Der 1. FC Union bleibt auch in der größten Krise eisern. Das machten die Fans nach dem 0:3 (0:1) gegen den VfB Stuttgart – der achten (!) Pleite in Folge – einmal mehr deutlich. Während überall in der Republik die eigentlichen Lieblinge mit einem gellenden Pfeifkonzert schnurstracks in die Kabine verschwunden wären, drehten die Union-Profis nach dem Abpfiff wie immer unter Applaus und Gesang ihre Ehrenrunde im Stadion An der Alten Försterei.
Spätestens jetzt sollte jedem klar sein: Beim 1. FC Union ticken die Uhren anders. Und das gilt nicht nur für die Fans, sondern auch für die Bosse.
Denn während an jedem Bundesliga-Standort schon längst die typischen Automatismen des knallharten Fußballgeschäfts gegriffen hätten und der Trainer nach solch einer Pleitenserie bereits vom Hof gejagt worden wäre, zögerte Union-Manager Oliver Ruhnert nach dem Debakel gegen den VfB keine Sekunde, um dem Chefcoach eine Jobgarantie auszustellen: „Urs Fischer hat so viele Verdienste um diesen Klub. Wir sind absolut bereit, diesen Weg gemeinsam zu gehen, das weiß er auch.“
Der 1. FC Union funkt SOS
Und doch laufen selbst bei Union alle Fäden bei Fischer zusammen. Der Schweizer, dessen Griffe und Kniffe seit fünf Jahren saßen, der Trainerkollegen gleich mehrfach auscoachte, spürt gerade ganz genau, das nichts mehr so ist, wie es war. So schwer es fiel, Unions Höhenflug aus der Zweiten Liga bis in die Champions League in Worte zu fassen, so schwer scheint es nun, diese Abwärtsspirale zu erklären.
Fakt ist: Der 1. FC Union funkt auf mehreren Ebenen SOS. Und dafür gibt es Gründe.

Zunächst zwangen das Verletzungspech und die ein oder andere Sperre Fischer ständig dazu, seine Startelf umzubauen. Um die Talfahrt zu stoppen, ging Fischer gegen den VfB großes Risiko: Robin Knoche und Rani Khedira, Abwehrchef und Mittelfeldboss, standen nach langer Zwangspause direkt in der Startelf. Fischers Hoffnung: „Sie sind absolute Führungsspieler, die die Abläufe kennen und der Mannschaft Ruhe vermitteln.“
Neuzugänge beim 1. FC Union schlagen nicht ein
Dass das nicht der Fall war und vielmehr gegen den VfB in die Hose ging, weiß Fischer selbst. Er erklärt aber auch: „Wir haben keine Zeit und keine Testspiele, also geht es nur über Einsatzminuten.“
Doch die Krise nagt auch an Fischer – und seinen Entscheidungen. Dass er Sheraldo Becker für Kevin Volland zunächst auf der Bank ließ, raubte Union jegliche Schnelligkeit und somit auch Tiefe im Spiel. „Der Plan war, stabiler zu stehen“, erklärt Fischer, gesteht aber: „Letztlich hatten wir keinen Zugriff, konnten keinen Druck erzeugen und selbst keinen Ball halten.“
Auf der anderen Seite scheint der eiserne Kader, anders als in all den Jahren zuvor, nicht besonders gut abgestimmt. Zog Ruhnert Saison für Saison viele Volltreffer auf dem Transfermarkt an Land, sorgt diese Saison kaum ein Zugang für Furore. Besonders in der Abwehr, einst eisernes Prunkstück, verfügt Fischer über zu wenige Optionen.
Union-Trainer Urs Fischer weiß, dass es fünf vor zwölf ist
Und wie es nun mal so ist, wenn es nicht läuft, kommt noch hinzu, dass das über Jahre gepachtete Spielglück dem 1. FC Union verloren gegangen ist. Noch schlimmer: Das Pendel schlägt mittlerweile in die andere Richtung aus. Auch gegen Stuttgart schnupperte man in der zweiten Halbzeit, nach Fischers Wechseln, am Ausgleich. Dann kassierte man mitten in der Drangphase das 0:2. Fischer: „Wir hatten Chancen und dann läufst du wieder in einen Konter und stehst am Ende mit leeren Händen da.“
Apropos Ende: Fischer weiß, dass der Trainer immer derjenige ist, der den Kopf hinhalten muss, weil es schlichtweg einfacher ist, den Coach rauzuschmeißen als 20 Spieler. Dass es selbst in Köpenick fünf vor zwölf ist, ist auch Fischer klar, der trotz Ruhnerts Rückendeckung sagt: „Fußball ist ein Resultatsport. Am Ende zählt die Tabelle.“