Die Rigaer Straße in Berlin-Friedrichshain sieht so trist aus wie an jedem anderen Regentag. Um 10.45 Uhr deutet nichts darauf hin, dass hier vor Stunden eine der größten Polizeiaktionen der vergangenen vier Jahre stattfand. Es ging – wie so oft in der Rigaer – um das schrill-bunte Haus Nummer 94. Der Eigentümer hatte einen Durchsuchungsbeschluss erwirkt, und die Polizei setzte ihn am Donnerstag durch.
Um 10.40 Uhr ist der Spuk vorbei. Die bereitgestellten Polizistinnen und Polizisten räumen die Straßensperren zwischen der Samariter- und der Liebigstraße weg und ziehen zügig ab. Nur Minuten danach wirkt die Rigaer Straße so, als hätte es an diesem Donnerstagmorgen nie einen Polizeieinsatz gegeben.
Vereinzelt huschen Passanten mit Regenschirm über die Bordsteine. Sprechen möchten nur wenige, ein Foto lässt keiner von sich machen. In den Rinnsteinen liegen die frischen Zigarettenkippen der Zaungäste und Polizeibeamten. Die Männer und Frauen in Uniform waren seit 6 Uhr morgens hier postiert. Sonst deutet nichts mehr auf die „Belagerung“ hin.
Auf einigen Balkonen stehen Anwohnerinnen und Anwohner und stieren auf gegenüberliegende Fassadenwände. Nur das teilbesetzte Haus Nummer 94, da, wo der Einsatz stattfand, sieht völlig unbelebt aus. Keine Menschenseele ist zu sehen. Und auch die mit Parolen vollgeklebte Haustür wirkt nicht so, als seien hier Dutzende Polizisten mit der Ramme eingedrungen.
„Wir hatten insgesamt 700 Beamte im Einsatz“, sagt Polizeidirektor Florian Nath dem Berliner KURIER. „Es gab einen Durchsuchungsbeschluss. 13 Wohnungen wurden durchsucht, 26 Personen namentlich erfasst.“ Festnahmen habe es keine gegeben, und es sei auch niemand in der Rigaer Straße mit Haftbefehl gesucht worden. Das klingt doch schon mal ganz gut. Und vor allem: Es klingt unaufgeregt.
Ein neuer Ton weht durch die Rigaer Straße. Ein angenehmer, sachlicher, entspannter und ruhiger Ton. Noch in den 1990er-Jahren, zu Zeiten von Polizeipräsident Hagen Saberschinsky und Innensenator Eckart Werthebach (CDU), standen die Polizisten mit Schild und Helm in der früheren Krawallstraße – weil bei Einsätzen immer wieder Gegenstände aus den Häusern geworfen wurden. Die Chaoten waren damals eben nicht zimperlich.

Heute haben wir mit Polizeipräsidentin Barbara Slowik Meisel eine souveräne und besonnene Frau an der Spitze der Berliner Sicherheitsbehörde. Eine, die auf Entspannung und Kommunikation setzt. Slowik Meisel gehört zu den wenigen Figuren in Berlin, die führen können. Denn führen heißt anführen und nicht vorführen. Zuhören und nicht kleinteilig gängeln. Machen und nicht nachmachen. Und das merkt man ihren Beamten an. Aber nicht nur denen.
Berlins Polizeipräsidentin setzt in der Rigaer Straße auf Entspannung
Auch Beschuldigte und Tatverdächtige kommen in Berlin in den Genuss dieses neuen, sanften Tons. In der Rigaer merkt man das sehr gut. Hier zeigen sich die „Chaoten“ bei der Durchsuchung am Donnerstagmorgen gelassen und kooperativ. Man kennt sich inzwischen, und im Grunde macht die Polizei ja auch nur ihre Arbeit.
Zum neuen Ton gehört ebenfalls, dass es seit vier Jahren keine Durchsuchung mehr in dem teilbesetzten Haus in Friedrichshain gab. Das führte am Ende auch dazu, dass etliche Anwohner inzwischen viel entspannter mit der Situation in der Rigaer umgehen können. Ein 60-jähriger Nachbar der Rigaer Straße 94, einer, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, sagt: „Ich bin in diesem Kiez groß geworden. In den vergangenen 20 Jahren gab es hier bestimmt an die 30 Einsätze. Mich stören die Leute da aber nicht.“

Das findet auch Vero (45), die seit 15 Jahren in der Nachbarschaft lebt: „Unter Rot-Rot war das hier alles noch mal viel krasser mit der Polizei.“ Sie findet die Linken in dem von Gentrifizierung geprägten Kiez wichtig, weil sie soziale Aufgaben übernehmen, und das völlig unentgeltlich und in ihrer Freizeit. Ein älterer Herr sitzt in einem Café nebenan. Ein Rentner, gezeichnet von den Kämpfen längst vergangener Tage. Er wohnt nebenan in der Mainzer Straße und sagt: „Was wir dort nach der Wende an Krawallen erlebt haben – dagegen ist das hier doch nur Pillepalle.“