Manches möchte mal selbst als alter Fahrensmann nicht glauben. Als einer, der seine Laufbahn als Fußballjournalist für das Deutsche Sportecho an einem – kein Scherz – 1. April mit dem Spiel 1. FC Union gegen Dynamo Dresden begann. Ein 0:2 gab es im Stadion An der Alten Försterei. 47 Jahre ist das nun her. Vier, wenn nicht fünf Generationen an Fußballern hat es in Köpenick und anderswo seitdem, seit 1978, inzwischen gegeben. Jede Menge hat sich verändert. Die Gesellschaft. Das Stadion. Die Spielklasse, in der der 1. FC Union spielt. Man selbst auch. Nur blieb bei all den Pirouetten, die das Leben gedreht hat, eines stabil: der Glaube an den Fußball und an dessen Gerechtigkeit.
DFB-Urteil: Gegen den sportlichen Anstand
Nun ist aber selbst der im Eimer. Das hat damit zu tun, wie die Instanzen mit dem Ausgang des Spiels zwischen dem 1. FC Union und dem VfL Bochum umgegangen sind, was sie hineininterpretieren und dass es seit Montag durch das Ständige Schiedsgericht in Stein gemeißelt ist: Wie damals ist es ein 0:2. Dabei ging es 1:1 aus. Nur ist es diesmal ein Sieg der Paragrafenverdreher über den sportlichen Anstand.
Abgesegnet mit den immer gleichen scheinheiligen Argumenten. Das schärfste, das der Schiedsgerichtsvorsitzende Prof. Dr. Udo Steiner in seine Begründung einfließen ließ, lautet: „Das Spiel wurde nicht abgebrochen, sondern fortgesetzt, aber die beteiligten Mannschaften haben einvernehmlich auf das Erzielen weiterer Tore verzichtet. Deshalb hat das Schiedsgericht diesen Fall als faktischen Spielabbruch gewertet und dem förmlichen Spielabbruch durch einen Schiedsrichter gleichgestellt.“
DFB enteiert Schiedsrichter Martin Petersen
Faktischer Spielabbruch? Förmlicher Spielabbruch? Alles Quatsch. Niemand hat das Spiel abgebrochen. Der am meisten Gelackmeierte ist damit eindeutig Martin Petersen, der Schiedsrichter. Der wurde durch das Urteil regelrecht enteiert. Dabei befand das Fachmagazin Kicker, das sich im 125. Jahr mit Fußball in all seinen Facetten beschäftigt: „Petersen bewies nach dem Feuerzeugwurf einen kühlen Kopf und hat sich korrekt verhalten.“

Juristischen Sachverstand mag man dem 85-jährigen aus Bayreuth stammenden Emeritus Professor Dr. Steiner gern zugestehen. Trotzdem fehlt in seinem Urteil das, was einen hohen Stellenwert im Leben hat: gesunder Menschenverstand. Ein Verband, der Stein und Bein auf Tatsachenentscheidung schwört, schmeißt beim geringsten Gegenwind deren Unantastbarkeit in drei Verhandlungen über den Haufen. Gütiger Himmel!
Union-Urteil: DFB tritt Fairplay mit Füßen
Was, bitte, ist strafbar daran, die letzten Minuten, fast nur Sekunden, auf eine Torerzielung zu verzichten? Jeder vernünftig denkende neutrale Anhänger ist da ganz bei Union-Manager Horst Heldt, der schon nach dem erstinstanzlichen Urteil zu bedenken gab: „Ich hätte mal alle erleben wollen, die dann gesagt hätten, wir sind zwei Mann mehr, wir spielen noch zwei, drei Minuten, greifen jetzt das Bochumer Tor an und versuchen, ein Tor zu erzielen. Der DFB, der für Fairplay wirbt und steht, wirft uns vor, dass wir nicht mehr angegriffen haben.“
Genau das, ohne den Wurf des Feuerzeuges kleinzureden, ist der eigentliche Skandal.
Union-Posse erinnert an die Schande von Gijon
Zeitsprung. Jahrzehnte zurück ins Jahr 1982. Nicht zum 1. FC Union, sondern zur Weltmeisterschaft in Spanien. In seinem letzten Gruppenspiel steht das DFB-Team, mit einem 1:2 gegen Algerien katastrophal ins Turnier gestartet, wie Österreich mit dem Rücken zur Wand. Weil die Algerier ihr letztes Spiel bereits 24 Stunden zuvor austragen mussten, wissen Deutsche wie Ösis genau, welches Resultat sie brauchen, um den Afrikanern den Daumen zu zeigen. Dieses Wunschergebnis ist mit dem 1:0 von Horst Hrubesch in Minute 11 perfekt. Der 80-minütige Rest ist ein Nichtangriffspakt.
Tändelei im Mittelfeld. Torerzielung? Bei Strafe nein! Die Fußball-Welt ist ob der „Schande von Gijon“ entsetzt. Sie wittert Absprache und Betrug. Der DFB aber reagiert wie die drei Affen aus dem japanischen Nikkö: nichts sehen, nichts hören, nichts sagen. So einer plustert sich nun auf wie ein Gockel und macht auf Saubermann. Schon vergessen? Die einzige Konsequenz, die dem Welt-Fußballverband damals blieb, ist die, die letzten Gruppenspiele seitdem zeitgleich anzusetzen.
Den 1. FC Union mag das angesichts des Klassenerhalts nicht mehr sonderlich kratzen. Nur um Kiel oder Heidenheim täte es jedem leid, sollte auch nur einer das sportliche Schicksal Algeriens teilen müssen. ■