
Es sind DIE Orte der Deutschen Einheit – das Brandenburger Tor, der Reichstag. 35 Jahre Wiedervereinigung. Doch während die offizielle Feier in Saarbrücken steigt, schaut man in Berlin an diesem Feiertag auf ein ganz anderes Spektakel. Wenig Schwarz-Rot-Gold, dafür jede Menge Demonstranten, Touristen und einige schräge Gestalten. Willkommen am Nationalfeiertag in der Hauptstadt!
Am Reichstag hängt die Deutschlandfahne schlaff im Wind – Symbol für die Stimmung auf dem Vorplatz: keine Jubelstimmung, sondern Mahnwachen. Ein paar Leute fordern auf Schildern auf Deutsch, Englisch und Koreanisch, endlich die Meere vor radioaktiver Verseuchung zu retten.
Ein paar Meter weiter brüllt ein Mann in Uniform ins Mikro: Rüdiger Hoffmann, Ex-NPD-Kader, inzwischen Reichsbürger-Aktivist mit seiner Truppe „Staatenlos.info“. Der Verfassungsschutz kennt ihn gut. Seine Botschaft: „Sie werden uns einknasten! Denn wir sind die Opposition!“ Und: „Wir sind alle im Arsch! Das ist keine Demokratie hier!“ Daneben steht ein Helfer, der Touristen anblafft: „Nix englisch! Ja gawarju pa russki!“
Die Botschaften sind wirr: DDR zurück – aber bitte ohne Kommunismus. Einer verteilt Flyer, auf denen steht, dass Nazi-Deutschland bis heute existiere und der Zweite Weltkrieg gar nicht beendet sei. An der Brust DDR-Fähnchen und ein russisches Georgs-Band.
Etwas leiser, dafür ausdauernder: Schriftstellerin Mirrianne Mahn. Sie sitzt in einem Sessel, liest 24 Stunden nonstop gegen Rassismus, für Vielfalt und Respekt. Organisiert hat das die Initiative „Neue Deutsche Einheit – Unity in Diversity“. Sprecherin Priscilla Hirschhausen sagt: „Deutschland muss neu gedacht werden. Wir wollen zeigen, wie Vielfalt unser Land zusammenhalten kann.“ Workshops zum Thema laufen bald im Yaam-Club.
DDR zurück – aber bitte ohne Kommunismus!
Und am Brandenburger Tor? Selfies, Gruppenbilder, Rikschafahrten. Ein Mann in sowjetischer Soldatenuniform schwenkt eine rote Sowjetfahne und sagt ernst: „Ohne diese Fahne gäbe es keine Wiedervereinigung.“ Er ist Bulgare, seit DDR-Zeiten hier, eingebürgert – und immer noch überzeugt: „Moskau war besser als Brüssel.“

Hier gibt es die übliche Mischung: asiatische Reisegruppen, Straßenkünstler, Selfie-Sticks. Hier sammeln Marco und Melly Geld für einen Tiergnadenhof in Falkensee, dort posiert eine Simson-Moped-Clique vor der weltberühmten Kulisse.
Doch die Einheitskulisse wird auch beschmiert: In der Nacht vor dem Feiertag sprühten Unbekannte „BRDDR“ und ein verkehrtes Euro-Zeichen an die Sandsteinsäulen. Mittags kam schon die Reinigungsfirma und kärcherte alles wieder weg.
Friedensaktivisten aus Flensburg
Friedensaktivisten aus Flensburg stehen ebenfalls am Tor. Sie wollen am Nachmittag zur großen Demo am Bebelplatz und zeigen Plakate mit Zitaten von Wolfgang Borcherts berühmtem Anti-Kriegs-Gedicht „Dann gibt es nur eins!“. Einer pinselte dazu den Rheinmetall-Aktienkurs auf Pappe. „Ich musste den Kurs schon wieder nach oben korrigieren“, sagt Manfred Schinkel sarkastisch. „Wir werden als Putinversteher beschimpft“, ergänzt Mitstreiterin Andrea Mohr, „aber ich möchte abends noch in den Spiegel schauen können.“

Die „Deutsche Welle“ wartet mit Kamera und Stativ gelangweilt auf den nächsten Live-Schalte-Einsatz. Ihre Bilder vom Brandenburger Tor gehen an diesem Tag in die Welt – und stehen im Kontrast zu den offiziellen Feierlichkeiten im fernen Saarbrücken.
Und dann doch noch Schwarz-Rot-Gold: Eine Gruppe afrikanischer Christen der „Love World Incorporated“ taucht auf. Sie tragen Hüte in Deutschlandfarben, lachen, winken, entfalten eine große Deutschlandflagge – wenn auch verkehrt herum. Doch egal: Ihr Enthusiasmus wirkt ansteckender als jeder offizielle Festakt.