„Ist jetzt kein Knallerurteil“, sagt Kristin W. einen Tag nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH). Familie W. aus Rangsdorf kämpft seit zwölf Jahren um ihr Haus, dass sie sich gebaut haben. Durch alle Instanzen, die die deutschen Gerichte so bieten. Doch das Urteil vom Freitag ist so ein Halb-und-Halb-Urteil. Familie W. weiß immer noch nicht, woran sie ist, der jahrelange Rechtsstreit um ihr Zuhause geht weiter – ihr Haus auf eigene Kosten abreißen, wie einst vom Landgericht angedroht, müssen sie nun aber nicht mehr. Wie es der Familie mit drei Kindern jetzt geht.
Vom Gefühl, Recht bekommen zu können, ist Kristin W. bei einem Besuch von Reportern der Berliner Zeitung weit entfernt. „Die Hoffnung ist nicht sehr groß.“ Im besten Falle bringe der Richterspruch des BGH den rechtmäßigen Grundstückseigentümer doch noch dazu, mit ihr über eine Lösung zu verhandeln. Familie W. ist in der gut 10 Kilometer von Berlin entfernten Gemeinde (knapp 12.000 Einwohner) fest verwurzelt, Kirstin W. ging hier schon zur Schule.
Rangsdorf: Für Familie W. geht der Kampf an die Substanz
Laut BGH muss das Oberlandesgericht (OLG) Brandenburg jetzt noch einmal neu über den emotionalen Rechtsstreit um ein Einfamilienhaus und Grundstück in Rangsdorf verhandeln und entscheiden. Ein vorangegangenes Urteil, nachdem die Familie wegen einer fehlerhaften Zwangsversteigerung unter anderem ihr Haus abreißen sollte, hob der Bundesgerichtshof in Karlsruhe am Freitag auf (Az. V ZR 153/23).
Angefangen hatte alles mit der Zwangsversteigerung, bei der die betroffenen Eheleute W. 2010 das Grundstück in Rangsdorf südlich von Berlin erworben hatten. Nachdem sie darauf ein Haus gebaut und mit ihren zwei Kindern eingezogen waren, meldete sich plötzlich der ursprüngliche Eigentümer des Grundstücks. Er hatte erst nach dem Zuschlag von der Zwangsversteigerung erfahren – und forderte das Grundstück zurück.
Die Versteigerung sei nicht rechtens gewesen, entschied daraufhin 2014 das Landgericht Potsdam. Denn das Amtsgericht Luckenwalde habe vorher nicht ausreichend nach dem ursprünglichen Eigentümer gesucht. Der Zuschlag wurde aufgehoben. Das Grundstück gehörte somit auch rückwirkend dem ursprünglichen Eigentümer, der das Grundstück von seiner Tante geerbt hatte.
Der Eigentümer zog gegen die Eheleute vor Gericht. Das OLG Brandenburg verurteilte sie daraufhin im Juni 2023 dazu, binnen eines Jahres ihr Haus abzureißen und das Grundstück zu räumen. Zudem sollten sie eine Grundschuld über 280.000 Euro plus Zinsen für die Baukosten löschen und dem Eigentümer rund 6000 Euro für die Nutzung des Grundstücks zahlen. Die Eheleute legten Revision ein – die in Karlsruhe nun Erfolg hatte.

Für Familie W. geht der Kampf an die Substanz. Ihre Rechtsschutzversicherung lehnte die Übernahme der Kosten ab, wie Kristin W. der Berliner Zeitung erzählt. Präzedenzfälle übernehme man nicht, hieß es damals. Währenddessen zahlte der Besitzer des Grundstücks, ein US-Bürger, von seinem Wohnort in der Schweiz aus Spitzenanwälte und marschierte durch alle Instanzen. Kirstin W. wurde, wie sie erzählt, zu irrwitzigen Vergleichen gedrängt, sollte dem Eigentümer Hunderttausende Euro Pacht zu zahlen, um das Grundstück nach 25 Jahren dann doch zurückzugeben.
