Wechselfehler

Robin Gosens – einfach mal verpokert beim 1. FC Union

Robin Gosens verpasst die EM und ist damit das prominenteste Opfer der noch jungen Bundestrainer-Ära von Julian Nagelsmann.

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Robin Gosens kniet auf dem Rasen. Beim 1. FC Union lief wenig so zusammen, wie sich beide Seiten das vorgestellt hatten.
Robin Gosens kniet auf dem Rasen. Beim 1. FC Union lief wenig so zusammen, wie sich beide Seiten das vorgestellt hatten.City-Press

Wie oft wurde im Fußball schon über Körpergröße diskutiert. Von Vorteil sei sie zwar nicht immer, aber oft. Nicht nur bei Torhütern. Auch bei Abwehr- und Angriffsspielern. Vor allem dann, wenn es um Kopfballstärke geht. Nun ist Körpergröße dafür, wie jemand in der oberen Etage agiert, längst kein alleiniges Kriterium, das nicht. „Uns Uwe“ Seeler, ein Held früherer Generationen, war mit 1,70 m vergleichsweise klein, doch auch wegen seiner hin und wieder spektakulären Kopfballtore hier geliebt und da gefürchtet.

Ritsu Doan, der Japaner, der für den SC Freiburg in der zu Ende gegangenen Saison sieben Treffer erzielt hat und damit einer der torgefährlichsten Mittelfeldspieler war, ist mit 1,72 m körperlich in der Uwe-Seeler-Kategorie zu Hause. Trotzdem ist ihm im letzten Saisonspiel gegen den 1. FC Union kurz vor dem Abpfiff ein Kopfballtreffer gelungen, der die Eisernen noch einmal kräftig in die Bredouille gebracht hat und um ein Haar das Spieljahr um zwei Relegationsspiele gegen Fortuna Düsseldorf dramatisch verlängert hätte.

All das wäre für die Köpenicker vor allem auch deshalb überaus dumm gelaufen, weil Doans Gegenspieler in dieser Situation satte zwölf Zentimeter größer und mit 20 Länderspielen für Deutschland alles andere als ein heuriger Hase ist: Robin Everardus Gosens. Auch Unions linker Außenbahnspieler verfügt über Stärken im Kopfballspiel. Drei seiner sechs Saisontore, mit denen er bester Torschütze seines Teams geworden ist, hat er per Kopf erzielt. Das hat durchaus was von Spezialist. Und doch hat Gosens gegen den körperlich unterlegenen Doan ganz und gar alt ausgesehen.

Eines seiner sechs Tore für den 1. FC Union: Robin Gosens  jubelt nach dem Tor zum 1:1 beim FSV Mainz. 
Eines seiner sechs Tore für den 1. FC Union: Robin Gosens jubelt nach dem Tor zum 1:1 beim FSV Mainz. Arne Dedert/dpa

Gosens Saison beim 1. FC Union war ein wenig zum Vergessen

Es war längst nicht die einzige Szene, in der Gosens wackelte. Die Saison zuvor schon, seine erste in der Bundesliga nach Stationen in den Niederlanden (Vitesse Arnheim, FC Dordrecht, Heracles Almelo) und Italien (Atalanta Bergamo, Inter Mailand), war ein wenig zum Vergessen. Nachdem er mit Inter noch ins Finale der Champions League vorgedrungen war, das die Italiener gegen Manchester City denkbar knapp mit 0:1 verloren, wollte er in Köpenick Europas Königsklasse nutzen, um seine Chance auf einen EM-Einsatz zu wahren oder gar zu verbessern. Das Ergebnis für den 29-Jährigen ist niederschmetternd.

