil er keine Rollen mehr bekam. Letztlich war dieser erzwungene Abgang aber ein Glücksfall für seine Karriere. Er spielte für Regisseure wie Rainer Maria Fassbinder und Andrej Wajda, ehe sich 1989 für ihn das Tor nach Hollywood öffnete. Und mit der internationalen Karriere änderte er auch die Schreibweise seines Namens – von Müller-Stahl zu Mueller-Stahl. Mit dem „Music Box – Die ganze Wahrheit“ von Costa-Gavras wurde er in den USA zum Star. Er brillierte in „Night on Earth“ von Jim Jarmusch und in „Das Geisterhaus“ von Bille August, spielte in Kino-Blockbustern wie „Akte X - der Film“, „Mission to Mars“ und „The International“. 2015 zog sich der heute 93-Jährige aus dem Film zurück, arbeitete zuletzt vor allen Dingen als Maler.

Wolfgang Greese: Spielte in der Serie den Ex-SS-Offizier Born. Er war mehrere Jahre an der Berliner Volksbühne engagiert, ehe er 1971 zum DDR-Fernsehen wechselte. Er spielte bis zu seinem Tod im Jahr 2001 gut 180 Film- und Fernsehproduktionen mit - von „Spuk unter Riesenrad“ über „Polizeiruf 110“ bis zu „Frühlingssinfonie“. Auch nach der Wende blieb er gut im Geschäft, nahm Rollen in den Serien „Forsthaus Falkenau“ oder „Agentur Herz“ an.
Jessy Rameik: War in „Das unsichtbare Visier“ als Kundschafterin Winnie Winkelmann zu sehen. Geboren in Riga, studierte sie in Leipzig Schauspiel an der dortigen Theaterhochschule. Sie war auch Sängerin und gewann 1964 mit „Das Lied von den Rosen und den Träumen“ das Chansonfestival im polnischen Sopot. Im Defa-Streifen „Das siebente Jahr“ gelang ihr 1969 der Durchbruch als Schauspielerin, sie spielte später in Filmen wie „Pension Butterpilz“ mit. Nach 1989 zog sie sich weitgehend aus dem Filmgeschäft zurück, 2002 hatte sie nochmal eine Rolle in GZSZ. 2018 verstarb Rameik im Alter von 84 Jahren in Berlin. Ihr Talent hat sie vererbt, an ihre Tochter Juana-Maria von Jascheroff sowie ihre Enkel Felix und Constantin von Jascheroff, die ebenfalls Schauspieler sind.
Gunter Schoß war Egon in „Egon und das achte Weltwunder“
Helmut Schellhardt: Spielte den Korvettenkapitän Wendland. Schellhardt war ein Mann der Serie. Von 1973 bis 1991 spielte er auch in zehn Folgen von „Polizeiruf 110“ mit. Als Kriminalstellenleiter Lehmbruck hatte er 1991 seinen letzten Auftritt in der Folge „Polizeiruf 110: Mit dem Anruf kommt der Tod“. 2002 starb er 73-jährig in Berlin.
Gunter Schoß: Armin Mueller-Stahl war weg, jetzt rückte Kundschafter Martin Tanner in den Mittelpunkt. Schoß, 1940 in Berlin geboren, wurde gleich mit seiner ersten Rolle zum DDR-Filmstar – als Egon in „Egon und das achte Weltwunder“ (1964). Über 150 Filmrollen stehen in seiner Vita („Sachsens Glanz und Preußens Gloria“, „Der Tangospieler“), seine Filmkarriere ging auch nach 1989 nahtlos weiter. Es war oft in Serien zu sehen, in „Liebling Kreuzberg“, im „Tatort“ oder „In aller Freundschaft“. 1995 erhielt er den Adolf-Grimme-Preis für seine Sprecherrolle in der Doku „Drei Stunden Güstrow“. Heute lebt er mit seiner Familie in Berlin-Pankow.

Marion van de Kamp: Sie spielte in „Das unsichtbare Visier“ erst eine Waffenhändlerin Godiva und dann die Kundschafterin Felicitas Eichhofer. Von 1955 bis 1991 gehörte sie zum Ensemble der Volksbühne, wechselte danach zum Theater im Palais, wo sie auch Mitgesellschafterin war. Einen großen Auftritt hatte sie am 4. November 1989. Damals sprach sie bei der großen Demonstration auf dem Alexanderplatz. Ihre letzte Rolle spielte sie 2012 in der Komödie „Bis zum Horizont, dann links!“ von Bernd Böhlich. Im Mai 2022 starb sie 96-jährig.
Jürgen Heinrich: Schlüpfte für die Serie in die Rolle des Kundschafters Alexander. Seine Filmkarriere bekam aber einen Kick, als er 1982 aus Protest gegen den Einmarsch der sowjetischen Truppen in Afghanistan aus der SED austrat. Drei Jahre Berufsverbot! Er schlug sich als Taxifahrer und Schneider durch, bis er 1985 nach West-Berlin ausreisen durfte. Nach ein paar Rollen in „Tatort“, „Praxis Bülowbogen“, „Drei Damen vom Grill“ und „Der Alte“ startete 1992 seine Karriere zum zweiten Mal durch - als Kriminalhauptkommissar Andreas Wolff in der Sat.1-Serie „Wolffs Revier“ (173 Folgen). Zuletzt war Jürgen Heinrich in diesem Jahr in der ARD-Krimireihe „Kommissar Dupin“ zu sehen.
Der Mann, der Yoda in „Star Wars“ seine Stimme lieh
Erik S. Klein: Spielte in der zweiten Staffel der Serie den Bauunternehmer Alois Leutwiler, der sich durch seine betrügerischen und korrupten Machenschaften erpressbar macht. Er war auch ein Viel-Spieler, in die Herzen der Zuschauer des DDR-Fernsehens spielte er sich aber als alleinerziehender Vater in dem Mehrteiler „Aber Vati!“. Nach der Wende wurde seine Filmkarriere ausgebremst, er bekam keine Rollenangebote mehr, gastierte noch kurz am Berliner Renaissance-Theater. Von einem Treppensturz im Jahre 1996 erholte sich Klein nicht mehr richtig und starb sechs Jahre später, in Eichwalde, an den Spätfolgen. Er wurde 76 Jahre alt.

Gerry Wolff: War in der Serie als Don Salvatore, Chef eines neofaschistischen Netzwerks, zu sehen, er in Italien und Griechenland Attentate und Umsturzaktionen organisiert, bekannt wurde Wolff durch seine Rollen in den Defa-Klassikern „Nackt unter Wölfen“ und „Anton der Zauberer“. Und Jüngere dürften seine Stimme kennen: Er synchronisierte Yoda in „Star Wars: Episode I – Die dunkle Bedrohung“ (1999). Nach 1989 wurde Wolff zum Seriendarsteller, er war in „Tatort“, „Polizeiruf 110“, „Praxis Bülowbogen“ oder in „Der Havelkaiser“ zu sehen. An den Folgen eines Schlaganfalls fast erblindet, starb der 84-Jährige im Februar 2005 in Oranienburg. ■