Berlin kriegt die Lärmkrise. In vielen Teilen der Stadt wird es immer lauter. Eine aktuelle Analyse der Senatsumweltverwaltung zeigt das ganze Ausmaß: Mehr als 490.000 Menschen, also etwa 12,7 Prozent der Berliner Wohnbevölkerung, sind täglich gesundheitsschädlichen Lärmpegeln ausgesetzt, insbesondere durch den Straßenverkehr. Jetzt soll alles besser werden, unter anderem mit mehr Tempo-30-Zonen in der Nacht.
Die Lärmwirkungsforschung belegt: Ab einem Pegel von 55 Dezibel nachts und 65 Dezibel tagsüber steigt das Risiko für schwerwiegende Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Lärmbedingter Stress führt dabei zu chronischen gesundheitlichen Belastungen, die viele Anwohner betreffen. Der neue Lärmaktionsplan der Stadt soll diese Belastungen mindern und Berlins Bewohnern mehr Lebensqualität zurückgeben, schreibt die Berliner Morgenpost (Bezahlschranke).
Verantwortlich für den Großteil des Lärms ist eindeutig der Straßenverkehr. In dem kürzlich veröffentlichten Entwurf des Lärmaktionsplans steht klipp und klar: Der Straßenverkehr ist die Hauptquelle des Lärms in der Hauptstadt. Eine Lösung wäre ein umfassendes „Tempo-30-Konzept“ für die Nachtzeit. Und dieses wird wohl kommen.
An besonders lärmbelasteten Straßenabschnitten soll die Höchstgeschwindigkeit zwischen 22 Uhr und 6 Uhr auf 30 Kilometer pro Stunde reduziert werden. Schon jetzt gibt es auf rund 335 Kilometern des Berliner Hauptstraßennetzes solche Tempo-30-Regelungen – allerdings sollen es bald noch mehr werden. Die Senatsumweltverwaltung hat rund 200 weitere Straßenabschnitte identifiziert, auf denen nachts langsamer gefahren werden muss, um den Lärm zu senken.
Lärm von Autos, Straßenbahnen, Zügen und U-Bahnen
Prominente Beispiele sind die Bundesallee, die Frankfurter Allee, der Brunsbütteler Damm und die Märkische Allee. Insgesamt könnten damit 180.000 Menschen, die entlang dieser Straßen wohnen, von der Temporeduzierung profitieren und nachts endlich wieder durchschlafen.
Der positive Effekt dieser Maßnahmen ist beeindruckend: Der Lärm kann durch eine Senkung der Höchstgeschwindigkeit um etwa 2,5 bis drei Dezibel verringert werden. Abhängig von der Beschaffenheit der Fahrbahnoberfläche kann der Effekt sogar noch stärker ausfallen. Dies entspricht laut Senatsumweltverwaltung einer Reduktion des Verkehrsaufkommens um rund 40 bis 50 Prozent. Die Umsetzung der neuen Tempo-30-Regelungen soll innerhalb der nächsten zwei Jahre erfolgen, so die Morgenpost.
Doch der Plan geht noch weiter: Auch lärmarme Fahrbahnen sind ein wichtiger Bestandteil der Strategie. Insbesondere auf Straßen, die ohnehin bald saniert werden müssen, sollen spezielle lärmmindernde Oberflächen verwendet werden. Diese können den Lärm ebenfalls um zwei bis drei Dezibel senken. Zurzeit ist geplant, diese Bauweise auf der Detmolder Straße in Charlottenburg-Wilmersdorf, dem Munsterdamm in Steglitz-Zehlendorf und der Treskowallee in Lichtenberg einzusetzen.
Straßenlärm ist aber nicht das einzige Problem, das den Berlinern schlaflose Nächte bereitet. Straßenbahnen und oberirdisch verlaufende U-Bahnen tragen ebenfalls erheblich zur Geräuschkulisse bei. Auch hier greift der Lärmaktionsplan ein.
Auch Busse donnern nachts durch die Straßen
Eine der Lösungen: Grüngleise für die Tram. Auf bestimmten Strecken soll diese Maßnahme bis 2026 umgesetzt werden, beispielsweise auf einem Abschnitt der Hohenschönhauser Straße und der Oderbruchstraße. In anderen Bereichen, wie der Wendenschloßstraße, verzögert sich die Einführung lärmmindernder Maßnahmen allerdings bis 2027.
Im Bereich der U-Bahn sind ebenfalls lärmreduzierende Schritte geplant. Schienenstegdämpfer und Schotteroberbauten, die bereits auf Abschnitten der U1 und U3 zwischen Schlesischem und Halleschem Tor getestet wurden, sollen zukünftig auf weiteren Streckenabschnitten verbaut werden. Eine Ausweitung dieser Maßnahmen auf stark belastete U-Bahn-Strecken ist in Planung, etwa zwischen Möckernbrücke, Zossener Brücke und Schlesischem Tor.
Auch am Gleisdreieck wird gehandelt: Im Zeitraum von 2024 bis 2029 soll der Brückenbalkenoberbau über dem Gleisdreieck durch eine sogenannte Trogbrücke mit Schotteroberbau und Unterschottermatten ersetzt werden. Das soll die Lärmbelastung für die umliegenden Anwohner deutlich reduzieren. Ähnliche Maßnahmen sind auch für andere U-Bahn-Brücken, wie jene der Linie U6 über die Seidelstraße, vorgesehen.

Selbst die Deutsche Bahn und das Bundesverkehrsministerium planen Maßnahmen, um den Lärm an bestimmten Streckenabschnitten zu mindern. Besonders im Fokus steht der Berliner Außenring, genauer gesagt der Abschnitt zwischen dem Karower Kreuz und Buch. Hier sollen etwa 23 Kilometer lange Lärmschutzwände mit einer Höhe von zwei bis drei Metern errichtet werden. Außerdem sind auf diesem Streckenabschnitt rund 19 Kilometer Schienenstegdämpfer geplant, um den Lärm der vorbeifahrenden Züge einzudämmen.
Die Umsetzung der Maßnahmen bringt aber auch Herausforderungen mit sich. Besonders bei Straßenabschnitten, die von Bussen der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) befahren werden, müssen die Interessen der Anwohner gegen die Bedürfnisse der Fahrgäste abgewogen werden. Eine Geschwindigkeitsreduzierung könnte die Attraktivität des öffentlichen Nahverkehrs schmälern und zu verpassten Anschlüssen führen.
Rund 500 Kilometer Straße stehen im Fokus dieser Abwägungen. Hier geht es um die Lärmbelastung von weiteren 470.000 Menschen, in deren Wohnumfeld der nächtliche Geräuschpegel die kritischen 55 Dezibel überschreitet. Noch ist unklar, ob und wie eine Lösung gefunden wird – die Untersuchungen laufen. ■