Umweltschützer schockiert

Berlin schleift Tempo 30-Zonen vor Schulen, Kitas und Seniorenheimen

Laut einem Medienbericht sollen die Kriterien für neue und bestehende 30er-Strecken verschärft werden. 

Author - Stefanie Hildebrandt
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Weniger Geschwindigkeitsbegrenzung auch vor sensiblen Einrichtungen. Die neue Vorgabe der Verkehrsverwaltung sorgt für Ärger. 
Weniger Geschwindigkeitsbegrenzung auch vor sensiblen Einrichtungen. Die neue Vorgabe der Verkehrsverwaltung sorgt für Ärger. Paul Zinken/dpa

Umweltverbände wie der BUND Berlin und die SPD im Berliner Abgeordnetenhaus laufen Sturm gegen Vorhaben der CDU-geführten Senatsverwaltung für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt, Tempo 30-Zonen vor Kitas und Seniorenheimen aufzuweichen.

Der Tagesspiegel hatte zuvor über Pläne der Verkehrsverwaltung berichtet, wonach vor Schulen, Kitas und sozialen Einrichtungen wie Krankenhäusern und Altenheimen verschärfte Kriterien für eine Tempo 30 Regelung angewandt werden sollen. Mehr 50er-Zonen und freie Fahrt für Autos, so das Ziel. Dies geht aus einer internen „Arbeitshilfe“ hervor, die dem Tagesspiegel vorliegt.

„Dies ist das völlig falsche Signal. Statt weniger Tempo 30 an Hauptverkehrsstraßen brauchen wir mehr Überwachung, damit Tempo 30 auch eingehalten wird“, erklärt Gabi Jung, Geschäftsführerin des BUND Berlin.

Die im Juni erlassene „Arbeitshilfe“ beruht auf einer Anweisung der inzwischen ausgeschiedenen Verkehrsstaatssekretärin Claudia Elif Stutz (CDU), die Vorgaben für zeitlich befristete Tempo-30-Anordnungen auf Hauptstraßen „im Licht der aktuellen Richtlinien der Regierungspolitik“ zu überprüfen. Ziel war demnach eine Reduktion bestehender Tempo-30-Anordnungen, indem etwa 30er-Strecken verkürzt oder deren Geltungszeiten eingeschränkt würden.

Vor Schulen sieht die Behörde kaum Chancen, wieder Tempo 50 zu erlauben

Vor Schulen sieht die Verwaltung indes kaum Chancen, wieder Tempo 50 zu erlauben, berichtet der Tagesspiegel, sofern der Haupteingang an der Straße liegt.

Bei Oberstufenzentren oder Berufsschulen aber könnten „im Einzelfall notwendige verkehrliche Maßnahmen“ geprüft werden, also auch Schutzgitter oder Zebrastreifen statt Tempo 30.

Für „Kitas und Kinderläden mit dem Hauptzugang direkt an der Straße“ hält die Verwaltung das 30er-Limit ebenfalls nur noch dann für nötig, „wenn keine ausreichenden verkehrssichernden Maßnahmen bereits vor Ort vorhanden sind“. Bei Tagespflegestellen für kleine Kinder müsse für Tempo 30 eine „qualifizierte Gefahrenlage“ nachgewiesen werden, so der Bericht.

Im Bundesrat stimmte Berlin für gelockerte Kriterien für Tempo 30 auf Hauptstraßen. Nun kommt in der Hauptstadt in dieser Hinsicht die Rolle rückwärts. 
Im Bundesrat stimmte Berlin für gelockerte Kriterien für Tempo 30 auf Hauptstraßen. Nun kommt in der Hauptstadt in dieser Hinsicht die Rolle rückwärts. picture alliance/dpa

Tempo 30 vor Seniorenheimen auf der Kippe

Auch vor Krankenhäusern und Altenheimen soll Tempo 30 ebenfalls nur noch dann gelten, wenn es keinen Zebrastreifen oder keine Ampel gibt und die Patienten und Senioren direkt vor den Einrichtungen die Straße überqueren müssen.

Die bisherige Maßgabe, dass trotz Ampel, Zebrastreifen oder Schutzgitter „eine niedrige Geschwindigkeit auch darüber hinaus Schutz bietet“, ist  mit der neuen Anweisung außer Kraft gesetzt.

Mit kritischen Nachfragen rechnet man in der Verkehrsverwaltung offenbar bereits: Jeder Fall muss im Nachgang den Chefs vorgelegt werden, damit „die Hausleitung informiert ist, zum Beispiel vor Eingang von kritischen Beschwerden oder ähnlichen Anfragen“, zitiert der Tagesspiegel aus dem Papier.

Autoverkehr fördern auf Kosten von Verkehrssicherheit

„Es ist erschreckend, wie unwichtig der Senatsverkehrsverwaltung die Verkehrssicherheit ist. Statt den Autoverkehr zu fördern, muss alles dafür getan werden, die Verkehrssicherheit zu erhöhen, sowie das Zufußgehen, Radfahren und die öffentlichen Verkehrsmittel zu fördern. Dies dient auch dem Klimaschutz“, kritisiert der BUND Berlin. Und fordert: „Bisherige Tempo 30-Abschnitte müssen ausgeweitet und verbunden werden.“

Auch die SPD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus äußerte sich besorgt über die aktuelle Verkehrspolitik der regierenden CDU. „Laut einer Mitteilung der Fraktion werden in Berlin Maßnahmen umgesetzt, die rechtlich fragwürdig sind und möglicherweise die Verkehrssicherheit gefährden“, heißt es von der SPD. 

Besonders problematisch sei, dass die CDU nun die Tempo-30-Zonen vor Kindergärten, Schulen und Senioreneinrichtungen infrage stellt. Gefordert werde künftig ein qualifizierter Nachweis einer Gefahrenlage, damit 30er-Strecken beibehalten oder neu eingerichtet werden können. 

Die SPD-Fraktion sieht darin einen klaren Verstoß gegen den Koalitionsvertrag, der Tempo 30 vor Kitas, Schulen und Senioreneinrichtungen explizit vorsieht. Zudem handle die CDU entgegen der Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) und ihrer Novellierung, die im Sommer selbst vom Bundesrat mitgetragen wurde.  ■