Dabei schien er auf einem guten Weg zu sein. Als Julian Nagelsmann als Bundestrainer zu den Länderspielen gegen die USA (3:1) und Mexiko (2:2) die Nachfolge von Hans-Dieter Flick angetreten hatte, gehörte Gosens wie selbstverständlich dazu. Zu selbstverständlich womöglich. Weil der mit gut 15 Millionen Euro Ablöse teuerste Union-Spieler wegen seiner erneuten Vaterschaft das folgende Länderspieldoppel gegen die Türkei (2:3) und Österreich (0:2) absagte, wähnte er sich aufgrund der miesen Ergebnisse im ersten Moment fast als heimlicher Gewinner.

Nur hatte er die Rechnung, zumal die Eisernen längst in die größte Krise ihrer Zugehörigkeit zur Bundesliga getrudelt waren und auch der erfahrene Mittelfeldspieler kein Rezept gegen die Turbulenzen fand, ohne Nagelsmann gemacht. Als der seinen März-Kader für die Partien in Frankreich (2:0) und gegen die Niederlande (2:1) benannte, tauchte der Name Gosens nicht auf. Nur ein Warnschuss? Oder doch mehr? Hatte Gosens sich womöglich schlicht und einfach verpokert?

Dieses Tor hätte Union fast in die Relegation gebracht. Robin Gosens (r.) kann Freiburgs Ritsu Doan nicht am 1:1 hindern, Torwart Frederik Rönnow ist machtlos.
Dieses Tor hätte Union fast in die Relegation gebracht. Robin Gosens (r.) kann Freiburgs Ritsu Doan nicht am 1:1 hindern, Torwart Frederik Rönnow ist machtlos.Contrast/Imago

Gosens hatte sich vom 1. FC Union mehr versprochen und umgekehrt

Hatte er sich vom 1. FC Union, so wie die Rot-Weißen im Gegenzug sicherlich mit ihm, mehr versprochen? Noch dachte der eiserne Flügelspieler daran, die Delle zu reparieren, zumal Nagelsmann ihn als „Spieler mit großem Charakter und Herzen“ lobte und ihm versicherte, dass für ihn „der Zug noch nicht abgefahren“ und die Tür weiterhin offen sei. Für Gosens bedeutete das: „Solange die Tür nicht zu ist, kann man noch durchgehen.“ Außerdem fühle er sich „nicht meilenweit von der Nationalmannschaft entfernt“.

Mittlerweile ist es so, dass Gosens das vielleicht prominenteste Opfer der noch jungen Ära Nagelsmann ist. Dabei gehörte er vor drei Jahren bei der Europameisterschaft, die in zehn europäischen Städten und einer asiatischen Metropole (Baku) stattgefunden hatte, zum Stammpersonal des damaligen Bundestrainers Joachim Löw. In allen Gruppenspielen sowie dem Achtelfinale gegen England (0:2) stand Gosens in der Startelf. Bei jenem Turnier zählte er in einem alles in allem enttäuschenden deutschen Team zu den wenigen Lichtblicken. Nach dem 4:2 gegen Titelverteidiger Portugal, als er für zwei Treffer die Vorbereitung leistete und das vierte deutsche Tor – übrigens wieder per Kopfball – erzielte, wurde er zum Spieler des Spiels gewählt.

Solch einer hat den Anspruch, zumal im besten Alter für einen Fußballer, auch beim nächsten Europa-Championat dabei zu sein. Selbst dann, wenn er seinen etwas anderen Weg ins DFB-Team, das ihn von der Niederrhein-Liga über die Niederlande und Italien ins Rampenlicht geführt hat, als „Wunder“ und „unwirklich“ bezeichnet. In einem solchen Moment mag es vorkommen, dass Gosens, dessen Vater Niederländer ist und er selbst sowohl die deutsche als auch die niederländische Staatsbürgerschaft besitzt und beide Sprachen fließend beherrscht, ins Grübeln kommt. Fast zu gleicher Zeit, als Löw bei ihm vorstellig wurde, hatte nämlich auch der damalige Bondscoach Ronald Koeman angeklopft. Der konnte sich Gosens gut auch für die Elftal vorstellen. Zu spät.

Nun ist nicht nur der eine Zug abgefahren, sondern auch der andere.