Schicke Altbauten mit grünen Innenhöfen, die viel Ruhe ausstrahlen: So mancher würde Tom Hoffmann und seine Partnerin Isabel (beide 38) um ihre schöne Wohngegend im Weitlingkiez in Berlin-Lichtenberg beneiden. Vor acht Jahren zogen sie dorthin. Tochter Alica (3) wurde dort geboren. Trotzdem haben sie ihre Sachen gepackt und geben jetzt ihr Idyll auf! Sie wollen nur noch weg aus dem Kiez. Denn die Familie hat Angst!
In ein paar Tagen ist der Umzugswagen da. Das Paar packt die letzten Kartons für ihr neues Zuhause in Mecklenburg-Vorpommern. Denn ihre alte Heimat in Berlin ist der Familie zur seelischen Qual geworden. Der Grund: die zunehmende Kriminalität im Kiez. „Am Tag geht es hier in der Gegend ruhig zu“, sagt Tom Hoffmann. „Aber sobald es dunkel wird, ist es mit der Idylle vorbei. Wir fühlen uns nicht mehr sicher!“
Der Mann zeigt im Keller eine aufgehebelte Stahltür. „So fing es in unserem Haus an“, sagt er. „Himmelfahrt 2023 kamen die Einbrecher, stahlen einem Nachbarn teures Werkzeug. Ein anderes Mal wurden E-Bikes gestohlen.“

Nachbar Andreas P. (40) erscheint im Keller. „Alles in Ordnung, Tom?“, ruft er. Hoffmann bejaht. P. sagt: „Seit den Kellereinbrüchen hier und in anderen Häusern ist man misstrauischer und vorsichtiger geworden. Wir alle achten mehr darauf, was im Haus passiert.“ Denn vor den Einbrüchen wurde ein Fremder im Keller gesehen. „Er gab sich als Hausmeister aus“, sagt Hoffmann. „Dabei haben wir gar keinen.“
Nicht nur Diebe sind im Kiez unterwegs. Auch Jugend-Gangs versetzen Anwohner in Angst. Vor allem bei Mietern, die im Erdgeschoss wohnen.

Ein Nachbar, der anonym bleiben will, erzählt: „Das kommen Jugendliche auf den Hof und versuchen, auf die unteren Balkons zu klettern. Auch auf meinem waren sie, klauten zum Glück nur die Zigaretten, die dort lagen.“
Diebesbanden und Jugend-Gangs im Kiez: Familie will nur noch weg
Dass Jugendliche auf Beutezug immer wieder versuchen, auf seinem Balkon oder denen der Nachbarn zu klettern, davon zeugen frische Fußabtritte an der weißen Fassade. Die Polizei holen? „Lohnt sich nicht“, sagt der Mann. „Ohne Beweise passiert doch nichts. Daher habe ich eine Videokamera auf dem Balkon. Sowas brauchte man früher nicht.“
Auch Tom Hoffmann wohnt im Erdgeschoss und hat eine versteckte Kamera am Fenster zur Straße. „Das erste Mal stiegen Ostern Jugendliche an unser Fenster hoch. Wir saßen abends hier, als plötzlich heftig gegen die Scheibe geklopft wurde.“
Kein Einzelfall. „Im Mai wurde nicht nur geklopft, da flogen sogar Steine.“ Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn die Dinger durchs Fenster gegangen wären. „Dahinter war unsere Tochter auf dem Sofa.“ Die Polizei kam, das war es.

Die Randale der Jugend-Gangs finden kein Ende. Am 12. Juli waren sie um 1.30 Uhr da. Auf dem Video, das von der versteckten Fenster-Kamera stammte, ist unter anderem ein Jugendlicher zu sehen, der mehrfach eine Euro-Palette gegen das Haus schleudert.
„Es mögen Kleinigkeiten sein“, sagt Hoffmann. „Aber für uns sind die Geschehnisse Terror. Wir können kaum schlafen. Wer weiß, was da noch alles passieren kann. Was bleibt, ist die Angst.“
Angst im Kiez: So reagiert der Bezirksbürgermeister von Lichtenberg
Nun flieht die Familie aus dem Kiez. Der Entschluss fiel nicht leicht. „Knapp 1000 Euro Monatsmiete warm für etwa 75 Quadratmeter – so eine Wohnung gibt man nicht auf. So etwas findet man auch nicht so schnell in Berlin wieder“, sagt Hoffmann. Daher geht es nun nach Mecklenburg-Vorpommern.

Die Familie bereut den Schritt nicht. „Es wird immer schlimmer im Weitlingkiez. Die jüngste Messerattacke vor einem Supermarkt auf einen jungen Mann, der durch einen Kopfstich lebensgefährlich verletzt wurde – das war auch bei uns.“
„Die Menschen hier fühlen sich im Stich gelassen, keiner unternimmt etwas gegen die Gewalt“, sagt Hoffmann. Daher schrieb er dem Lichtenberger Bürgermeister Martin Schäfer (CDU), dass er wegen der steigenden Kriminalität nun mit seiner Familie aus dem Bezirk wegzieht. Schäfer schreibt zurück. Er wohnt ebenfalls in dem Kiez, und fühle sich dort sicher und wohl. Die Sicherheitslage „ist keinesfalls in Lichtenberg auffällig“. Ausgenommen eigener Erfahrungen, „die sind, wie sie sind“. „Ihnen und ihrer Familie kann ich nur das Beste wünschen“, so Schäfer.
Hofmann ist enttäuscht über die Antwort. Er hat sich mehr erhofft. „Es ist schade, dass der Bezirksbürgermeister nicht einmal versucht, das Gespräch mit uns und den Menschen vor Ort zu suchen. Ihm fehlt offenbar das Gefühl für unsere Sorgen.“