Schädlinge

Soldiner Straße: Mieter leiden seit zehn Jahren unter Rattenplage

In dem Miethaus in Gesundbrunnen gibt es seit zehn Jahren eine Rattenplage. Bislang haben alle Maßnahmen nicht viel gebracht.

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Eine Ratte flitzt in Berlin über die Straße: In der Stadt sollen so viele Ratten leben wie es Menschen gibt.
Eine Ratte flitzt in Berlin über die Straße: In der Stadt sollen so viele Ratten leben wie es Menschen gibt.Bernd von Jutrczenka/dpa

In einem unscheinbaren Haus in der Soldiner Straße, tief im Berliner Stadtteil Gesundbrunnen, hat sich ein Albtraum eingenistet: pelzig, flink, intelligent. Ratten. Eine 50-jährige Mutter zweier Kinder sagt: „Wir Frauen trauen uns seit mindestens zwei Jahren nicht mehr an die Mülltonnen – die Kinder auch nicht.“ Ihr Blick fällt auf den eingezäunten Müllplatz. „Wir haben Angst vor den Ratten.“

Das Haus hat sich einen zweifelhaften Ruf erarbeitet: Das Haus der vielen Ratten. Und auch das Bezirksamt bestätigt: Hier tummeln sich ungewöhnlich viele Nager. Die Bewohnerin berichtet: „Wenn du den Deckel von der Mülltonne aufmachst, dann springt dir schon mal eine Ratte entgegen.“ Müll rauszubringen ist längst „Männersache“ – auch wenn das ab und an zum Ehestreit führe. Denn hier geht es nicht um ein paar scheue Tiere. „Es wurden etwa 50 Stück gezählt. Das ist ekelhaft.“

Ein Mix aus Ignoranz, Bürokratie und Verantwortungsgeschiebe

Typisch Berlin? Durchaus. Da kommt ein Mix aus Ignoranz, Bürokratie und Verantwortungsgeschiebe zusammen. Es wurde erst spät gehandelt, nun wird es teuer.

Mittag, 13.32 Uhr: Keine Ratte in Sicht. Doch das Problem ist offensichtlich Ein roter Zettel am Müllplatz warnt: „Vorsicht! Ratten- und Mäuseköder“. 25 Giftboxen wurden im Hof verteilt: Sie sehen aus wie Schuhkartons aus Blech und Plastik, mit Drähten befestigt an Bäumen und Zäunen. „Das Gift wurde vor ein paar Tagen ausgelegt“, sagt die Deutsch-Türkin. „Aber es hat nicht viel genutzt.“

Am Nachmittag spaziert eine Ratte über den Müllcontainer – die Menschen im Hof sind ihr völlig egal.
Am Nachmittag spaziert eine Ratte über den Müllcontainer – die Menschen im Hof sind ihr völlig egal.Markus Wächter/Berliner Zeitung

Cornelia Dethloff vom sozialen Projekt Müllmuseum zeigt auf dem Handy ein Video: Vier Ratten jagen zwischen den Containern hin und her – seelenruhig, mitten am Tag. „Wo viel Müll ist, da sind auch viele Ratten“, sagt sie. Und wo Ratten sind, ist auch Streit. Doch: „Ein Rattenproblem kann nur gemeinsam angegangen werden.“

Die Soldiner Straße ist kein Einzelfall: 8647 Bekämpfungsmaßnahmen wurden 2024 berlinweit gemeldet, so das Landesamt für Gesundheit und Soziales.

Ein Mann kommt mit einer Mülltüte in den Hof, tritt kräftig gegen den Zaun. „Ratten sind Fluchttiere“, sagt er. Zweimal tritt er auch gegen den Container, bevor er ihn öffnet. „Das mit dem Gift wird hier seit etwa zehn Jahren versucht, bringt aber nichts.“ Die gesetzlich erlaubten Gifte seien schlicht zu schwach.

Die Wohnungsbaugesellschaft Degewo sieht ein Grundproblem: Müll, der nicht in, sondern neben die Tonnen geworfen wird. Sperrmüll türmte sich im Durchgang. Die Anwohner erzählen von einem Teufelskreis: Als auf dem Nachbargrundstück Garagen abgerissen wurden, flohen die Ratten hierher. Dann gab es ganz lange Probleme mit den Gelben Tonnen. „Wenn jemand falschen Müll reinwirft, lassen die Müllmänner die Tonne stehen“, erzählt ein Bewohner. „Bis sie übergequollen sind und die Deckel offen standen. Dann kommen die Ratten ganz einfach ran.“

Die Konsequenz: Mülltrennung wurde abgeschafft, es gibt nur noch graue Container. Aus Angst.

Die Aufnahmen auf dem Handy zeigen ein halbes Dutzend Ratten auf einmal.
Die Aufnahmen auf dem Handy zeigen ein halbes Dutzend Ratten auf einmal.Markus Wächter/Berliner Zeitung

Lukas Murajda, Leiter des Gesundheitsamts Mitte, sagt, eine solche Bekämpfung fordert viele Ressourcen: eine gute Kommunikation, klare Regeln, Eigenverantwortung – und viel Geld. „Es muss sichergestellt werden, dass alle es richtig machen.“ Eine einzige Unachtsamkeit genüge.“

„Die alten Ratten sind schlau“

Ratten kennen keine Grundstücksgrenzen. Aber das Gesetz schon. „Wir dürfen nur kontrollieren, ob die Vermieter etwas machen“, sagt Murajda. Nicht, wie sie es tun. Für flächendeckende Maßnahmen fehlt die Zuständigkeit.

Jakob R., ein langjähriger Bewohner, hat wenig Hoffnung, dass die Giftköder viel bringen: „Die alten Ratten sind schlau und schicken immer erst mal junge Ratten vor. Die Jungen sterben, aber die Alten überleben.“

Cornelia Dethoff vom Müllmuseum: Das Sozialprojekt holt alle Beteiligten an einen Tisch, damit die Bekämpfung funktionieren kann.
Cornelia Dethoff vom Müllmuseum: Das Sozialprojekt holt alle Beteiligten an einen Tisch, damit die Bekämpfung funktionieren kann.Markus Wächter/Berliner Zeitung

Zwar wurde inzwischen entrümpelt, ein Hausmeister dokumentiert per Foto, Degewo und BSR stimmen sich ab. Aber allein die Aktion mit den Ködern kostet 2000 Euro. Laut Degewo laufen „kontinuierliche Daueraufträge zur Schädlingsbekämpfung, um die Population nachhaltig einzudämmen.“

Doch der Erfolg ist noch nicht da. „Abends klappern die Deckel der Müllcontainer, dann sagt mein Mann: Jetzt gibt Abendbrot bei den Ratten. Die klettern in die Container und prügeln sich um den Müll. Die fiepen laut. Das klingt wie kleine Katzen.“