Alle paar Meter ein Mülleimer, mit Blumen bepflanzte Kübel, Geschäfte, die Kunden anlockten, gepflegtes Grün, Flaneure unterwegs. So erinnert sich Anja Eisbrenner an die Karl-Marx-Allee, an der sie seit Jahrzehnten wohnt. „In der DDR war die Prachtstraße ein Schmuckstück“, sagt sie. Heute bevölkern besonders am Abend Partygänger die vernachlässigte Meile zwischen Strausberger Platz und Frankfurter Tor. Und Ratten.
Die Nager finden genug Futter hier, vertilgen ungestört achtlos weggeworfene Essensreste. Ihre Baue errichten sie auf dem Grasstreifen, der den Bürgersteig von der Fahrbahn trennt.
„Kratergroße Löcher entstehen da“, erzählt Anja Eisbrenner, die mit ihrem Pudel Apollo regelmäßig im Kiez unterwegs ist. Unterirdische Labyrinthe, in denen die Ratten sich seit langem sehr wohlfühlen.

Wie viele Ratten leben in Berlin?
Um auf die Missstände aufmerksam zu machen, schreibt Anja Eisbrenner regelmäßig an die Behörden im Bezirk. An das Grünflächenamt, an das Gesundheitsamt, doch seit drei Jahren tue sich nichts Grundlegendes, kritisiert sie gemeinsam mit weiteren Anwohnern.
Ratten können pro Wurf bis zu 22 Junge bekommen, die nach drei Monaten geschlechtsreif sind. Niemand weiß genau, wie viele von den Nagetieren in Berlin leben. Sind es zwei Millionen, sind es zehn? Fakt ist, dass überall da, wo Menschen sind, auch Ratten leben.
Sie bevölkern Spielplätze, wo alle naselang Reiswaffeln herunterfallen, sie klettern in Mülltonnen und Papierkörbe auf der Suche nach Döner, Schrippe und Co. Und nicht nur die grasigen Ufer der Karl-Marx-Allee sind bei Ratten beliebt, auch die Ufer von Spree und Landwehrkanal schaffen mit vielen Grünflächen ideale Voraussetzungen.
Bemerken Bürger einen Befall mit Ratten, sollen sie die Tiere melden. Ein Kammerjäger rückt dann aus, um sie mit Giftködern zu beseitigen.

Auch in einigen mit Zäunen abgesperrten Löchern auf der Karl-Marx-Allee sehen wir Boxen mit Rattengift. Trotzdem befinden sich direkt daneben frische Löcher von immer neuen Ratten.
Einmal habe sie sogar schon einen Rasentraktor beim Mähen der Grünfläche in einen der Baue einsinken sehen, sagt Anja Eisbrenner. Das Problem sei bekannt, signalisiert man ihr aus dem Bezirksamt. Doch angegangen wird es bisher nur halbherzig.
Füchse jagen Ratten auf der Karl-Marx-Allee
Dass Ratten sich hier so wohlfühlen, habe auch mit fehlenden Mülleimern auf einer großen Fläche zu tun, glaubt Anja Eisbrenner. Nachdem die Mülleimer entfernt wurden, sei das Rattenproblem größer geworden. Die achtlos weggeworfenen Reste der Partygänger und Touristen dienen den Ratten als Nahrung. Es gebe sogar Füchse hier, die wiederum Jagd auf die Ratten machen. Eine funktionierende Nahrungskette? Mitnichten.
Auf der denkmalgeschützten Prachtallee darf Berlin oder vielmehr der zuständige Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg sich so etwas nicht leisten, finden die Anwohner. Heruntergewirtschaftet sei die Karl-Marx-Allee, nicht mehr interessant für die Kreuzberger, die stattdessen teure verkehrsberuhigte Zonen im Westen einrichteten.

Bald wird das Gras auf den Grünflächen an der Karl-Marx-Allee so hoch gewachsen sein, dass man die Baue der Ratten nicht mehr sieht. Da sind sie trotzdem. Mitten unter uns, auf dem Boulevard der Ratten.