Mit knallpink lackierten Nägel zieht Sandra Probst souverän den Hebel am Straßenbahnpult und legt auf dem Betriebshof der BVG in Lichtenberg eine 1A Gefahrenbremsung hin. Mit der Schnauze ihrer Straßenbahn kickt sie so einen großen Ball, der dann sechs Pins umstoßen soll. Tram-Bowling heißt eine Dispziplin, in der Sandra Probst und ihr Leipziger Kollege Thomas Langkopf (56) bei der ersten Tram-Weltmeisterschaft in Wien glänzen wollen.
Die Berliner BVG schickt die 47-Jährige Straßenbahnfahrerin aus Pankow ins ganz große Rennen und rechnet sich Chancen auf den Sieg aus. „Alles auf Gold“, heißt der Schlachtruf der beiden Fahr-Profis. Könnte klappen.
Weltmeisterschaft der Tramfahrer 2025 in Wien
Bei der Tram-Weltmeisterschaft treten in Wien Zweierteams aus der ganzen Welt gegeneinander auf dem Rathausplatz an. Straßenbahnfahrer aus Melbourne in Australien sind dabei, Fahrerinnen aus Casablanca, Hongkong, Warschau oder Kiew. Für Deutschland starten Thomas und Sandra in insgesamt acht Disziplinen. In jeder einzelnen müssen die Wettkämpfer Fingerspitzengefühl und Finesse auf den 30 bis 50 Tonnen schweren Maschinen beweisen.

„Wir sind unheimlich froh, dass die Fahrerinnen und Fahrer hinter den Scheiben einmal eine so große Bühne bekommen und ihr Können zeigen dürfen“, sagt der BVG-Coach Sebastian Templiner, der Sandra und Thomas beim Training an diesem Montagmorgen durch den Parcours lotst. „In jedem Fahrerhäuschen sitzen Menschen und es ist schön, ihnen ein Gesicht zu geben.“
Beste Berliner Straßenbahnfahrerin auf der M1 unterwegs
Sandra Probst hat sich in Berlin in einem Vorausscheid gegen 20 der insgesamt 1400 Berliner Straßenbahnfahrer durchgesetzt. Am liebsten mag sie das sanfte Anfahren und Abbremsen ihres gelben Kolosses. Und im Berliner Stadtverkehr hat sie dazu oft Gelegenheit, wenn sie auf ihrer Strecke mit der M1 durch Pankow nach Mitte und zurück unterwegs ist. Im Wettkampf steht dazu ein Behälter mit Wasser auf der Kupplung, je weniger beim Starten und Bremsen herausschwappt, desto mehr Punkte gibt es. An diesem Montag geht kein Tropfen verloren. Ja!

Die Disziplinen bei der WM sind generell dem wahren Straßenbahneralltag entlehnt. So muss das Team etwa besonders dicht an einem Hindernis vorbeifahren. Den Blick dafür schult Sandra in der Alten Schönhauser oder bei den Lieferwagen, die auf der Kastanienallee arg eng an den Gleisen parken. Unter zwei Zentimeter Luft wären die volle Punktzahl.
Immer hellwach und konzentriert muss sie im Alltag selten eine Vollbremsung wie für das Tram-Bowling durchführen. „Ich nehme ganz viele Dinge schon gedanklich vorweg und fahre vorausschauend“, sagt Sandra Probst. Rückwärts rangieren und auf 25 Kilometer pro Stunde beschleunigen, ohne den Tacho zu sehen, sind weitere WM-Disziplinen. Die größte Herausforderung sind die unbekannten Wiener Straßenbahnen, auf denen alle Teilnehmer den Wettkampf absolvieren.

Straßenbahnliebe seit 25 Jahren
Sandra Probst ist seit 25 Jahren Straßenbahnfahrerin in Berlin. Nach der Wende arbeitete sie zuerst als Einzelhandelskauffrau. Doch das war nur in Teilzeit möglich. Sandra wollte mehr und sattelte um. Wie zuvor schon ihre Mutter, wurde sie Straßenbahnfahrerin und ist es bis heute gern. Von der verantwortungsvollen Arbeit entspannt sie im Garten in Wilhelmsruh und beim Spazieren mit dem Hund.
„Es ist schön, dass mittlerweile mehr Frauen in den Straßenbahnen als Fahrerinnen unterwegs sind“, sagt Sandra Probst. Als sie auf dem Betriebshof in Weißensee anfing, sah das noch anders aus. Heute sieht man öfter bunt lackierte Nägel an den Hebeln der Straßenbahnen. Und übrigens: Während ihrer normalen Linienfahrten übt Sandra eine ganz bestimmte Disziplin - mit dem Namen „Der perfekte Halt“. An manchen Haltestellen guckt sie sich dann schon von weitem eine Person aus, vor deren Nase sie eine der Türen genau platzieren will. Vielleicht haben Sie ja auch mal Glück und fahren demnächst mit einer WM-Siegerin zur Arbeit? Ein freundliches Lächeln ins Fahrerhaus kann jedenfalls nie schaden.