Erst der Bundesgerichtshof brachte eine Wende. Kristin W. habe das Grundstück als „gutgläubige Besitzerin“ bebaut, urteilte Karlsruhe – daraus ergeben sich Rechte auf Entschädigung. Doch auch der BGH stimmte zu, dass durch die Aufhebung des Zuschlags der Kläger der rechtmäßige Eigentümer sei. Und er daher – wie vom OLG angenommen – Anspruch auf Berichtigung des Grundbuchs und auf Räumung und Herausgabe des Grundstücks habe. Auf die Frage, ob der Zuschlag damals vom Landgericht Potsdam zu Recht aufgehoben wurde, komme es jetzt nicht mehr an – weil dieser Beschluss eben rechtskräftig sei.
Das große „Aber“: Anders als vom OLG angenommen, habe die Familie für den Hausbau ein Zurückbehaltungsrecht. Das Wohnhaus habe den Wert des Grundstücks erhöht, sagte die Vorsitzende Richterin, Bettina Brückner. Dem Eigentümer sei es zumutbar, hierfür einen sogenannten Verwendungsersatz zu zahlen. Dabei sei auch egal, ob der Kläger überhaupt Interesse an dem Haus hat. Maßgeblich sei die „objektive Verkehrswerterhöhung“.
Familie W. sitzt in dem Haus fest: „Gefesselt durch den Kredit“
Nur wenn der Eigentümer die Baukosten für das Haus ersetzt, muss die Familie das Grundbuch berichtigen lassen, das Grundstück räumen und dem Eigentümer übergeben. Die Verurteilung der Familie zu Hausabriss und Löschung der Grundschuld hielt der BGH-Prüfung ebenfalls nicht stand.
Kristin W. sieht aber neue Schwierigkeiten auf sie zukommen. Vor dem Oberlandesgericht in Brandenburg dürften die Anwälte des US-Bürgers Belege für den Kauf jeder einzelnen Schraube einfordern, erklärt sie. Doch ihr Traumhaus wurde mit Unterstützung der Familie zum großen Teil in Eigenleistung hochgezogen, wie sie den Reportern der Berliner Zeitung erzählt. Ihre Schwester sei Architektin, ihr Vater Bauleiter, ihr Onkel Tischler. Einiges Material wurde „für umme“ herangeschafft, die Fensterbretter zum Beispiel aus Bäumen auf dem Grundstück gefertigt. „Wie sollen wir das beweisen?“

Die beklagte Hausbesitzerin Kristin W. begrüßte trotzdem die Entscheidung der Karlsruher der Richter. Es sei grundsätzlich ein positives Urteil, das das Ehepaar als sogenannte „gutgläubige Besitzer“ zum ersten Mal in eine andere Position bringe, sagt sie. Sie hoffe, dass sich mit dem Grundstückseigentümer auf dieser Grundlage vielleicht doch noch eine Einigung finden lässt, der Dämpfer des BGH den US-Amerikaner dazu bringe, auf die Familie von Kristin W. zuzugehen.
Der Eigentümer war noch nie in Rangsdorf
Zwei weitere Wermutstropfen sieht die Brandenburgerin. Ihre große Hoffnung, dass der BGH auch die Annullierung der Zwangsversteigerung überprüft, habe sich in Karlsruhe nicht erfüllt. Und: Der jahrelange Rechtsstreit ist noch immer nicht zu Ende, die Familie muss noch einmal vor Gericht. Bis auf Weiteres sitzt die Familie also in ihrem Traumhaus fest, das nicht mehr ihres ist. „Gefesselt durch den Kredit“, wie Kristin W. der Berliner Zeitung sagt. Es gebe nicht einmal die Chance, die Tür zuzumachen und eine Mietwohnung zu suchen.
Übrigens: Der von den Gerichten bestätigte rechtmäßige Eigentümer aus den USA sei noch nie in Rangsdorf gewesen, sagt Kristin W.■